Dekarbonisierung

Digitale Lücke schließen: Mit Plan heizen statt nach Gefühl

Energetische Sanierung galt lange als rein bauliche Aufgabe: Fenster tauschen, dämmen, Heizung erneuern. Doch nicht die Technik allein bringt Fortschritt, sondern das Zusammenspiel – und das lässt sich nur digital steuern.

Der Gebäudesektor trägt mit rund 36 Prozent einen erheblichen Anteil an den CO₂-Emissionen in Europa. In Deutschland entfielen laut Umweltbundesamt im Jahr 2023 allein auf die Raumwärme 25,6 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs, weitere 5,1 Prozent auf Warmwasser – zusammen also mehr als 30 Prozent. Und während der Stromsektor in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht hat, stagnieren die Emissionen im Gebäudebereich. Die Gründe dafür sind bekannt: Ein hoher Anteil an Bestandsimmobilien mit veralteter Technik, träge Prozesse, fehlende Transparenz.

Noch immer wird in vielen Gebäuden nach Gefühl geheizt: Lieber zu viel als zu wenig, sicherheitshalber rund um die Uhr. Heizkurven werden selten überprüft, Anlagen nicht an reale Nutzungsprofile angepasst. Die Folgen sind überdimensionierte Laufzeiten, ineffizienter Betrieb und unnötig hohe Kosten. Zudem unterläuft dieser energetische Blindflug jedes klimapolitische Ziel.

Politische Ziele und die Realität im Bestand

Die politische Richtung ist längst definiert: Bis 2045 soll der Gebäudesektor in Deutschland klimaneutral sein. So müssen die Emissionen laut dena-Leitstudie bereits bis 2030 um 44 Prozent sinken. Doch die Lücke zwischen politischen Zielsetzungen und der Realität in der Wohnungswirtschaft ist tief. Besonders eklatant wird sie dort, wo verlässliche Daten, automatisierte Steuerung und digitale Übersicht fehlen. Noch immer basieren viele Entscheidungen im Bestand auf Schätzwerten oder Erfahrungswissen statt auf belastbaren Echtzeitdaten. Denn wer seine Energieverbräuche nicht kennt, kann sie auch nicht steuern. Eine Wärmewende ohne digitale Unterstützung? Nicht denkbar.

Digitale Systeme schaffen Transparenz. Sie messen kontinuierlich, analysieren automatisch, und reagieren in Echtzeit. Sie ersetzen die manuelle Kontrolle durch algorithmische Intelligenz und ermöglichen eine präzise, vorausschauende Steuerung. Heizsysteme können heute lernen, ob ein Raum tatsächlich genutzt wird, wie sich das Wetter entwickelt und welche Vorlauftemperatur nötig ist, um den Komfort zu sichern, ohne Energie zu verschwenden.

Technik, die mitdenkt

Diese digitale Intelligenz ist kein Selbstzweck. Sie bringt klare Vorteile für die Wohnungsbranche: Statt starrer Technik entsteht ein dynamisches System, das sich laufend anpasst. Verbrauchsspitzen werden geglättet, Fehlerquellen früh erkannt, Wartungszyklen optimiert. All das spart dauerhaft Energie. Darüber hinaus reduzieren digitale Lösungen personellen Aufwand. Heizkostenabrechnungen, gesetzliche Reportingpflichten, Mieterkommunikation: Prozesse, die früher Wochen dauerten, lassen sich heute in Minuten abbilden. Und nicht zuletzt verbessert sich die Planbarkeit: Investitionen lassen sich gezielter tätigen, weil klarer ist, wo tatsächlich Handlungsbedarf besteht.

Aber das vielleicht stärkste Argument für den digitalen Weg liegt woanders: Er ist der Einzige, der kurzfristig und langfristig wirkt. Während bauliche Maßnahmen Jahre in Anspruch nehmen können, bringen digitale Systeme sofort Ergebnisse – ohne aufwendige Eingriffe, ohne lange Vorlaufzeiten.

Praxisbeispiel: Der digitale Zwilling in der

Anwendung

Ein Beispiel für die Umsetzung einer solchen digitalen Lösung bietet die Berliner KUGU Home GmbH. Die Plattform des PropTech-Unternehmens digitalisiert Verbrauchsdaten und bildet komplette Gebäude virtuell nach. Dieser sogenannte digitale Zwilling verknüpft technische Parameter, Verbrauchswerte und externe Einflüsse – etwa Wetterdaten oder Belegungsmuster – zu einem Echtzeitmodell.

Auf dieser Basis regelt die Plattform Heizsysteme automatisch und kontinuierlich. Die Ergebnisse sprechen für sich: In Projekten der kommunalen Wohnungswirtschaft wurden in der vergangenen Heizperiode Energieeinsparungen von bis zu 30 Prozent erzielt – bei gleichbleibendem Wohnkomfort.

Besonders relevant für die Wohnungswirtschaft ist bei diesem Ansatz die offene, modulare Architektur der Lösung. Die Plattform ist herstellerunabhängig, lässt sich nahtlos in bestehende Softwarelandschaften integrieren und ermöglicht so eine sukzessive Digitalisierung ohne Systembruch. Darüber hinaus unterstützt sie die gesetzlich geforderte Verbrauchstransparenz, automatisiert das Reporting und vereinfacht die Heizkostenabrechnung erheblich. Dabei setzt KUGU auf nachvollziehbare Modelle, die sich flexibel anpassen lassen.

Digitalisierung ergänzt energetische Sanierungen

Die Digitalisierung ist kein Ersatz für energetische Sanierung, sondern der perfekte Begleiter. Sie sorgt dafür, dass Investitionen dort getätigt werden, wo sie den größten Effekt haben. Sie priorisiert. Sie simuliert. Sie macht sichtbar, was bislang verborgen blieb. Und genau hier liegt ihr größter Wert: Im intelligenten Umgang mit dem, was schon vorhanden ist.

Digitalisierung als neuer Standard

Die Dekarbonisierung des Gebäudesektors ist unvermeidbar: ökologisch geboten, politisch gefordert und wirtschaftlich sinnvoll. Die Technik existiert, die Daten sind da – was fehlt, ist Übersicht: über Verbrauch, Technik, Nutzerverhalten und Schwachstellen im Betrieb. Ohne diese Übersicht bleibt jede Modernisierungsmaßnahme ein Schuss ins Blaue. Die Lösung? Daten. Und die Fähigkeit, daraus Handlungsspielräume zu erschließen.

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