Urteile

Zahlungsanspruch, öffentlicher Leistungsträger, Betreibervertrag, Gemeinschaftsunterkunft 

GVG §§ 13, 17 Abs. 2 Satz 1, § 17a; SGG § 51 Abs. 1

a) Für den Zahlungsanspruch, den ein Betreiber von Obdachlosenunterkünften aus einem an ihn gerichteten, die Beherbergung eines Flüchtlings betreffenden „Kostenübernahmeschein“ eines öffentlichen Leistungsträgers ableitet, ist in der Regel nach § 51 Abs. 1 SGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben (Bestätigung des Senatsbeschlusses vom 9. Februar 2021 - VIII ZB 20/20, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt; vgl. BVerwGE 96, 71, 73 ff. zur Eröffnung des seinerzeit für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten dieser Art noch gegebenen Verwaltungsrechtswegs).

b) Zur Abgrenzung zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Verträgen (hier: Vertrag zwischen privatem Unterkunftsbetreiber und öffentlichem Leistungsträger über den Betrieb einer Gemeinschaftsunterkunft zur vorübergehenden Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern; sogenannter Betreibervertrag).

BGH, Beschluss vom 9. Februar 2021 - VIII ZB 21/20 - (KG Berlin)

Aus den Gründen: 

I. Die Klägerin betreibt in Berlin insgesamt sechs Beherbergungsstätten für wohnungslose Personen. Über eine tägliche Belegungsmeldung wurden die freien Plätze in den von dem beklagten Land aufgeführten Obdachlosenunterkünften unter anderem den Berliner Jobcentern mitgeteilt. Diese wiesen den Beherbergungsstätten der Klägerin sodann je nach Bedarf Flüchtlinge oder Asylbewerber zu.

Für vier der Beherbergungsstätten schlossen die Parteien nach einem weitgehend einheitlichen Muster sog. Betreiberverträge. Darin verpflichtete sich die Klägerin, eine Gemeinschaftsunterkunft mit einer bestimmten Kapazität zur vorübergehenden Unterbringung unter anderem von Flüchtlingen und Asylbewerbern zur Verfügung zu stellen und in einem vertragsgemäß geeigneten Zustand zu betreiben. Der Beklagte verpflichtete sich zwecks Abgeltung der vertraglichen Leistungen der Klägerin, für jede eingewiesene Person während der Gültigkeit einer Kostenübernahmeerklärung einen bestimmten Tagessatz zu entrichten. Mit Schreiben vom 21.6.2017 kündigte das beklagte Land sämtliche Betreiberverträge fristlos.

Die einer Beherbergungsstätte zugewiesenen Flüchtlinge und Asylbewerber erhielten von den Jobcentern des Beklagten eine an die Klägerin gerichtete mit „Kostenübernahme“ überschriebene Bescheinigung. Bei Vorlage dieser Bescheinigung gewährte die Klägerin dem jeweiligen Hilfeempfänger Unterkunft in der betreffenden Beherbergungsstätte. Die Kostenübernahmescheine enthalten unter anderem folgende Erklärungen bzw. Hinweise: „Durch diese Erklärung wird kein Vertragsverhältnis zwischen dem Land Berlin bzw. der Arbeitsgemeinschaft und dem Unterkunftsanbieter begründet.“

Eigenbedarfskündigung, hohes Alter des Mieters, langer Mietvertrag

BGB § 573 Abs. 2 Nr. 2, § 574 Abs. 1 Satz 1, § 574a

a) Zu den Voraussetzungen einer nicht zu rechtfertigenden Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB (im Anschluss an Senatsurteil vom 22. Mai 2019 - VIII ZR 180/18, BGHZ 222, 133).

b) Das hohe Alter eines Mieters begründet ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen für den betroffenen Mieter im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels grundsätzlich noch keine Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB (im Anschluss an Senatsurteil vom 22. Mai 2019 - VIII ZR 180/18, aaO Rn. 30).

c) Der Annahme, das hohe Lebensalter des Mieters gebiete auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters in der Regel die Fortsetzung des Mietverhältnisses, liegt eine unzulässige Kategorisierung der nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB abzuwägenden Interessen zugrunde (im Anschluss an Senatsurteil vom 22. Mai 2019 - VIII ZR 180/18, aaO Rn. 36 f.).

d) Eine langjährige Mietdauer lässt für sich genommen noch nicht auf eine tiefe Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietsache schließen. Vielmehr hängt deren Entstehung maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters (Pflegen sozialer Kontakte in der Nachbarschaft etc.) ab (im Anschluss an Senatsurteil vom 22. Mai 2019 - VIII ZR 180/18, aaO Rn. 30).

BGH, Urteil vom 3. Februar 2021 - VIII ZR 68/19 - (LG Berlin)

Zum Sachverhalt:

Die 1932 geborene Beklagte und ihr 1934 geborener, inzwischen verstorbener Ehemann, der ehemalige Beklagte zu 2, mieteten im Jahr 1997 von der Rechtsvorgängerin der Klägerin eine im vierten Obergeschoss gelegene Zweizimmerwohnung in Berlin.

Die Klägerin ist seit dem 17.7.2015 Eigentümerin dieser Wohnung. Mit Schreiben vom 3.8.2015 erklärte sie die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zum 31.7.2016 wegen Eigenbedarfs und wiederholte diese Erklärung vorsorglich in der Klageschrift vom 26.9.2016 sowie in einem weiteren Schriftsatz vom 5.12.2016. Zur Begründung führte sie an, sie wolle während ihrer Aufenthalte in Berlin künftig nicht mehr - wie bisher - zusammen mit ihrem erwachsenen Sohn zur Miete, sondern stattdessen allein in der in ihrem Eigentum stehenden Wohnung leben.

Die Beklagte und ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehemann widersprachen dieser Kündigung unter Verweis auf ihr hohes Alter, ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand, ihre langjährige Verwurzelung am Ort der Mietsache und ihre für die Beschaffung von Ersatzwohnraum zu beschränkten finanziellen Mittel.

In der Folgezeit sprach die Klägerin weitere - nunmehr fristlose, hilfsweise ordentliche - Kündigungen des Mietverhältnisses gestützt auf verschiedene Verhaltensweisen der Beklagten und ihres mittlerweile verstorbenen Ehemanns aus.

Fernwärmelieferungsvertrag, Preisänderungsklausel, Widerspruch gegen Preisanhebung

BGB §§ 133, 134, 157, 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB; AVBFernwärmeV aF § 24 Abs. 3

a) Zur ergänzenden Vertragsauslegung bei Unwirksamkeit einer Preisänderungsklausel in einem langjährigen Energielieferungsvertrag (hier: Fernwärmelieferungsvertrag) (Bestätigung der Senatsurteile vom 24. September 2014 - VIII ZR 350/13, NJW 2014, 3639 Rn. 16 und vom 18. Dezember 2019 - VIII ZR 209/18, NJW 2020, 1205 Rn. 40 [jeweils zu Fernwärme]; vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, BGHZ 192, 372 Rn. 21 ff. und vom 15. April 2015 - VIII ZR 59/14, BGHZ 205, 43 Rn. 12 [jeweils zu Gas]; vom 15. Januar 2014 - VIII ZR 80/13, NJW 2014, 1877 Rn. 20, 23 [Strom]; vom 3. Dezember 2014 - VIII ZR 370/13, NJW 2015, 1167 Rn. 28 ff. [zur fehlenden Einbeziehung einer Preisanpassungsklausel]).

b) Auf die tatsächlichen oder von dem Energieversorger vermuteten Gründe für den Widerspruch des Kunden gegen die Preiserhöhung kommt es nicht an. Gründe müssen vom Kunden weder mitgeteilt werden, noch führte deren Nennung dazu, dass sich der Widerspruch auf diese beschränken würde. Auch sind Angaben dazu entbehrlich, ob und inwieweit der Kunde mit dem Widerspruch (auch) frühere Preiserhöhungen beanstanden will (Bestätigung von Senatsbeschlüsse vom 7. September 2011 - VIII ZR 14/11, juris Rn. 7; vom 27. September 2011 - VIII ZR 5/11 und VIII ZR 12/11, juris Rn. 6; vom 6. Dezember 2011 - VIII ZR 224/11, juris Rn. 6; Senatsurteile vom 22. Februar 2012 - VIII ZR 34/11, NJW-RR 2012, 690 Rn. 31; vom 15. Januar 2014 - VIII ZR 80/13, NJW 2014, 1877 Rn. 22).

BGH, Urteil vom 10. März 2021 - VIII ZR 200/18 - (LG Lübeck)

Vermietete Abfallcontainer, Zustandsstörerhaftung

BGB § 1004

Zur Zustandsstörerhaftung eines Entsorgungsunternehmens für vermietete Abfallcontainer.

BGH Urteil vom 26. März 2021 - V ZR 77/20 - (LG Mönchengladbach)

Zum Sachverhalt:

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, auf dem sich mehrere Lagerhallen befinden. Eine davon hatte sie an die Firma M. vermietet. Das Mietverhältnis wurde seitens der Klägerin mit einer fristlosen Kündigung beendet. Die Firma M. wurde zur Räumung verurteilt, anschließend fand die Zwangsräumung statt. Zuvor hatte die Firma M. die Beklagte, die ein Entsorgungsunternehmen betreibt, beauftragt, zwei Abfallcontainer auf dem Grundstück aufzustellen und die Container nach ihrer Befüllung mit Altholz und Abbruchholz zur Entsorgung abzuholen. Die Container wurden geliefert und von der Firma M. mit Abfallmaterial befüllt. Da sie die Rechnung der Beklagten nicht zahlte, holte diese die Container nicht ab. Nachdem über das Vermögen der Firma M. das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, forderte die Klägerin die Beklagte auf, die gefüllten Container abzuholen. Diese ist zur Abholung der Container nur ohne den darin befindlichen Inhalt bereit.

Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Entfernung der Container ohne deren Inhalt verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht die Beklagte zur Abholung der Container samt Inhalt und zum Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten verurteilt. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Nießbraucher von Wohnungseigentum, Prozessführung

WEG § 46 Abs. 1 Satz 2

a) Dem Nießbraucher von Wohnungseigentum steht die Befugnis zur Anfechtung eines von den Wohnungseigentümern gefassten Beschlusses nicht zu (Bestätigung von Senat, Urteil vom 10. Juli 2015 - V ZR 194/14, NJW 2015, 2968 Rn. 8).

b) Erhebt ein Dritter (hier: Nießbraucher), der von dem Wohnungseigentümer hierzu ermächtigt worden ist, Beschlussanfechtungsklage, ist diese zwar zulässig, wenn die Voraussetzungen der Prozessstandschaft im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung objektiv vorliegen und vorgetragen sind. Begründet kann sie - vorbehaltlich etwaiger Nichtigkeitsgründe - aber nur sein, wenn die Ermächtigung zur Prozessführung bereits innerhalb der Klagefrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 WEG objektiv vorliegt und offengelegt wird oder offensichtlich ist.

BGH, Urteil vom 27. November 2020 - V ZR 71/20 - (LG Düsseldorf)

Zum Sachverhalt:

Die Kläger waren und sind inzwischen wieder Mitglieder der mit den Beklagten bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaft. Im Mai 2001 übertrugen sie ihr Wohnungseigentum an ihre Tochter, wobei sie sich einen Nießbrauch an der Wohnung vorbehielten. In der Eigentümerversammlung vom 7. Juni 2018 fassten die Wohnungseigentümer mehrheitlich den Beschluss, ein bestimmtes Unternehmen mit der Pflege der Außenanlage zu beauftragen. Seit dem 25. Oktober 2018 sind die Kläger wieder zu einem geringen Anteil als Wohnungseigentümer im Grundbuch eingetragen.

Anfang Juli 2018 haben die Kläger Anfechtungsklage gegen den genannten Beschluss erhoben. Im September 2018 haben sie dem Gericht die Eigentumsübertragung aus dem Jahre 2001 mitgeteilt und nachfolgend eine auf den 24. Mai 2001 datierte Vollmacht eingereicht, mit der sie von ihrer Tochter bevollmächtigt worden sind, deren Rechte in Gerichtsverfahren als Prozessstandschafter im eigenen Namen geltend zu machen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, möchten die Kläger weiterhin erreichen, dass der angefochtene Beschluss für ungültig erklärt wird.

Zwangsversteigerung von Bruchteilseigentum, Terminsbestimmung

ZPO § 864 Abs. 2; ZVG § 37 Nr. 1, § 43 Abs. 1, § 83 Nr. 7

a) Steht ein Grundstück im Bruchteilseigentum, sind nur die Miteigentumsanteile Gegenstand einer Zwangsversteigerung. Diese müssen in der bekanntzugebenden Terminsbestimmung aber nicht gesondert ausgewiesen werden, wenn sämtliche Miteigentumsanteile an dem Grundstück versteigert werden sollen.

b) Wird nach der Bekanntmachung des auf die Versteigerung sämtlicher Miteigentumsanteile bezogenen Versteigerungstermins hinsichtlich eines Miteigentumsanteils das Zwangsversteigerungsverfahren einstweilen eingestellt, bedarf es einer erneuten Bekanntmachung, in der die noch zu versteigernden Miteigentumsanteile zu bezeichnen sind.

BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2020 - V ZB 13/20 - (LG Hannover)

Aus den Gründen:

I. Die Beteiligte zu 3 betreibt aus einer Gesamtgrundschuld die Zwangsversteigerung des eingangs genannten, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks, das im je hälftigen Miteigentum des Beteiligten zu 1 (nachfolgend: Schuldner) und der Beteiligten zu 2 steht. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens setzte das Amtsgericht den Verkehrswert des Grundstücks auf 470.000 € fest. Versteigerungstermin bestimmte es auf den 7.11.2019. In der öffentlichen Bekanntmachung des Versteigerungstermins wird das Grundstück näher beschrieben; ein Hinweis darauf, dass das Grundstück im Miteigentum des Schuldners und der Beteiligten zu 2 zu einem Anteil von je 1/2 steht, ist in der Bekanntmachung nicht enthalten. Mit Beschluss vom 7.10.2019 stellte das Amtsgericht das Zwangsversteigerungsverfahren hinsichtlich des hälftigenMiteigentumsanteils der Beteiligten zu 2 gemäß § 30 ZVG vorläufig ein. Den Antrag des Schuldners, den Zwangsversteigerungstermin aufzuheben, weil die Terminsbestimmung durch den Beschluss v. 7.10.2019unrichtig geworden sei, lehnte das Amtsgericht ab.

In dem Zwangsversteigerungstermin am 7.11.2019 hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass nur der hälftige Miteigentumsanteil des Schuldners Gegenstand der Versteigerung sei. Die Beteiligte zu 2 ist mit einem Gebot von 370.000 € Meistbietende geblieben. Mit Beschluss vom gleichen Tag ist ihr der Miteigentumsanteil des Schuldnerszugeschlagen worden. Die von dem Schuldnereingelegte Beschwerde hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Schuldner mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der er die Versagung des Zuschlags erreichen will.

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