Sanierung

Zukunftsfähiger Campus

Drei Schulgebäude und eine Sporthalle wurden auf dem Campus des Detmolder Berufskollegs umfassend saniert. Das Ergebnis ist eine wegweisende und preisgekrönte Plusenergie-Schule.

Die Ausgangslage war eine Herausforderung: Mehrere Schulgebäude aus den 1950er-Jahren. Bauten, die bis 1970 über 20 Jahre lang zu einem Campus zusammengewachsen sind. Jede Menge bautechnische Mängel, die dem modernen Schulbetrieb der Jetzt-Zeit einen Strich durch die Rechnung machten. Da ein Neubau aus wirtschaftlichen Gründen nicht in Frage kam, entschied man sich für eine aufwändige Gebäudesanierung.

Weil Interessenten für ein Private Public Partnership-Projekt ausblieben, wählte der Kreis Lippe den klassischen Weg der Vergabe von Architekten- und Fachplanerleistungen. Die Planer sollten außerdem dringend benötigte Erweiterungsbauten realisieren. In gemeinsamen Planungsworkshops des Architekturbüros mit Schule, Bauherren und Fachplanern wurden das komplette Sanierungskonzept sowie die zusätzlichen Räume nach Plusenergiestandard entwickelt. Das Ziel: den gesamten Campus zukunftsfähig zu machen, damit sich Schüler und Lehrer hier die nächsten Jahrzehnte gut aufgehoben fühlen.

Um es vorweg zu sagen: Der Einsatz und das Engagement aller Beteiligten hat sich gelohnt, denn heute darf sich der sanierte Detmolder Schulcampus aufgrund seiner architektonischen und nachhaltigen Qualität mit dem Preis „Schule 2030 – Lernen mit Energie“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) schmücken. Das Projekt ist inzwischen Best-Practice-Beispiel zahlreicher Initiativen, z.B. von der Bundesstiftung Baukultur und als EU-Frontrunnerprojekt innerhalb des europäischen Forschungsvorhabens „Renew-School“.

Der Campus im Detail

Um eine überdurchschnittliche Energieeffizienz zu erreichen, legte der beauftragte Architekt Harald Semke mit seinem Team pape oder semke Architekturbüro aus Detmold bei der Ausarbeitung des Sanierungskonzeptes die Schwerpunkte auf die optimale Wärmedämmung durch ökologische Fassadensysteme, das effektive Zusammenspiel von Fensterverglasung und Lichtsystemen sowie die leistungsfähige Belüftung mit Wärmerückgewinnung.

Bauzeit und Montage um die Hälfte reduziert

Der laufende Schulbetrieb erforderte eine clever kalkulierte Bauzeit, was die Planer zu innovativ-kreativen Vorgehensweisen anregte. So wurden die thermischen Hüllflächen mit vorgefertigten Holzbaumodulen saniert, deren passgenaue Dämmelemente mithilfe eines digitalen 3-D-Scans der Altbauten produziert wurden. Da man umfassend auf Vorfertigung setzte, reduzierten sich Bauzeit und Montage um rund die Hälfte der üblichen Zeit. „Im Gegensatz zu den üblichen Standardlösungen, die immer noch den Markt bestimmen, punkten meiner Meinung nach vorgefertigte Dämmelemente vor allem bei den Nachhaltigkeitskriterien Haltbarkeit, Bauphysik, Brandschutz und nicht zuletzt aufgrund ihrer hohen Architekturqualität“, berichtet Harald Semke. Zudem konnten mit der Modulbauweise die Nachteile der vorhandenen, heterogenen Altbaustruktur – etwa vorspringende, tragende Betonbauteile –wirtschaftlich und wärmebrückenfrei relativiert werden.

Holzfenster in den Fassadenelementen mit schmalen tiefen Rahmen optimieren das Tageslicht. Dank diesen mussten Glasflächen nach der Sanierung nicht verkleinert werden, sondern konnten je nach Altbaufenstertyp vergrößert oder mindestens gleichbleibend ausgeführt werden. In den Pfeilerbereich der Altbauten eingebundene farbige Vakuumisolationspanelle (VIP) aus Glas ermöglichen Wärmebrückenfreiheit, reduzieren Aufbaustärken und steigern die Qualität von Gestaltung und Tageslichtnutzung. Die Sanierung der thermischen Hüllflächen mit passgenau vorgefertigten Holzbauelementen erfolgte für alle Gebäude an Fassaden, oberen Geschossdecken sowie im Bereich der gedämmten Dachflächen.

Gesamtoptimierung im Vordergrund

Die im Vorhaben entwickelte Vorgehensweise der Gesamtenergieoptimierung „Faktor 4“ beschreibt folgende Konzeption:

1.  Sanierung der Gebäudehülle für ca. 90 % Heizenergiereduktion einschl. fassadenorientierter, dezentraler Lüftungsgeräte (WRG ca. 85 %)

2.  Regenerative Energieerzeugung vor Ort durch gebäudeintegrierte Solardächer

3.  Verbleibender Restenergiebedarf Fernwärmenetz Primärenergiefaktor 0,00

4.  Drastische Reduktion der gebundenen (grauen) Energie erspart mehr als das 10-Fache an nicht erneuerbarer Primärenergie durch Baustoffauswahl gegenüber marktüblichen Standardlösungen.

Die sanierten Schulgebäude werden nun nach einem hybriden Low-Tec-Konzept belüftet. Die fassadenorientierten, dezentralen und leistungsstarken Lüftungsgeräte erlauben individuelle und automatisierte, mechanische Lüftung. So ermöglicht das System beispielsweise an heißen Sommertagen automatisch nächtliches Lüften und sorgt so tagsüber für passive Kühlung. Weiterhin werden Teilbereiche der Schule zentral mit textilen Luftschläuchen und Absaugöffnungen sowie Überstromlösungen energiesparend versorgt sowie die Steigerung der passiven Kühlung mit Deckenventilatoren in zwei Referenzräumen untersucht.

Identitätsstiftende Schulbauarchitektur

Ohne auf die Qualitäten der bestehenden, wertvollen Bausubstanz zu verzichten, sieht das architektonische Konzept eine Umgestaltung des Schulcampus´ durch zukunftsweisende, interdisziplinäre und integrale Planung vor. Sinnstiftend, verstehbar und partizipativ sollte dieser Prozess für alle Beteiligten sein, deren Bedürfnisse, Erwartungen sowie pädagogische Belange an die Schulgebäude teils sogar bei verschiedenen Beteiligten gegenläufig waren. Emissionen zu senken, nachhaltige Nutzung, Ressourcen zu schonen und gesundheitsfördernde Räume waren einige dieser Wünsche, die sich vor Ort harmonisch zu einem sinnvollen Ganzen ästhetisch zusammenfügen sollten. Fehlende Bereiche galt es, baulich so zu ergänzen, dass diese sich in die Bestandsbauten eingliedern. Obgleich der Campus heterogen gewachsen ist, sorgen einige wesentliche Elemente dafür, dass das äußere Erscheinungsbild des sanierten Gebäudekomplexes homogen auf den Betrachter wirkt. So blieb zum einen der alte Baumbestand erhalten, zum anderen fasst eine nuancierte Farbgebung der Fensterpfeiler im Farbkreisverlauf den Campus nun gestalterisch zusammen. Im Inneren verwandelten sich Flure zu Aufenthaltszonen mit Bereichen für Rückzug und Begegnung sowie individuelles Lernen und Selbstlernen.

Heizbedarf um ca. 90 % reduziert

In die Gebäude integrierte Solardächer mit Ostwestausrichtung ersetzen herkömmliche Ziegeldächer. Sie sind auf allen geneigten Dächern der Schulgebäude sichtbar und liefern vor Ort erzeugte Primärenergie in großem Umfang, so dass insgesamt ein Überschuss (Plusenergiebilanz) entsteht. Durch die Solardächer und einen Fernwärmeanschluss werden die Gebäude mit regenerativer Energie versorgt. Das bisherige Heizsystem aus Heizkörpern unter den Fensterbändern ist intakt und besteht weiterhin. Dennoch konnten bei gleichbleibender Heizfläche der Heizbedarf um ca. 90 % reduziert und die Heizwassertemperaturen erheblich gesenkt werden. Das dadurch erreichte Niedrigtemperatur-Heizsystem bringt weitere Vorteile wie beispielsweise ein verbessertes Raumklima mit sich. Der Regelungsaufwand verringert sich stark, jedoch kommt dem hydraulischen Abgleich eine entscheidende Rolle zu.

Insgesamt wird die gesamte Bauteilfläche aus schwerer Altbausubstanz laufend passiv beheizt und bei steigenden Raumtemperaturen wieder passiv gekühlt. Die Luft ist auf diese Weise angenehm staubfreier, da geringere konvektive Ströme im Raum entstehen. Das hybride Lüftungssystem erfasst sensorisch raumweise den Lüftungsbedarf und wird mechanisch, präsenz- und CO2- gesteuert, nur im Bedarfsfall und automatisiert zugeschaltet, z.B. ergänzend zur manuellen Fensterlüftung. In den Räumen stehen Bedientableaus zur Verfügung, mit welchen sich die Lüftung jederzeit regeln lässt.

Technisch ist das Gebäude so konzipiert, dass neu hinzukommende Technikkomponenten optimal genutzt werden und mit den vorhandenen noch funktionsfähige Komponenten synergieren: Das spart laufende Kosten und schont das Sanierungsbudget. Das Zusammenspiel aus hybrider Lüftung und entkoppelter, thermischer Hüllflächensanierung bedeutet, dass die erhaltene, schwere Altbausubstanz mit ihrer ebenso erhaltenen, gebundenen (grauen) Energie als thermischer Puffer dient.

Energetisch Note 1

Im Vergleich zum unsanierten Bestand wurde eine Reduktion von ca. 92 % CO2 erreicht. Bei den Lebenszykluskosten kann man mit einer Ersparnis – je nach Zins- und Energiepreis-Entwicklung – von 60 - 80 % rechnen. Statisch betrachtet ergeben sich bis „End of Life“ (50 Jahre) Einsparungen von ca. 22,5 Mio. Euro, konservativ dynamisch betrachtet 83,5 Mio. Euro.

Weitere Kenngrößen der erreichten Gebäudeperformance sind U-Wert-Sanierungselemente mit 0,10 W/m2K, Fensterelemente 0,73 W/m2K sowie ca. 90 % Reduktion gebundene (graue) Energie für Sanierungselemente im Vergleich zu Standard-Wärmedämmverbundsystemen durch frühen Bauteilvergleich und Ökobilanz für nachhaltig ressourcenschonende Stoffkreislaufoptimierung. Somit wurden das Sanierungsbudget geschont und auf lange Sicht herausragende Einsparungen erreicht.

Der laufende Schulbetrieb erforderte eine clever kalkulierte Bauzeit.

In die Gebäude integrierte Solardächer mit Ostwestausrichtung ersetzen herkömmliche Ziegeldächer.

Das Projekt

Das Sanierungsprojekt umfasst das Dietrich-Bonhoeffer Berufskolleg (Gebäude 1) und das Felix-Fechenbach Berufskolleg (Gebäude 2 und 3 sowie die kleine Turnhalle). Gebäude 1 und 2 wurden Mitte und Ende der 1950er-Jahre in der für diese Zeit üblichen Bautypologie mit einzeilig angeordneten Klassenräumen entlang der Flure erbaut. Die Gebäude verbindet heute der neue Verbindungstrakt „Lernlandschaft“. Gebäude 3 wurde Ende der 1960er-Jahre mit zweizeilig angeordneten Klassenräumen entlang des Mittelflures errichtet und mit neuem Lehrrestaurant sowie einem Lern- und Verwaltungstrakt erweitert.
Die bauzeittypisch verwendete, mit senkrechten Stahlbetonstützen stark gegliederte Berufsschulfassade mit zahlreichen, zueinander versetzten Ebenen macht einen Großteil der zu sanierenden Fassaden aus und betrifft das Gebäude 3.
Gebäude 2 und 3 verbindet ein geschlossener Pausengang in baulicher Einheit mit der kleinen Turnhalle. Die Außenwände aller Untergeschosse waren bauzeitlich in Stahlbeton ausgeführt, was die wirtschaftliche Befestigung der Fassadensanierungselemente vereinfachte. Gleiches gilt für die Altbaudecken. Gebäude 1 ist ab dem Untergeschoss mit Vollziegelwänden, Gebäude 2 und 3 sowie die Kleine Turnhalle bereits mit Hochlochziegeln erbaut.
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