Gipsfaser-Platten

Brandschutz: Alles unter Kontrolle

Mit einer brandschutztechnisch wirksamen Bekleidung der Innen- und Außenwände aus Gipsfaser-Platten konnte in einem Fünfgeschosser in Holzbauweise in der Region Aachen ein von der Landesbauordnung NRW abweichendes Brandschutzkonzept realisiert werden, das mit dem geforderten Sicherheitsniveau gleichzeitig hohe Wirtschaftlichkeit gewährleistet.

Die moderne Generation der young urban professionals ist beruflich viel unterwegs. Die Herausforderungen ihres Jobs führen sie in viele Länder und Städte. Oft ist die Verweildauer vor Ort nur kurz – gerade so lang, bis ein neues Projekt in einem anderen Land oder in einer anderen Stadt betreut werden muss. In jedem Fall lohnt es sich zeitlich und finanziell nicht, eine Wohnung anzumieten oder zu kaufen und als gemütliches Heim einzurichten. Gewohnt wird häufig in einem modernen Boardinghouse, das kurzfristig verfügbaren, komfortablen Wohnraum für einen begrenzten Zeitraum bietet.

Diese oft hip und funktionell eingerichteten Appartement-Hotels werden immer beliebter. Hier können die Gäste auf kleinem Raum wohnen, arbeiten, kochen, essen und schlafen. Teilweise stehen ihnen hotelähnliche Leistungen zur Verfügung. Anders als im Hotel profitieren die Bewohner jedoch von einem hohen Maß an Privatsphäre und Individualität sowie Rahmenbedingungen, die zielgenau auf die Bedürfnisse der karrierebewussten jungen Leute zugeschnitten sind.

Kein Wunder, dass sich das Segment im Aufwind befindet. Laut Handelsblatt wurden 2017 rund 12,8 Millionen Übernachtungen in Boardinghouses gebucht. Das bedeutet einen Anstieg von knapp 33 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Gleichzeitig steigt auch das Angebot rasant. So sei der Markt für Boardinghouses 2017 um etwa 30 Prozent gewachsen, für 2019 gibt die Wirtschaftszeitung ein Wachstum von weiteren 40 Prozent an.

Aktuell baut die myBoardinghouse Herzogenrath GmbH & Co.KG. in Zusammenarbeit mit der Bauprojektentwicklung Schwarz Immo GmbH auf einem zentralen, in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof gelegenen Grundstück in Herzogenrath ein fünfgeschossiges Appartementhaus in Holzbauweise. Insgesamt 59 Appartements mit Größen zwischen 32 m² und 52 m² sind in dem Bau mit einer Grundfläche von ca. 1270 m² untergebracht. Jeweils 16 Wohneinheiten sind im Erdgeschoss, im ersten und im zweiten Obergeschoss angeordnet. Im 3. Obergeschoss befinden sich neun Appartements sowie die Technik und Wasch- bzw. Trockenräume. Zwei weitere rollstuhlgerechte Appartements sind im vierten Obergeschoss eingeplant.    

Der vom Architekturbüro Claudia Weber aus Geilenkirchen in Zusammenarbeit mit dem Holzbau-Sachverständigen Stefan Schebesta geplante Bau wird über zwei Treppenhäuser auf der Nord- bzw. Südseite erschlossen. Sie werden ebenso wie der Aufzugschacht im nördlichen Treppenhaus, das gleichzeitig den Haupteingang bildet, in Stahlbetonbauweise erstellt. Der barrierefrei Zugang ist seitlich über eine Rampe von der Grünanlage aus vorgesehen. Die Wände der einzelnen Geschosse dagegen entstehen in Holzrahmenbauweise. Dabei werden die tragenden und nichttragenden Innen- und Außenwände mit einer brandschutztechnisch wirksamen Bekleidung aus fermacell® Gipsfaser-Platten realisiert. Die Decken sind als Holzmassivdecken mit sichtbarer Untersicht geplant.

Das Brandschutzkonzept

Mit Abmessungen von ca. 46,18 m x 27,51 m sowie einer Fußbodenhöhe des obersten Aufenthaltsraumes von 12 m über Straßenniveau und Nutzungseinheiten von <400 m² wird das Gebäude gemäß der zum Zeitpunkt der Antragstellung gültigen BauO NRW 2000 als Gebäude mittlerer Höhe eingestuft und entspricht damit der Gebäudeklasse 4. Nach § 29 Abs. (1) der BauO NRW 2000 müssen in dieser Gebäudeklasse tragende Wände, Pfeiler und Stützen feuerbeständig, also in F90-A-Qualität hergestellt werden. Das bedeutet, dass die tragenden und aussteifenden Teile aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen müssen. Geplant war jedoch, die fünf oberirdischen Geschosse des Gebäudes in Holzmassivbauweise auszuführen.

Das Sachverständigenbüro Dehne, Kruse Brandschutzingenieure GmbH & Co. KG aus Braunschweig hat dazu ein individuelles Brandschutzkonzept erarbeitet, das von diesen Vorgaben abweicht. Auf Basis einer umfassenden Risikobewertung des gesamten Bauvorhabens weisen die Sachverständigen in einem individuellen, ganzheitlichen Brandschutzkonzept nach, dass durch geeignete Kompensationsmaßnahmen und durch das Zusammenwirken von baulichen und anlagetechnischen Maßnahmen die allgemeinen bauaufsichtlichen Schutzziele der nordrheinwestfälischen Bauordnung auch dann erreicht werden, wenn tragende Wände, Pfeiler und Stützen nicht in F90-A-Qualität ausgeführt werden.

Als Begründung verweisen sie auf die beiden massiven Treppenhäuser im Norden und Süden der Anlage. Damit kann in den unteren Geschossen die Forderung nach zwei voneinander unabhängigen, möglichst entgegengesetzt liegenden Flucht- und Rettungswegen erfüllt werden, die mit Längen von maximal 32 m deutlich unter den zulässigen 35 m bleiben. Lediglich im Dachgeschoss ist der zweite Fluchtweg über die Dachterrassen mit Drehleitern der Feuerwehr zu gewährleisten.

Die Sachverständigen verweisen darauf, dass die Holztragkonstruktion wegen der fehlenden Einkapselung der Holzdecke durch nichtbrennbare Bekleidungen früher am Brandgeschehen teilnimmt. Dieses Risiko wird jedoch durch die kleinen und übersichtlichen Nutzungseinheiten von 32 bis 52 m² minimiert, die mit hochfeuerhemmenden Trennwänden abgeteilt werden. Dies sowie die flächendeckende Installation von Rauchwarnmeldern ermögliche es, einen eventuellen Brand schnell zu entdecken. „Durch die Kleinteiligkeit der Wohneinheiten“, heißt es im Gutachten, „wird die Brandbekämpfung bzw. das Auffinden vermisster Personen im Brandfall erheblich erleichtert.“ Die beiden Stahlbeton-Treppenhäuser würden außerdem wirksame Löscharbeiten ermöglichen, zumal das Gebäude selbst durch seine innerstädtische Lage für die Feuerwehr gut erreichbar ist und ausreichende Hydranten zur Löschwasserentnahme vorhanden seien.

In Kombination mit diesen anlagetechnischen und organisatorischen Maßnahmen halten die Sachverständigen eine von der BauO NRW 2000 abweichende hochfeuerhemmende statt feuerbeständige Ausführung der tragenden und aussteifenden Wände für unbedenklich, die durch Bauteile in F60-B K260 sichergestellt werden kann. „Zur Kompensation der Verwendung brennbarer Baustoffe für die tragenden und aussteifenden Wände,“ heißt es im Brandschutzkonzept, „erhalten diese eine Brandschutzbekleidung der Kapselklasse K260 gemäß DIN EN 13501-2 in Anlehnung an die Musterholzrichtlinie.“ 

Eine Entzündung der Holztragglieder vor der sechzigsten Minute kann damit zuverlässig ausgeschlossen werden. Gleichzeitig dient die Anforderung K260 dazu, einen Brandeintrag in die Bauteile bei einem Brandereignis in einer Nutzungseinheit zu verhindern und den zusätzlichen Eintrag von Brandlasten auszuschließen. „Damit“, so der Sachverständige, „besteht für mindestens 60 Minuten nach Brandbeginn eine Gleichwertigkeit der Konstruktion zu einer massiven Stahlbeton- oder Mauerwerksbauweise.“ 

Die Decken werden ebenso wie die Außenwände statisch auf Abbrand mit einem Feuerwiderstand von 60 Minuten bemessen. Die Außenwände erhalten abweichend eine brandschutztechnisch wirksame Bekleidung aus nichtbrennbaren Baustoffen in K230 gemäß DIN EN 13501-2 in Anlehnung an die Musterholzrichtlinie. Eine Entzündung vor der dreißigsten Minute kann damit zuverlässig ausgeschlossen werden.

Wandkonstruktionen

Umgesetzt werden die Vorgaben des individuellen Brandschutzkonzeptes mit fermacell® Gipsfaser-Platten. Die Gipsfaser-Platten des Herstellers JamesHardie gewährleisten je nach Konstruktion Brandschutz bis zur Feuerschutzklasse F120 und sind gemäß der DIN EN 13501 als nichtbrennbarer Baustoff der Baustoffklasse A2 klassifiziert. Gleichzeitig mit dem geforderten Brandschutz erfüllt fermacell® alle Anforderungen, die an moderne Wände gestellt werden. Die Platten, die aufgrund ihrer hohen Stabilität im Holzbau sowohl tragend als auch aussteifend verwendet werden können, bieten mit ihrer homogenen Struktur auf Grund ihrer Faserarmierung (recycelte Papierfasern) eine hohe mechanische Beanspruchbarkeit und stellen mit Material- und Verarbeitungseigenschaften, die dem Holz sehr ähnlich sind, eine gute Ergänzung zur Holzunterkonstruktion dar.

Innenwände

Sämtliche Wohnungstrennwände sowie die Trennwände zwischen den Nutzungseinheiten und anders genutzten Räumen werden gemäß Brandschutzgutachten als tragende Holzwände in F60-B und K260 Kapselung hergestellt. Sie erhalten beidseitig eine doppelte Beplankung aus 1 x 15 mm und 1 x 18 mm fermacell® Gipsfaser-Platten mit darunter angeordneter Dämmung aus 30 mm bzw. 180 mm dicker Mineralwolle (Baustoffklasse A1, nichtbrennbar, Schmelzpunkt > 1.000 °C) sowie einer 15 mm dicken Holzwerkstoffplatte. Die 15 mm dicken fermacell® Platten der unteren Lage werden stumpf gestoßen, während die Plattenstöße der 18 mm Platten mit dem Fugenkleber fermacell™ greenline geklebt werden. Die Konstruktion erfüllt die Anforderung REI 60/K260 und bietet mit Rw[dB]=54,2 guten Schallschutz.

Außenwände

Die raumseitige Beplankung der Außenwände erfolgt mit 1 x 18 mm fermacell® Gipsfaser-Platten. Eine einfache Lage aus 12,5 mm dicken fermacell® Gipsfaser-Platten, welche als Trägerplatte für das anschließend aufzubringende Wärmedämmverbundsystem dient, schließt die Konstruktion nach außen ab. Die Plattenstöße werden jeweils mit dem Fugenkleber fermacell™ greenline geklebt. Zur Dämmung im Wandhohlraum kommt 200 mm dicke Mineralwolle (Baustoffklasse A1, nichtbrennbar, Schmelzpunkt > 1.000 °C) in Kombination mit einer Hochleistungs-Dampfbremse zum Einsatz. Den Abschluss der Außenwandkonstruktion bildet ein nichtbrennbares Wärmedämmverbundsystem (60 mm) mit einem mineralischen Oberputz in 8 mm Dicke. Die Konstruktion ist als REI 60/ K260 K230innen klassifiziert und bietet einen Schalldämmwert von Rw[dB]=47. Da sich an die Grundstücksgrenzen öffentliche Wegeflächen anschließen, ist eine Bebauung, die dichter als 5 Meter an das Gebäude heranreicht, ausgeschlossen.

Anschlüsse

Damit eine ausreichende Rauchdichtigkeit gewährleistet ist bzw. um eine Brandausbreitung über die Anschlussfugen zu verhindern, werden die Anforderungen der aktuell gültigen M-HFHHolzR in die Planung einbezogen. Entsprechend ist in den Anschlussbereichen die Brandschutzbekleidungen der Bauteile mit Fugenversatz, Stufenfalz oder Nut- und Federverbindungen so ausgebildet, dass keine durchgängigen Fugen entstehen, damit eine Entzündung der Tragstruktur ausgeschlossen wird. Die Verbindung der Wand-Wand-Anschlüsse erfolgt ebenso wie die Anschlüsse der Wände an die Decken kraftschlüssig mit Schrauben. Grundsätzlich bieten hier Holzbauteile Vorteile gegenüber der Stahlleichtbauweise, da sie im Brandfall eine geringere thermische Dehnung aufweisen, was den Durchgang von Rauch- und Brandgasen in den Anschlussbereichen wirkungsvoller unterbindet.

Um eine Brandentstehung innerhalb der Holztragkonstruktion durch Installationen weitgehend auszuschließen, werden alle Installationsbrandlasten gebündelt in der Vorwand-ebene geführt. Die Durchführung von Leitungen in andere Nutzungseinheiten erfolgt mit geeigneten Abschottungen. 

Vorfertigung

Sämtliche Holztafelelemente wurden unter idealen Bedingungen in den Werkstätten der ADAMS Holzbau-Fertigbau GmbH in Niederzissen vorgefertigt. Das inhabergeführte, mittelständische Unternehmen steht seit nunmehr fünf Generationen für handwerkliches Können und Qualität im Umgang mit Holz und bietet über 25 Jahre Erfahrung im Holzrahmenbau. Die fertiggestellten Elemente kamen stockwerkweise punktgenau per Tieflader zur Baustelle, so dass sie sofort montiert werden konnten. Durch die sehr genaue Vorplanung und den hohen Vorfertigungsgrad war eine schnelle und reibungslose Abwicklung auf der Baustelle gewährleistet. Ein cleveres, speziell für die Gegebenheiten vor Ort entwickeltes Markierungssystem erleichterte dabei die Zuordnung der einzelnen Elemente und vereinfachte die Montage zusätzlich. So konnten sämtliche Wände einer jeden Etage innerhalb von nur zwei Tagen montiert werden. Für die Fertigstellung des gesamten Rohbaus mit fünf Stockwerken wurden insgesamt 11 Wochen benötigt. 

Fazit

In der Vergangenheit hat die Realisierung verschiedener mehrgeschossiger Holztafelbauten – insbesondere in den Gebäudeklassen 4 und 5 – gezeigt, dass bezüglich des brandschutztechnischen Sicherheitsniveaus keine signifikanten Unterschiede zu Massivbauten aus Stahlbeton oder Mauerwerk bestehen, sofern entsprechende konstruktive Maßnahmen zum vorbeugenden Brandschutz geplant und umgesetzt werden. Das Boardinghouse in Herzogenrath fügt sich nahtlos in diese Reihe wegweisender Holzbauten ein und leistet damit einen weiteren Beitrag auf dem Weg zur grundsätzlichen Etablierung der Holzbauweise. Die Schutzziele der nordrheinwestfälischen Bauordnung, die eine feuerbeständige Ausführung der tragenden Wände, Pfeiler und Stützen vorsieht, konnten entsprechend eines individuellen ganzheitlichen Brandschutznachweises durch eine hochfeuerhemmende Ausführung der Konstruktion mit fermacell® Gipsfaser-Platten erfüllt werden. Weitere Vorteile sind kurze Bauzeiten und damit eine schnelle Nutzungsmöglichkeit in Verbindung mit einer hervorragenden Ökobilanz.

Bautafel

Investor/Bauherr: myBoardinghouse Herzogenrath in Zusammenarbeit mit der Bauprojektentwicklung Schwarz Immo

Nutzung: Kurzzeitwohnen/Appartementhotel

Wohneinheiten: 59 Appartements

Abmessungen: 46,18 m x 27,51 m, Fußbodenhöhe des obersten Aufenthaltsraumes von 12 m über Straßenniveau

Planung: Architekturbüro Claudia Weber aus Geilenkirchen in Zusammenarbeit mit dem Holzbau-Sachverständigen Stefan Schebesta

Brandschutz: Dehne, Kruse Brandschutzingenieure, Braunschweig

Holzbau: ADAMS Holzbau-Fertigbau, Niederzissen
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