Bergab geht es flotter als bergauf

Der ehrenamtliche BFW-Präsident Dirk Salewski spricht Klartext. Diesmal geht es um den „Kipp-Punkt“ in der Baubranche.

Viel war in jüngster Zeit über die Kipppunkte zu hören und zu lesen. Wir befinden uns zurzeit an einem solche Kipppunkt in der Baubranche in Deutschland. Kipppunkte zeichnen sich dadurch aus, dass ein Zustand unumkehrbar in einen anderen Zustand übergeht. In der Regel handelt es sich um einen kritischen Punkt, an dem eine kleine Änderung des Systems – auch durch Unterlassung – einen großen Einfluss auf das Verhalten des Systems hat. Zudem haben die Kipppunkte unvorhersehbare und unerwünschte Folgen für die Systeme, die sie betreffen. So die Theorie.

Nun ist der Wohnungsbau, wie wir wissen, ein System von enormer Komplexität. Wirtschaftliche, rechtliche und technische Aspekte bestimmen es, um nur ein paar zu nennen. Alles ist miteinander verknüpft und verwoben. Und dazu kommt: Es ist eigentlich auch ein enorm langsames System, jede Veränderung macht sich erst nach einer gewissen Zeit bemerkbar. Bauprojekte erleben bekanntlich eine längere Reise vom Einzelprojekt zur Planungsphase, zur Vorbereitungsphase, zu der Aufstellung der Bauleitplanung, zur Genehmigungsphase, zur Umsetzungsphase, der Bauzeit und erst dann ziehen die Leute in ihr neues Zuhause ein. Alle, die schon einmal gebaut haben, wissen das Bauen ein durchaus längerer Prozess ist.

Was allerdings schnell geht, ist der Zusammenbruch von Systemen. Wir befinden uns im Moment vor einem Kipppunkt der Baubranche, deren Folge unter anderem auch ein rasant schneller Abbau von Arbeitsplätzen sein wird. Diese Arbeitsplätze, einmal weg, kommen so nicht wieder. Vor allem dauert der Wiederaufbau von Know-how und Fertigkeiten sehr lang.

Was wir in Deutschland aber haben, ist ein Mangel an bezahlbaren Wohnraum. Und wir benötigen dringend Kapazitäten, um diesen Wohnraum zu schaffen. Fehlen uns dafür die Kräfte, sobald sich gewisse Parameter, wie Bauzinsen, Inflation, Baupreise – wieder vorteilhafter entwickeln, können wir nicht in dem nötigen Maße loslegen. So weit so klar.

Dieses Phänomen wird auch als der Seneca-Effekt beschrieben. Der römische Philosoph Lucius Annaeus Seneca schrieb und das passt ziemlich gut auf unsere heutige Zeit: „Es ist nicht, dass wir zu wenig Zeit haben, sondern dass wir zu viel davon verschwenden.“

Der Abbau von Arbeitsplätzen verläuft bis zu sechsfach schneller als die Wiedergewinnung von Beschäftigten, ich empfehle ihnen die Studie von Prof. Walberg hierzu. Das wird niemanden überraschen: Bergab geht es flotter als bergauf. Das ist nicht anders als beim Schlittenfahren.

Und wir haben es alle selbst erlebt: In der Pandemie haben sich die Beschäftigten in der Gastronomie umorientiert und die wenigsten sind zurückgegangen in ihre alte Tätigkeit. Die Folge: Überall suchen Gastronomen händeringend nach Personal. Wenn in unserer Branche allerdings die Leute fehlen, wartet man nicht etwas länger auf sein Getränk oder Essen. Bei uns fehlt dann (bezahlbarer) Wohnraum. Mit allen negativen Konsequenzen für unsere Gesellschaft.

Wir müssen also die Leute halten, die uns aus der Krise herausbauen können. Sonst wird es ungemütlich. Für die in den zu kleinen Wohnungen, für die mit gar keinen Wohnungen. Und nicht zuletzt auch in unserer Gesellschaft als Ganzes. Der Mangel an Wohnraum ist der soziale Sprengstoff der aktuellen Zeit. Das Ziel kann also nur lauten, den Laden bis dahin am Laufen zu halten, bis die widrigen äußeren Umstände sich zum Besseren wenden.

Hören wir also auf den alten Römer und verschwenden wir keine weitere Zeit!

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