Wohnungen statt Hochbunker

Angesichts der Flächenknappheit in Hamburg wird die Reaktivierung von Bunkergrundstücken zunehmend attraktiv für den Wohnungsbau. Die Herausforderung besteht darin, neben der Schaffung neuer Wohnungen, auch die bauhistorischen Aspekte im Prozessgeschehen zu berücksichtigen. Mit dem richtigen Fingerspitzengefühl kann es gelingen.

Wer täglich über den Ring 2 von Eppendorf nach Altona fährt, hatte sich längst an den Anblick des 20 m hohen Bunkers an der Ecke Schulweg/Henriettenstrasse gewöhnt. Der graue Klotz stand dort seit 1942 und ist einer von über 650 Schutzbauten gewesen, die der Hansestadt als Hinterlassenschaft aus dem Zweiten Weltkrieg geblieben sind. Rund Dreiviertel davon sind unterirdische Röhrenbunker, die teilweise zugeschüttet wurden oder unter Wasser stehen. Die Grundstücke auf denen sich dagegen Hochbunker befinden, sind begehrt wie nie. Denn häufig liegen sie in beliebten Stadtvierteln, in denen dringend Wohnraum benötigt wird. Für die Projektentwicklung ergibt sich daraus ein interessantes Spannungsfeld zwischen einer zukunftsorientierten Stadtentwicklung einerseits und einem differenzierten Umgang mit der Baugeschichte andererseits. Die Neubebauung von zwei Bunkergrundstücken in Eimsbüttel zeigt, wie sich beides miteinander kombiniert lässt. 

Bei der Flächenaktivierung ist Einfallsreichtum gefragt

Überraschen kann den Wohnimmobilien-Entwickler Simon Vollmer bei der Revitalisierung von innerstädtischen Konversionsflächen nichts. Ob ein überaltertes Gefängnisgebäude in Wandsbek, ein ehemaliges Güterbahnhofsgelände in Winterhude oder die Altlasten einer Müllkippe im südlich der Elbe gelegenen Eißendorf - für jedes Grundstück finden er und sein Team eine Lösung, die zeitgemäßen Wohnungsbau ermöglicht. Das Areal mit dem „Henriettenbunker“ in Eimsbüttel passt demnach genau ins Repertoire. „Angesichts der geringen Anzahl an noch verfügbaren Flächen in begehrten Wohnlagen, muss man eben Fantasie entwickeln und neue Wege gehen“, kommentiert der Geschäftsführer der wph Wohnbau und Projektentwicklung Hamburg (wph) seinen ungewöhnlichen Immobilienkauf. Das vom Hamburger Senat in 2011 angestrebte Ziel, jährlich 6000 Wohnungen zu schaffen, ist im vergangenen Jahr mit 10.328 gut erreicht worden, wie die jüngst vom Statistischen Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein veröffentlichten Zahlen belegen. Lediglich 1313 sind davon in Eimsbüttel entstanden. In Anbetracht der anhaltend hohen Nachfrage nach Wohnraum im zweit dicht besiedelten Stadtteil der Hansestadt, ist Einfallsreichtum bei der Flächenreaktivierung also nicht verkehrt. 

Umfangreiches Maßnahmenpaket begleitete den Bunkerabriss

Möglich wurde die Neuausrichtung des Bunkergrundstücks durch die Aufhebung der Zivilschutzbindung des ursprünglich im Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) befindlichen Objektes mit einer Grundfläche von etwa 400 m² und mehr als ein Meter dicken Wänden. Bautechnisch bestand die Herausforderung darin, ein Konzept für den Abbruch zu entwerfen, das zum einen die Sicherheit gewährleistete und zum anderen die Interessen der umliegenden Nachbarn berücksichtigte.

Um den Abriss des Ungetüms in unmittelbarer Nähe der Einkaufsmeile Osterstrasse für Mensch und Umwelt möglichst schonend zu gestalten, wurde ein Lärmkonzept durch das renommierte Hamburger Beratungsbüro für Akustik Dr. Gert Jacobi angefertigt und darauf aufbauend ein umfangreiches Maßnahmenpaket entwickelt: Das Bauwerk wurde mit einem extra für derartig emissionsintensive Arbeiten konzipierten Spezialgerüstsystem komplett ummantelt, das eine staubdichte Ausführung von Abbrucharbeiten erlaubt. Die Sprengungen, mit denen der Stahlbeton Stück für Stück gelockert wurde, erfolgte zwei Mal täglich durch ein auf Sprengarbeiten spezialisiertes Unternehmen. Zeitweise mussten die vorbeiführende Hauptverkehrsstrasse und die naheliegende Kreuzung gesperrt werden, um den benötigten Räumbagger und den Betonzerkleinerer per Kran auf den Bunker zu heben. Flankiert von diesen Vorkehrungen „fraßen“ sich Sprengmeister und Baumaschinen fast neun Monate durch den grauen Klotz. Sukessive wurde der Schutt dann abtransportiert.

Anwohner wurden frühzeitig eingebunden

Darüber hinaus erwies sich die frühzeitige Einbindung von Anwohnern und unmittelbar betroffenen Geschäftsleuten als positiv. Besonders das Engagement der Mitarbeiter des Abbruch- und Sprengunternehmens hat zur Akzeptanz der Abbrucharbeiten beigetragen: Zum Beispiel durften die Nachbarn in Begleitung der Fachleute per Bauaufzug auf das Dach des Bunkers und ihren Stadtteil von oben besichtigen und Fotos machen. Diese „aktive Teilnahme“ am Geschehen entschädigte denn auch für das monatelange Ungemach. Dass das Procedere so reibungslos vonstatten gegangen ist, führt Vollmer auf die gemeinsame Konzeption des anspruchsvollen Vorhabens unter Mitwirkung aller Beteiligten zurück. Neben der guten Zusammenarbeit mit dem Abbruch- und Sprengunternehmen Ehlert & Söhne, habe die Kommunikation mit den Verantwortlichen in der Bezirksverwaltung zum Gelingen beigetragen. „Die umsichtige Vorgehensweise ist mit entscheidend dafür, dass zügig neuer Wohnraum in Eimsbüttel geschaffen werden kann“, begrüsst Bezirksamtleiter Dr. Torsten Sevecke den positiven Verlauf. Mittlerweile sind die Hochbauarbeiten für die 30 neu entstehenden Eigentumswohnungen begonnen worden.

Bunkerhistorie für die Nachwelt erhalten

Kommunikation ist auch für Michael Berndt vom gemeinnützigen Verein Hamburger Unterwelten der Schlüssel, wenn es um die Vermittlung der baugeschichtlichen Bedeutung von Schutzbauten geht. Die ehrenamtlich engagierten Mitglieder der Gesellschaft zur Erforschung und Dokumentation unterirdischer Bauten, tragen in mühevoller Kleinarbeit Fakten und mündliche Quellen zusammen, die Auskunft über die grauen Betonriesen geben und archivieren die Informationen. Außerdem organisiert der Verein regelmäßig Führungen durch ausgewählte Bauten. Doch seit die Hochbunker-Grundstücke für den Wohnungsbau interessant geworden sind, fürchtet er, dass viele den Sprengmeistern zum Opfer fallen. Um so mehr freut ihn die Offenheit, die der Wohnbau-Entwickler für das Thema hat. Denn der kontaktierte ihn und fragte, ob der Verein Interesse daran hätte, die Historie des „Henriettenbunkers“ vor dem Abriss zu dokumentieren und Führungen zu unternehmen - ein nicht alltägliches Angebot von einem Immobilien-Projektentwickler. Sicherlich wollte Berndt und sagte zu.

In den vergangenen zwei Jahren hat sich die gute Zusammenarbeit zwischen den beiden bewährt, so dass der Verein auch im Vorfeld des zweiten Bunkerprojektes eingebunden ist, das Vollmer gerade in Eimsbüttel in der Müggenkampstrasse begonnen hat. Zum Projektbeginn fand vor wenigen Wochen das gemeinsam organisierte Bunker-Event mit Grillfest für geladene Gäste statt, inklusive Besichtigung mit Kurzvortrag. Das 19 m hohe, würfelförmige Ungetüm mit Außenwänden von über einem Meter aus den Jahren 1941/42, sollte bei den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs 1127 Menschen Schutz bieten. Tatsächlich drängten sich während der Angriffe etwa 2 bis 3 mal so viele Menschen in dem Bau. Verbaut wurden unter anderem 3000 cbm Stahlbeton, 350 t Eisen und 1828 t Zement. Während der Nachkriegszeit dienten die unteren drei Geschosse als Getränkehandel. In den 1980iger Jahren wurde das Gebäude technisch Instand gesetzt und zum Schutz vor ABC-Waffen nachgerüstet. Ausgerüstet wurde der Bunker allerdings nur für die kurzzeitige Unterbringung von rund 1858 Personen, weshalb sich keine Sitz- oder Liegegelegenheit darin befinden, sondern lediglich Betonfussboden.

Differenzierter Umgang mit baulichem Erbe notwendig

Bunker-Experte Berndt begrüßt die erneute Kooperation, denn das Interesse an Hochbunkern und ihren Geschichten sei bei den Bürgern groß. „Schutzbauten sind ein interessantes und wichtiges Stück Bau- und auch Kulturgeschichte und erinnern an das dunkelste Kapitel unserer Vergangenheit. Ihre Biografie gilt es zu bewahren“, sagt der Fachmann. Doch Archivmaterial ersetze nicht das „Live-Erlebnis“, merkt er an. Den jetzigen Trend, Bunker zugunsten von Wohnbauten aufzugeben, beobachtet er denn auch mit Sorge und hofft auf eine differenzierte Umgangsweise mit dem baulichen Erbe. Es müsse doch unterschieden werden zwischen denkmalhistorisch relevanten und unbedingt erhaltenswerten Bauwerken und solchen, die über keine besonderen Charakteristiken verfügen, zum Beispiel Wandmalereien, zeitgenössisches Mobiliar oder erhaltene technische Anlagen aus den 1940iger Jahren. Unter diesen Gesichtspunkten seien die Hochbunker in der Henriettenstrasse und in der Müggenkampstrasse wenig spektakulär und können aufgegeben werden. Jedoch sollten nachfolgende Generationen die Gelegenheit haben, in weitestgehend original erhaltenen Bunkern die beklemmende Atmosphäre im Inneren nachempfinden zu können.

Für das junge Team der wph sind Schutzbauten in jedem Fall eine besondere Herausforderung - und zwar nicht nur wegen ihrer speziellen Anforderungen an die bauliche und finanzielle Projektentwicklung. Gerade die Geschichten über die Gebäude sind faszinierend. „Als Hamburger bin ich selbst an der Historie des jeweiligen Bunkers interessiert und halte es für selbstverständlich, ihre Geschichte für Interessierte zu bewahren“, sagt Vollmer. Wenn auch nicht physisch im Stadtbild, so bleiben sie durch Dokumente und Fotomaterial für die Nachwelt erhalten. Ein sinnvoller Kompromiss, der historisches Erbe und heutige Erfordernisse gleichermaßen berücksichtigt.

Der Heriettenbunker war einer von über 650 Schutzbauten, die Hamburg als Hinterlassenschaft aus dem Zweiten Weltkrieg geblieben sind.

Die Grundstücke auf denen sich Hochbunker befinden, sind begehrt wie nie. Denn häufig liegen sie in beliebten Stadtvierteln, in denen dringend Wohnraum benötigt wird.

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