Vom Stiefkind zum Wunschbaby

Früher war alles einfach: Der Architekt schickte eine Ausschreibung, mehrere Elektrohandwerker machten ein Angebot, einer erhielt den Zuschlag, danach folgten Schlitzen und Stemmen. Fertig war die Elektroinstallation. Heute ist alles anders: Angesichts der Komplexität von Gebäuden und den veränderten Wünschen von Seiten der Bauherren, ist eine ausführliche Beratung das A und O.

Wer eine frühzeitliche Elektroinstallation bestaunen möchte, dem sei ein Besuch der Wohnungen im historischen Hamburger Gängeviertel empfohlen. In den muffig-feuchten Räumen unweit des Jungfernstieg lassen sich elektrische Archäologiefunde aus unterschiedlichen Epochen besichtigen: Bakelit-Lichtschalter mit Dreh- und Kippbedienung, Einfach- und Mehrfach-Steckdosen in diversen Beige- und Brauntönen sowie höchst abenteuerliche Verdrahtungen in Verteilerkästen, an die sich selbst Fachleute nur bei abgeschalteten Stromkreisen wagen.

Hier ist die Zeit in der nachkriegsdeutschen Wohnidylle stehengeblieben. Damals bedeutete eine Elektroinstallation, dass das Licht brennt. Auch wenn die Schalterprogramme seitdem mit neuen Designs aufgepeppt wurden und Häuslebauer zwischen Kunststoff, Edelhölzern und Straßsteinbesatz wählen können, hat sich wenig am ihrer Funktionalität geändert. Bis in die 2000er Jahre bestand der Komfort lediglich in Schalter-ein-und-aus. An einen „intelligenten“ Einsatz dachten weder Bauherren noch das Elektrohandwerk. Genauso wenig, wie an eine integrierte Gebäudeplanung unter Einbindung der Haustechnik. Seitdem die Elek-trotechnik immer mehr mit IT-Technologien verschmilzt, beginnt sich diese Auffassung zu ändern.

Heute ist die Elektroinstallation auf dem Weg vom Stiefkind zum Wunschbaby und schickt sich an, eine der wichtigsten Planungsin-stanzen zu werden. Denn wer im Zeitalter von Energieeffizienz und nutzerfreudlichen Gebäuden plant und baut, kommt um eine zukunftsorientierte Elektrotechnik nicht herum. Das macht allerdings ein Umdenken bei allen am Bau Beteiligten und darüber hinaus mit Immobilien befassten Professionen notwendig. Betroffen davon ist die Zusammenarbeit mit Bauherren und Architekten, die Kommunikation der Gewerke untereinander und nicht zuletzt die Aus- und Weiterbildung im Elektrohandwerk.  

Beraten statt schlitzen

10 Uhr vormittags in einem mittelständischen Betrieb für IT- und Elektrotechnik in Hamburg. Hauke T. hat gerade eine einstündige englischsprachige Schulung zu einem Smart Home-Produkt hinter sich und werkelt an der Programmierung herum. Mittags will er damit fertig sein, denn am Nachmittag soll das Teil in die vorhandene Hausautomation eines Bauherrn integriert werden. Der Architekt hat sich ebenfalls angekündigt, um zu schauen, ob und wie das funktioniert. Für den Elektrotechniker alles Routine. Der Jungspund hat sich bereits während der Ausbildung für alles interessiert, was „smart“ ist. Elektrotechnik ohne IT ist für ihn, wie Spaghetti ohne Soße.

Wenn sein Chef allerdings einen Blick auf die Weiterbildungskosten wirft, wird im schwindelig. Eine fünfstellige Summe hat sich 2014 angehäuft, damit sein 8-köpfiges Team aus Elektrotechnikern, Systemintegratoren und IT-lern auf dem Laufenden bleibt. Praktisch jeden Monat drückt jemand von ihnen die Schulbank, um über die neuesten Entwicklungen bei  Automationssystemen, Programmen, Protokollen und Standards informiert zu bleiben. Hinzu kommt die Zeit, die im Betrieb für das Ausprobieren neuer Elektrolösungen investiert wird.

Dabei hat der Geschäftsführer mit seiner Truppe Glück. Keiner ist älter als 30 und alle brennen für die Sache. Sie saugen die News quasi auf, wie ein Schwamm. Seit 1979 ist der Mittelständler mit IT-Dienstleistungen am Markt. Vor gut zwölf Jahren hat er sich zusätzlich auf die  „intelligente“ Elektrotechnik spezialisiert und erste Erfahrungen mit Smart Homes gesammelt.

Wurde er damals als Exot von seinen Innungskollegen verlacht, gilt er heute als einer der Experten in Sachen Vernetztes Wohnen in der norddeutschen Metropolregion. Job-Bewerber, die bei ihm vorstellig werden, melden sich explizit aus diesem Grund. Heymanns Erfahrungen sind exemplarisch für den Wandel des Elektrohandwerks, das sich zwar nach wie vor zu den Zünften zugehörig fühlt, aber längst zur Kategorie Wissensarbeit zählt.  

Bei der Beratung geht es um mehr, als Tech­­nik zu erklären. Wie sollen die Räume des Hauses oder der Wohnung jetzt und in Zukunft genutzt werden? Wie lassen sich die damit verbundenen wechselnden Funktionalitäten realisieren? Und wie hoch sind die Investitionskosten und die eventuellen Aufwendungen für den späteren Betrieb? Das sind die Fragen, auf die das Team von Heymann Antworten finden muss. Wenn es gut läuft, erhalten sie dazu die Chance, bevor die Planungen abgeschlossen sind. Oder – und das kommt auch nicht selten vor – erst nachdem die Bauarbeiten begonnen haben. Elektroplanung im Jahr 2015 ist kein einfaches Unterfangen, doch es wird ständig besser.

Standard oder intelligent

Der aktuelle elektrotechnische Stand der Dinge in Wohngebäuden ist der einer konventionellen Elektroinstallation nach DIN 18015-2 „Elektrische Anlagen in Wohngebäuden, Teil 2: Art und Umfang der Mindestausstattung“. Unterteilt in drei Kategorien, gibt sie die Anzahl der Steckdosen, Beleuchtungs- und Kommunikationsanschlüsse sowie die dafür erforderlichen Stromkreise vor. Diese Norm ist sozusagen die Grundkonfiguration, mit der An- und Ausschalten möglich ist. Wer mehr Funktionalität haben möchte, wählt eine der drei „Plus“-Varianten, die auf die DIN 18015-4 vorbereiten, die Anwendung für Gebäudesystemtechnik. Mit ihr wird die „dumme“ Elektroinstallation „intelligent“.

Dieses Upgrade ist mit Mehrkosten verbun­­den, wie jeder zusätzliche Aufwand, weshalb die Plus-Installationen eher die Ausnahme sind. Doch die „Intelligenz“ aus Kostengründen außer acht zu lassen, könnte sich in Zukunft als zu kurz gesprungen herausstellen. Denn wie wichtig es für Bauherren und Planer ist, sich trotzdem mit den Hintergründen einer zeitgemäßen Elektroausstattung zu beschäftigen, wird deutlich, wenn man die rasante Entwicklung rund um den Themenkomplex Smart Home vor Augen führt. Hier geht es längst nicht mehr um kostspieligen Technik-Spielkram, sondern um die Frage, wie Wohngebäude elektrotechnisch zukunftsfähig werden.

Seit Jahren wird der Durchbruch von Smart Home prophezeit. So rechnet der Branchenverband BITKOM bis 2020 mit einer Million „schlauen“ Haushalten in Deutschland. Auf der diesjährigen CES, der weltweit bekanntesten Messe für Konsumelektronik in Las Vegas, überboten sich die Hersteller mit smarten Lösungen, die den Alltag angenehm machen sollen. Es wimmelte nur so von Brillen, Uhren, Drohnen, TV-Geräten oder Kindersitzen, die sich per Smartphone aus der Ferne schaukeln lassen. Das „Internet der Dinge“ treibt bunte Blüten. Mittlerweile stellen auch gestandene Autobauer wie Mercedes und VW ihre „Connected Cars“ zwischen Software-Start-ups und Internetgiganten vor.

AAL hat Bedeutung von Elektroinstallation verändert

Wohngebäude sind in Deutschland weit von einer Vernetzung entfernt. Doch das Interesse daran steigt – und das nicht nur bei Gutbetuchten, die ihre Luxusherberge aufpeppen möchten. Auch die Wohnungswirtschaft beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit Alternativen zum althergebrachten Elektrostandard. Allerdings weniger aus Technikbegeisterung, als aus der Notwendigkeit heraus, den Wohnraum einer immer älter werdenden Mieterschaft anpassen zu müssen. Weshalb Wohnungsunternehmen den Zu­­gang zum Thema „intelligente“ Elektroinstallation häufig über Vernetztes Wohnen finden. In diesem Zusammenhang spielt das Kürzel AAL (Ambient Assisted Living) ebenfalls eine Rolle, das für die Integration von alltagsunterstützenden Funktionen in die Infrastruktur einer Elektroinstallation steht. Dass es bei Vernetztem Wohnen bzw. AAL in erster Linie jedoch nicht um die elektrotechnische Ausrüstung von Wohnungen geht, haben mittlerweile alle Beteiligten begriffen. Über Jahre ist die Erkenntnis gereift, dass es sich vor allem um ein Querschnittsthema aus Wohnungswirtschaft, Quartiers- und Sozialmanagement, Elektrotechnik, Elektrohandwerk, IT, Medizintechnik, Gesundheits- und Pflegewirtschaft handelt. Und: Der Mensch gehört in den Mittelpunkt.

Um herauszufinden, wie die vielschichtigen Aspekte und unterschiedlichen Interessen der beteiligten Akteure miteinander verwoben sind und wie sie sich unter einen Hut bringen lassen, so dass daraus am Ende eine zukunftsorientierte Elektroplanung für den Einsatz von AAL entstehen kann, wurden zahlreiche Forschungs- und Förderprogramme aufgelegt. Erwachsen ist daraus allerdings ein Forschungs- und Förderdschungel quer durch alle Ministerien, Behörden, Institute und Verbände, den selbst Fachleute kaum noch durchblicken.

Allein die Broschüre „Assistenzsysteme im Dienste des älteren Menschen“, herausgegeben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, listet 18 zwischen 2009 und 2013 geförderte Projekte auf. Von Berlin bis Augsburg wurden in der Republik 45 Mio. € zur Erforschung von altersgerechten Assistenzsystemen ausgegeben. Und das nur im Bereich „Bildung und Forschung“.

Preise und Konnektivität treiben den Markt

Elektrotechnisch entsprechend ausgestattete Leuchttürme gibt es also. Marktfähige Konzepte dagegen nicht. Oder vielleicht noch nicht. Denn der Markt für intelligente Produkte ist stark in Bewegung, wie die Messen CES, IFA, CeBIT oder Light & Building zeigen. Hier gibt es neue Lösungen für die „Wohnwelt von morgen“ im Überfluss. Zugegeben, ihr Nutzen ist häufig zweifelhaft. Ihre Kompatibilität fraglich. Und teuer sind sie obendrein.

Doch davon lassen sich aufgeschlossene Wohnungsgesellschaft und Anbieter von Pflege- und Seniorenwohnungen, wie etwa Pflegen & Wohnen in Hamburg, nicht (mehr) beirren. Für sie ist die Richtung klar: Wohnungen werden intelligent (auch Bestandswohnungen), AAL kann eine Unterstützung für ältere Mieter sein, und es geht jetzt darum, gemeinsam mit Elektroplanern und Systemintegratoren machbare und finanzierbare Lösungen zu finden, die sich über Jahrzehnte bewähren. Das KfW-Programm 159 für den altersgerechten Umbau von Wohnungen, das unter Punkt 6 „Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit, Orientierung und Kommunikation“ vorsieht und explizit altersgerechte Assistenzsysteme und intelligente Gebäudesystemtechnik nennt, kann hier hilfreich sein.

Beobachtet man zudem den enormen Preisverfall von mobilen Endgeräten in den letzten Jahren, lässt sich erahnen, dass auch smarte Wohntechnik preislich attraktiver werden wird. Das und die von Endverbrauchern zurecht erwartete Konnektivität der Produkte, treibt den Markt. Der damit bisher von vielen Investoren, Projektentwicklern und Bestandshaltern angeführte Hinderungsgrund „Smart Home sei zu teuer. Das bezahlt uns keiner“, wird in Zukunft also kein Argument mehr sein. Vielmehr werden diejenigen die Nase vorne haben, die sich frühzeitig mit der Thematik sowohl ökonomisch als auch technisch auseinandergesetzt haben und diesbezügliche Kompetenzteams vorweisen können.

Architekten vernetzen sich mit Gewerken

Auch die Architektenschaft erkennt peu à peu, dass die Bedeutung der Elektroausstattung im Wandel begriffen ist. Insbesondere die nachrückende Generation, wie zum Beispiel der „Arbeitskreis Junge Architekten“ der Hamburgischen Architektenkammer, steht einer vernetzenden Technik aufgeschlossen gegenüber. Kabelgebundene Systeme auf KNX-Basis sind für sie längst ein alter Schuh und mit funkbasierten Lösungen wie EnOcean, Zigbee oder Z-Wave setzt man sich konstruktiv auseinander. Neugierig beobachten die kreativen Baumeister auch Newcomer wie digitalSTROM, ein visionäres Produkt, das über die bereits vorhandene Stromleitung funktioniert. Wichtig sei ihnen, dass der Einsatz der Technik Sinn mache für Gebäude und Nutzer. 

Darüberhinaus haben die Jungen Spaß an der interdisziplinären Zusammenarbeit mit gleichfalls  aufgeschlossenen Gewerken. Gerade im Hinblick auf energiesparendes Bauen habe die Wichtigkeit einer modernen Haus- und Elektrotechnik zugenommen, erzählt etwa Holger Meyer von Meyer Terhorst Architekten. Andersherum findet Nick Zippel, Chef eines auf Umwelttechnik spezialisierten Gebäudetechnikunternehmens, diese Entwicklung interessant. „Seit Jahren predigen wir diese fachübergreifende Zusammenarbeit. Nun kommt sie“, freut sich der dynamische Macher. Nicht das hierarchische Top-down früherer Zeiten bestimmt den Planungsprozess, sondern zu­nehmend der dialogorientierte Austausch.

Gutinformierte Kunden sind die besten

Ein Beratungsgespräch nicht mehr bei Adam und Eva beginnen zu müssen, das ist für den alten Elektrohasen Heymann die Erkenntnis aus 2014. Ob privater Bauherr oder gewerblicher Immobilienentwickler, beide seien gut bis zum Teil sehr gut informiert und wüssten, was möglich ist. Statt Grundsatzdiskussionen zu führen, ginge man relativ zügig zu den wesentlichen Fragen über. „Unsere Aufgabe besteht darin, aus den vielen unterschiedlichen Systemen, Komponenten und Lösungen die Infrastruktur zu konzipieren, mit der das Projekt des Auftraggebers vorbereitet ist für kommende Entwicklungen.“ Dazu müsse mehr Zeit in die Vorplanung investiert werden und eine intensivere Kommunikation als bisher sei notwendig. Aber dafür würde das Ergebnis auch besser, lacht er. Ob und wie sich die Verteilung der Baukosten in den kommenden Jahren aufgrund der stärkeren Position der Elektroinstallation entwickeln wird, darauf ist er gespannt.
Währenddessen ist Hauke T. auf dem Rückweg von seinem Auftrag. Die Integration hat geklappt. Alles funktioniert. Im gemieteten Elektromobil flitzt er durch die nördliche City und kommt dabei auch am Gängeviertel vorbei. „Die Elektrik in den Wohnungen hier ist echt krass“, sagt er. Seine Generation wird die „Hamburger gute Stube“ in eine „smarte“ verwandeln.

Wer im Zeitalter von Energieeffizienz und nutzerfreudlichen Gebäuden baut, kommt um eine zukunftsorientierte Elektrotechnik nicht herum.

Es geht längst nicht mehr um kostspieligen Technik-Spielkram, sondern darum, wie Wohngebäude elektrotechnisch zukunftsfähig werden.

Wohngebäude sind in Deutschland weit von einer Vernetzung entfernt. Doch das Interesse daran steigt – und das nicht nur bei Gutbetuchten, die ihre Luxusherberge aufpeppen möchten.

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