Smart Living

Systemoffenheit für vernetztes Wohnen

Smart Living technisch breitflächig erfolgreich einzuführen, ist für Wohnungsunternehmen eine Herausforderung. Der Gewobag ist das mit der „Zuhause Plattform“ in 73 neu gebauten Wohnungen im Berliner Wohnpark Mariendorf gelungen. Entscheidend dafür war Systemoffenheit.

Vordergründig scheint die Beliebtheit intelligenter Steuerungssysteme im Kontext von Wohnen positiv: Deutschland ist weltweit der drittgrößte Markt für Smart Home-Anwendungen. In 2020 wurden hierzulande geschätzt über 4 Mrd. Euro in Produkte investiert, die automatisch die Heizung regeln, das Licht steuern oder die Rollläden bedienen. Was jedoch nachdenklich stimmt: Überwiegend handelt es sich um proprietäre Lösungen von Amazon und Google, die nur bedingt mit anderen Anbietern kompatibel sind. Zusammen mit Samsung, LG Electronics und Sony haben die Internetgiganten einen Marktanteil von rund 60 Prozent am gesamten europäischen Smart Home-Markt.

So praktisch diese per Plug-and-Play installierbaren Helfer für Endnutzer sein mögen, so wenig eignen sie sich für Wohnungsunternehmen, und das nicht nur aus Datenschutzgründen. Für sie ist die Nutzung offener Systeme zentral, damit sie herstellerunabhängig und produktneutral agieren können. Mehr noch: Perspektivisch geht es für sie darum, die in ihren Liegenschaften zum Einsatz kommenden Smart Home- und Smart Building-Anwendungen miteinander zu vernetzen und aufeinander abgestimmt zu steuern, um das Potenzial digitaler Technologien auszuschöpfen. Eine knifflige Aufgabe, für die es versierte Partner braucht. 

Groß denken und klein anfangen

Die Gewobag hat die Sache im Rahmen der Sanierung und Erweiterung ihres Ende der 1960iger Jahre erbauten Wohnparks in Berlin-Mariendorf zu einem Smart City-Quartier gemeinsam mit der Zuhause Plattform GmbH in Angriff genommen. Wenn die 31 Gebäude mit 734 Wohnungen ohnehin energetisch saniert und mit modernen Aufzügen ausgestattet werden, barrierefreie Zugänge und Außenanlagen erhalten sowie eine innovative Energieversorgung bekommen, kann in den 73 als Dachaufbauten neu entstehenden Wohnungen auch gleich Smart Living umgesetzt werden. Zumal die Smart City-Strategie der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen explizit vorsieht, das Anwendungspotenzial digitaler Technologien im Wohnbereich zu nutzen, gerade im Kontext von Klimaschutz und altersgerechtem Wohnen.

Soweit die Theorie. In der Praxis stellte Gewobag-Projektleiter Frank Beckmann zunächst einen Anforderungskatalog auf, was die schlaue Technik aus wohnungswirtschaftlicher Perspektive leisten muss, bevor die Mannschaft der Zuhause Plattform GmbH in das Leuchtturmprojekt geholt wurde. Ganz vorne stand eine effizientere Objektbewirtschaftung. Danach folgte ein optimierter und transparenter Energieverbrauch zur Reduktion von CO2 und Mietnebenkosten. Zudem sollten die Wohnungen „smart home ready“ sein, damit die Mieterschaft ihr Zuhause selbst nach Belieben vernetzen kann. Das Ziel war ein Konzept, das sich, falls es sich bewährt, auf die gesamte Wohnanlage und andere Liegenschaften übertragen lässt. 

Systemoffenheit als USP

„Smart Living in diesem Umfang technisch zu realisieren ist keine Kleinigkeit“, gibt Beckmann im Nachhinein zu bedenken. Genauso wenig, wie dafür den passenden Plattformanbieter zu finden, der auf offene Standards setzt, damit künftig weitere Funktionen integrierbar sind, unabhängig von Herstellern, Produkten und Kommunikationsstandards. Etliche Vorstellungsrunden wären nötig gewesen, bis man aus den diversen Kandidaten schließlich die Zuhause Plattform als am besten geeignet herausgefiltert habe. „Den Ausschlag gab die von uns geforderte Systemoffenheit.“ Eingebunden in das interdisziplinäre Planungsteam der Gewobag, legten Jan Frederik Harksen, Geschäftsführer und Mitgründer der Zuhause Plattform, und seine Mannschaft mit der Umsetzung los, die alle über solides IT-Wissen und zugleich profunde immobilienwirtschaftliche Kenntnisse verfügen. Ein weiterer Pluspunkt, der sich für das landeseigene Wohnungsunternehmen auszahlt, das rund 73 Mio. Euro in die Transformation der Großwohnsiedlung investiert. Denn die Techniker sind wohlvertraut mit den Erfordernissen der Branche und wissen, dass auf Plaudereien mit Alexa gewiss kein Wert gelegt wird.

Wichtig sind dagegen die 40 Funktionen, die die Prozesse in den 73 Dachaufbauten seit rund zwei Jahren steuern: Von der intelligenten Zutrittskontrolle mit Videoüberwachung über Sensoren (die beispielsweise in der Küche etwaige Leckagen aufspüren) und eine schlaue Heizungssteuerung bis zur Online-Schadensmeldungen per Touchscreen sorgen automatisierte Vorgänge dafür, dass die Bewirtschaftung für das Wohnungsunternehmen effizienter und das Wohnen für die Mieterinnen und Mieter komfortabler als ohne vernetzte Technik ist. Im Mai 2020 erhielt die Zuhause Plattform GmbH anlässlich der jährlichen Verleihung des SmartHome Deutschland Awards den Sonderpreis in der Kategorie „Bestes klimaschützendes und smartes Berliner Projekt“ für die Installation ihrer Plattform im Wohnpark Mariendorf.

Drum prüfe, wer sich ewig bindet

Demnach bedeutet der seit Jahren anhaltende Hype um PropTechs für Wohnungsunternehmen nicht, dass es leichter für sie mit der Umsetzung von Smart Living wird. Im Gegenteil. Je mehr PropTechs um ihre Gunst buhlen – aktuell sollen es etwa 400 sein –, um so genauer sind ihre Versprechungen zu prüfen. „Denn wer sich einmal für die Lösung eines Anbieters entscheidet, ist in der Regel daran gebunden“, mahnt Beckmann, „und kann nur mit Mühe, wenn überhaupt, eine bessere Alternative einführen.“ Daher sei Kompatibilität und Konnektivität von größter Relevanz. Erst recht, wenn es um etwas so Grundlegendes wie die Installation einer Plattform geht, die als Basis fungiert, über die vielfältigste Gebäudefunktionen gesteuert werden sollen. Ist sie nicht oder nur bedingt systemoffen, ist es schnell vorbei mit Smart Living. Im schlimmsten Fall kann es sogar heißen: Außer Spesen nichts gewesen.

Um den Blick für diesen elementaren Aspekt der Digitalisierung zu schärfen, hat der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen im Oktober 2020 das Kompetenzzentrum Digitalisierung der Wohnungswirtschaft („DigiWoh“) ins Leben gerufen. Auch die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) angeregte „Wirtschaftsinitiative Smart Living“ will die Digitalkompetenz von Wohnungsunternehmen stärken. Trotzdem ist jedes Wohnungsunternehmen gehalten, in Eigenregie die Tauglichkeit von digitalen Technologien für ein Projekt auf Herz und Nieren zu überprüfen. Das Beispiel der Gewobag zeigt, dass Smart Living bei weitsichtiger Vorgehensweise keine so schwierige Aufgabe sein muss.

Lesen Sie auch das Interview mit Jan Frederik Harksen, Geschäftsführer der Zuhause Plattform GmbH, über eine kostensparende Systemlösung für städtische Mietshäuser, „Der Markt ist bereit und die Technik ebenso“


Jedes Wohnungsunternehmen ist gehalten, in Eigenregie die Tauglichkeit von digitalen Technologien
für ein Projekt auf Herz und Nieren zu überprüfen.

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