Farbgestaltung: Meisterwerk des modernen Siedlungsbaus

2008 wurde Bruno Tauts farbenfrohe „Hufeisensiedlung“ in Berlin-Britz zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Die Wie­­­derherstellung ihrer originalen Farbigkeit erfolgte mit Mineralfarben.

Die Farbenfreudigkeit Bruno Tauts ist legendär und gilt als wesentliches Merkmal seines architektonischen Erbes. Wie kein anderer Architekt seiner Zeit nutzte er Farbe als identitätsstiftendes und gestaltendes Medium. Mit seinem 1919 in der „Bauwelt“ veröffentlichten Manifest „Aufruf zum farbigen Bauen“ sorgte er für Aufregung, mehr noch allerdings mit seinen farbstarken Arbeitersiedlungen der Weimarer Jahre, die ausnahmslos mit Mineralfarben von Keim realisiert wurden.

Tauts Anliegen war es, statt trister grauer Mietskasernen ansprechende, menschenwürdige und funktionale Wohnformen zu entwi-ckeln – die Einbindung von Natur und Farbe sowie eine sinnvolle Aufteilung der Räume spielten dabei eine wichtige Rolle. Die Aufgabe, Farbe in die Stadt zu bringen, war für Taut „keine ästhetische, sondern eine ethische, da es sich darum handelt, auch den Bewohnern der scheußlichsten Mietskasernen, der traurigsten Hinterhöfe, ein bescheidenes Stückchen Lebensfreude zu bringen“. Bauen nicht nur zur Schaffung von Wohnraum, sondern als soziales Reformprojekt.

Licht, Luft und Sonne

Die Hufeisensiedlung im Bezirk Neukölln, die Taut ab 1925 gemeinsam mit dem Stadtbaurat Martin Wagner und dem Gartenbauer Leberecht Migge auf den Flächen des ehemaligen Rittergutes Britz plante, war eines der ersten Projekte des sozialen Wohnungsbaus, mit ihr wurde die Phase des Großsiedlungsbaus in Deutschland eingeleitet.

Sie gilt international als Schlüsselwerk mo­­dernen städtischen Siedlungsbaus, Prinzipien der Gartenstadt vereinen sich hier mit dem großstädtischen Element des langen Häuserblocks.

Ihren Namen verdankt die Hufeisensiedlung dem markanten, rund 350 m langen, hufeisenförmig gebogenen Wohnriegel, den Taut um eine flache Geländemulde mit einem kleinen Teich legte. Um dieses lebendige Zentrum mit Läden und Café gruppieren sich strahlenförmig 2-geschossige Reihenhäuser, die von einem 3-geschossigen Riegel mit Etagenwohnungen entlang der außenliegenden Hauptstraßen abgeschirmt werden. Wie Theaterlogen öffnen sich die Loggien der Wohnungen zum Grünraum. Alle Reihenhäuser und die Erdgeschosswohnungen haben Gärten, die individuelle Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Die Integration des Wohngrüns als „Außenwohnraum“ verdeutlicht den sozialen Aspekt und stellt zugleich einen besonderen Wohnwert dar, da er objektiv das durch die Bewohner nutzbar gemachte Wohnumfeld vergrößert.

Das städtebauliche Konzept der Siedlung war für die damalige Zeit ebenso ungewöhnlich wie die Architektur der Gebäude: die Reihung gleicher Haustypen, die rote Front des Gebäuderiegels, der Wohnblock in Hufeisenform, die schlichten, mit flachgeneigten Pultdächern versehenen Bauten ohne damals übliche Schmuckformen und die ausgedehnten Grünanlagen und Gärten.

Bauen mit System

Um die Bauzeit zu verkürzen und die Kosten zu senken, verwendete Taut moderne industrielle Fertigungsmethoden, durch die das Arbeitstempo wesentlich erhöht werden konnte. Für die insgesamt über tausend Wohnungen beschränkte er sich auf wenige standardisierte Gebäudetypen mit lediglich zwei Dachformen, zwei Geschossvarianten und zwei Hausbreiten. Beim genauen Hinschauen lassen sich jedoch zahlreiche Varianten erkennen. Die für Taut charakteristische Rhythmisierung der Baukörper durch Vor- und Rücksprünge und der Einsatz von Farbe als eigenständiges architektonisches Element sorgen für Individualität im einheitlichen Gesamtbild: Jede Häuserzeile hat ihre eigene Farbgebung, jeder Straßenzug seine unverwechselbare Identität, jedes Haus farblich kontrastierende Baudetails – Fenster, Türen, Gesimse, Brüstungen und Balkone –, die es von seinen Nachbarn unterscheidet. Insgesamt sind vier Farben vorherrschend: Rot, Gelb, Weiß und an besonders akzentuierten Stellen Blau. Wie bei allen seinen Bauten hat sich Taut auch hier um eine lebendige Farbgebung bemüht, sein Farbkonzept unterstreicht die Plastizität der Baukörper und schafft Identität für die Bewohner.

Die „rote Front“, der 3-geschossige Mehrfamilienriegel mit flachgeneigtem Pultdach, ist in einem warmen, kräftigen Rot gehalten, die vorgezogenen Treppenhäuser und vorspringenden Eckbauten sind in einem helleren Rotton ausgeführt. Die rückseitige rote Fassade wird durch weiß abgesetzte Balkone gegliedert.

Das abgesetzte Dachgeschoss und die zurückgesetzten Treppenhäuser des Hufeisens sind in einem hellen, leuchtenden Blau ausgeführt und differenzieren die Außenfront. Rücksprünge auf der Innenseite bilden geschützte Nischen für die mit Klinker gefasste Loggien und Balkone, deren Innenwände blau gestrichen sind und mit den weißen Putzflächen der Fassade kontrastieren.

Die Einfamilienreihenhäuser mit Satteldach haben farblich unterschiedlich gestaltete Fassaden, die an Vor- und Rücksprüngen, Eckgebäuden oder Giebeln durch Ziegelbänder gegliedert werden.

Erbe verpflichtet

2007 schlossen sich die Berliner GEHAG und die Deutsche Wohnen AG aus Frankfurt zusammen. Im Juli 2008 wurde die Hufeisensiedlung in die Welterbe-Liste der UNESCO aufgenommen – für die Deutsche Wohnen AG Ehre und Pflicht gleichermaßen: In enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz wurden seitdem umfangreiche Sanierungsmaßnahmen durchgeführt. Wesentlicher Be­­standteil war die Wiederherstellung des äu­­ßeren Erscheinungsbildes und der originalen Farb- und Oberflächengestaltung.

Schäden und dem Denkmalschutz widersprechende An- und Umbauten ließ man beseitigen, Dächer sowie Kellerdecken zur energetischen Ertüchtigung denkmalgerecht dämmen. Fenster, Türen und Balkone wurden modernisiert und in der Originalfarbigkeit gestrichen. Der Altputz wurde mit KEIM Algizid-Plus gründlich nass gereinigt, an Fehlstellen ausgebessert und entsprechend dem historischen Vorbild als Madenputz überarbeitet, die Loggien wurden glatt überputzt. Der anschließende Anstrich erfolgte mit Keim’schen Mineralfarben nach den historischen Bruno-Taut-Originalrezepturen in Weiß, Blau, Gelb und Rot.

Die Hufeisensiedlung ist unbestritten ein Meisterwerk des modernen Siedlungsbaus: Die differenzierte Raumfolge niedriger Reihenhäuser und höherer Geschossbauten, den Bäumen inmitten ausgedehnter Grünflächen und nicht zuletzt die wiederhergestellte originale Farbigkeit machen sie zu einer inspirierenden Oase inmitten der Großstadt.

Das städtebauliche Konzept der Siedlung war für die damalige Zeit ebenso ungewöhnlich wie die Architektur

Taut verwendete moderne industrielle Fertigungsmethoden.

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