Vorgehängte hinterlüftete Fassaden

Farbe bekennen!

Bunte Töne sorgen für Abwechslung, schaffen besondere Atmosphären und bringen sprichwörtlich „Farbe ins Leben“. Speziell im Wohnungsbau schafft eine durchdachte Farbgestaltung besondere Identität für Gebäude und für ihre Bewohner. Damit Farbe an der Fassade langfristig Freude bereitet, müssen die Oberflächen langlebig, wartungsarm, farbecht und resistent gegen Verschmutzungen und Bewuchs sein. Vorgehängte hinterlüftete Fassaden punkten dabei speziell mit ihrem modularen Systemaufbau und ihren bauphysikalischen Eigenschaften.

Die Wirkung von Farben auf uns Menschen ist wissenschaftlich erwiesen: Farbe wird unmittelbar wahrgenommen und trägt stark zum ersten, intuitiven Eindruck bei, den wir von einem Objekt oder Gebäude erhalten. Die Farbgestaltung hat daher große Auswirkungen auf den Charakter von Bauten. Speziell an der Fassade können kräftige Farbtöne für eine freundliche, attraktive Umgebung sorgen und so ganze Straßenzüge und Viertel aufwerten. Doch bei der Entscheidung für helle oder intensive Farben schwingt stets auch die Frage nach der Langlebigkeit mit: Fassaden sind häufig Verschmutzungen ausgesetzt – ob durch Graffiti-Sprayer, Abgase an stark befahrenen Straßen oder feuchte Oberflächen, die mikrobielles Wachstum anregen. Damit farbenfrohe Fassaden ihre Strahlkraft langfristig behalten, sind zeitgemäße Materialien und Konstruktionsweisen notwendig. Als bewährtes System in Neubau und Sanierung schafft die die vorgehängte hinterlüftete Fassade (VHF) langfristige Gestaltungskraft bei geringem Wartungsaufwand.

Das VHF-System gilt als wenig schadensanfällig und nahezu wartungsfrei. Für technische und wirtschaftliche Sicherheit sorgt die konstruktive Trennung von Wärmedämmung und Witterungsschutz: Der stetige Luftstrom im Hinterlüftungsraum transportiert Bau- und Nutzungsfeuchte ab, schafft ein gesundes Innenraumklima und verhindert den mikrobiellen Bewuchs der Fassade. In besonders beanspruchten Einbausituationen ermöglichen Tafeln, beispielsweise aus Keramik oder Faserzement, mit spezieller Beschichtung das einfache Entfernen von Graffiti, besonders widerstandsfähige Bekleidungselemente garantieren eine hohe Schlagfestigkeit. So bleiben frische Optik und leuchtende Farben langfristig erhalten.

Vorgehängte hinterlüftete Fassaden eignen sich für jeden Gebäudemaßstab bei Neubauten und Sanierungen. Der modulare Aufbau des Systems ermöglicht nicht nur individuell wählbare Dämmstoffdicken und jeden Standard bis zu höchsten energetischen Anforderungen, sondern auch den Einsatz unterschiedlichster Bekleidungsmaterialien. So stehen das gesamte Farbspektrum und eine Vielzahl von Oberflächen, Formaten und Verlegearten zur Auswahl. Einen Eindruck, welche Gestaltungsfreiheiten damit möglich sind, zeigt die folgende „bunte Mischung“ an Referenzprojekten.

Farbe schafft Identität 

Vor seiner energetischen Sanierung war das Mehrfamilienhaus in Hannover mit 18 Mietparteien wie viele Wohnbauten aus der Nachkriegszeit – grau und ohne Esprit. Wie bereits der Projektname „Haute Couture“ verrät, hat sich das nun grundlegend verändert: Die Idee der Architektin Larissa Kozjak, das Gebäude in einen fröhlich bunten und gleichzeitig ­wärmenden Schal zu wickeln, führte zu der Entwicklung eines „Strickmusters“ für die Gebäudehülle. Dabei kam eine vorgehängte hinterlüftete Fassade mit 180 mm Stein­­wolle-Dämmung und besonders witterungs- und lichtbeständigen Fassadentafeln aus Basaltgestein zum Einsatz. Die ausdrucksstarke Webstruktur aus sechs RAL-Farben sorgt nun für einen kräftigen und dennoch wohlgeordneten Eindruck. Für die Wohnungsgenossenschaft Gartenheim eG war das Projekt An­­sporn, eine „Designkollektion“ zu starten und diente als Vorbild für weitere Sanierungen in Hannover.

Ebenfalls beispielhaft ist der Neubau mit 31 Wohneinheiten in der Wansey Street im zentralen Londoner Stadtteil Elephant & Castle, für den dRMM Architects den begehrten „Public Housing Architect of the Year“ Award der Architekturzeitschrift Building Design erhielten. Den Architekten war es wichtig, die Identität des Gebäudes selbstbewusst nach außen zu tragen. Im nebligen London lag es nahe, dafür eine robuste Fassade mit kräftigen Farben einzusetzen: Die vertikale Boden-Deckel-Schalung aus schmalen Faserzementpaneelen ist nuancenreich in Tönen von Kanariengelb über kräftiges Orange bis zu Zinnoberrot abgestuft. Durch seine Höhenstaffelung und die Aufgliederung in vier Einzelgebäude vermittelt das Projekt sensibel zwischen viktorianischen Reihenhäusern und dem altehrwürdigen Backsteinbau Walworth Town Hall. Zu der hohen Lebensqualität tragen neben der sozialen Mischung aus 31% Eigentums- und 69% Sozialwohnungen auch der Wohnraum mit offenen Grundrissen und die Gemeinschaftsgärten auf der Südseite bei.

Kräftige Töne – starker Eindruck

Einen starken Bezug zu seiner Umgebung besitzt auch das Ensemble „Rheinlogen“ von Nebel Pössl Architekten in Bonn. Direkt am linken Rheinufer, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Oper entstand der Neubaukomplex aus vier Bauten mit 75 Eigentumswohnungen, gruppiert um einen grünen Innenhof. Das Haus Fidelio ist mit seinem mehrgeschossigen „Guckkasten“ in Richtung Fluss das markanteste der Gebäude. Seine Süd- und Ostfassade sowie die Untersicht des auskragenden Gebäudeteils sind vorgehängt und hinterlüftet mit dezenten Grautönen gestaltet. Kräftig rote Bänder akzentuieren die südorientierten Balkone und setzen lebhafte Farbakzente. Die Metallstreifen, die spielerisch gekurvt und wie vom Wind bewegt sind, lenken den Blick der Betrachter und verleihen dem Gebäude eine zusätzliche Dynamik.

Bewegung war auch eines der Entwurfsthemen von Margot-Duclot Architectes Associés bei ihrem Neubau mit 91 Sozialwohnungen und einer Kinderkrippe im 19. Pariser Arrondissement. Der Großteil der Wohnungen orientiert sich zum Schifffahrtskanal Saint-Denis, die schmale Nordfassade liegt an einer stark befahrenen Verkehrsachse. An dieser Stelle suchten die Planer eine besonders dauerhafte und robuste Fassadengestaltung, um der exponierten Fläche Wärme und Identität zu verleihen. Ihre Entscheidung fiel auf eine VHF mit Aluminiumverbundplatten: Kleinformatige Elemente in intensiven Blau- und Goldtönen bilden ein abwechslungsreiches Mosaik, abhängig von der Lichtstimmung und Position des Betrachters sorgt die glänzende Oberfläche für blitzende Effekte. Die faltbaren Fensterläden sind mit der gleichen farbigen Optik gestaltet und ergeben ein Spiel aus offen und geschlossen. So sind nicht nur die Passanten am Boulevard, sondern auch die farbenfrohe Fassade stetig in Bewegung.

Bewährtes in neuen, bunten Kleidern

Bei der energetischen Sanierung des 100 m langen und 10 Etagen hohen Sozialwohnungsbaus „Tchécoslovaquie“ in Nantes setzten Nomad Architekten ebenfalls auf Dynamik: Ziel des Bauvorhabens war es, den Komfort der Bewohner zu erhöhen und die Wärmeverluste an der Gebäudehülle zu minimieren. Zudem war eine kreative Fassadengestaltung für den gekurvten Riegel gefragt. Die Architekten wollten die große Masse des Gebäudes nicht negieren oder teilen, sondern optisch in Bewegung versetzen. Dazu kombinierten sie bei der Fassadengestaltung mit VHF zahlreiche Maßnahmen: Der langlebige und umweltfreundliche Werkstoff Zink wurde in traditioneller Stehfalztechnik verarbeitet. So entstand ein dreidimensionales Relief, das sich mit dem Lauf der Sonne wandelt. Schräge Zuschnitte und verschiedene Achsmaße sorgen ebenso für Schwung wie die abwechslungsreiche Folge grauer und grüner Oberflächen. Mit dem Zink zugegebenen Farbpigmenten und Fensterlaibungen in kräftigen Tönen entsteht ein dynamisches Erscheinungsbild.

Hans van Heeswijk Architects standen beim Projekt „Waterlandplein“ in Amsterdam-Nord ebenfalls vor der Aufgabe, Wohnbauten aus der Nachkriegszeit für heutige Ansprüche fit zu machen: Die bestehenden Wohnblocks wurden teilweise demontiert, die verblei­benden drei Bauten mit insgesamt 222 Wohnungen in das neue städtebauliche Konzept integriert und energetisch saniert. Dabei erhielten sie großzügig gestaltete und neu angeordnete Zugänge sowie eine komplette Neugestaltung der Gebäudehüllen. Für die vorgehängten hinterlüfteten Ziegelfassaden entwickelten die Planer für das En­­semble ein horizontales Streifenmuster in vier verschiedenen Erd-Nuancen. Die neue Struktur der Wohnblocks bietet eine solide Basis für eine starke zeitgenössische Architektur, basierend auf Schichtungen, Rhythmus, und Relief-Effekten. Die Farbgestaltung nimmt die Töne der ehemaligen Gestaltung mit Klinker auf und harmonisiert gleichzeitig mit dem Erscheinungsbild der neu geplanten Wohnbauten. So wird Bestehendes gewahrt und gleichzeitig eine neue Identität geschaffen.

Referenzen wie diese zeigen, welche enormen gestalterischen, technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten das Bauen mit vorgehängten hinterlüfteten Fassaden bietet. Engagierten Planern und Bauherren können sie Ansporn sein, das ganze Farbspektrum mit VHF zu erkunden und so für langfristig at­­trak­­tive Wohnquartiere zu sorgen.

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