Stadt- & Quartiersentwicklung

Dachgestaltung mit Walzblei

An historischen Objekten vielfach bewährt, eröffnet Walzblei auch in der modernen Dachgestaltung neue Mög­­­lich­­keiten. Das formbare und langlebige Material fördert Kreativität und eignet sich nicht nur für komplexe Sa­­­nie­rungsprojekte.

Wenn Dächer aufgewertet oder umgestalten werden sollen, ist die Wahl der Werkstoffe entscheidend. Die Optik der Dachflächen, die möglichen Formen, die Funktionalität und Langlebigkeit des gesamten Dachbereichs hängen maßgeblich von den gewählten Materialien ab. Ist ein Werkstoff gefragt, der Witterungsbeständigkeit mit einer charakteristischen Optik verbindet, setzen Architekten und Planer auch wieder auf den Klassiker Walzblei.

Walzblei wird seit Jahrhunderten verwendet, um Anschlüsse an Dächern abzudichten, aber auch um große Dach- und Fassadenflächen einzudecken. Gerade auf historischen Baudenkmälern wie Kirchen, Rathäusern und Schlössern liegen heute noch große Mengen Blei. Der entscheidende Vorteil des Materials ist seine Langlebigkeit: In der Regel hält Walzblei Witterungseinflüssen mindestens so lange stand wie alle anderen Werkstoffe an der Gebäudehülle. Die Montage ist zwar anspruchsvoll, dafür ist ein mit Walzblei sachgemäß eingedecktes Dach besonders wartungsarm.

Organisches Aussehen dank traditioneller Verarbeitung

Eine weitere Besonderheit ist die Kaltformbarkeit und damit einhergehend die Verarbeitung. Das Material wird normalerweise nicht im Werk passgenau vorgefertigt, sondern direkt am Objekt vom Handwerker zugeschnitten, gefalzt und angeformt. Der Vorteil: Komplexe, unebene Stellen lassen sich sehr flexibel abdichten. Außerdem erhalten Dachflächen durch die manuelle Bearbeitung der Bleche ein organisches, „traditionelles“ Aussehen. Dieser Effekt ist in der Denkmalsanierung gewünscht, kann aber auch an modernen Architektenbauten bewusst eingesetzt werden, um zum Beispiel geometrische Formen weniger steril wirken zu lassen.

Je nach gewünschtem Erscheinungsbild kann zwischen verschiedenen Walzbleivarianten gewählt werden: Saturnblei entspricht dem traditionellen, unbehandelten Walzblei. Es wird heute nach den strengen Qualitätskriterien der Gütegemeinschaft Saturnblei e.V. zertifiziert. Farbig lackierte Produkte wie bleiColor des deutschen Herstellers Röhr + Stolberg ermöglichen eine optische Anpassung an gängige Dachfarben. Zudem gibt es das zinnbeschichtete bleiPlus sowie das Venusblei mit einer speziell veredelten Oberfläche: das charakteristische Farbspiel des Metalls bleibt erhalten, es wirkt jedoch besonders hochwertig – ideal zum Beispiel in der Kombination mit Schiefer. All diesen Varianten gemein ist die traditionelle Verarbeitung und damit einhergehend die typische, organische Optik am Objekt.

Seine funktionalen und ästhetischen Eigenschaften prädestinieren Walzblei besonders für die Eindeckung komplexer Dachkon­struktionen. Diese befinden sich nicht nur an historischen Kathedralen oder exzentrischen Neubauten, sondern vor allem auch an sanierten Wohn- und Geschäftshäusern: Weil ältere Dächer – etwa aus der Nachkriegszeit – oft erhebliche funktionale Schwachstellen aufweisen, ist häufig eine starke Modifikation des gesamten Dachbereichs gefragt. Oft stellt sich auch heraus, dass sich das Innere eines bestehenden Dachs nicht mehr sinnvoll nutzen lässt, weil die Räumlichkeiten oder auch die Dachfenster zu klein sind. In einem solchen Fall muss das Dach komplett umgestaltet werden, Walzblei kann dabei den Gestaltungsspielraum vergrößern.

Ein neues Dachgeschoss und

ungewöhnliche Formen

Ein anschauliches Beispiel stellt das Ge­­­schäftshaus Königsstraße 60 in Münster dar. Das ehemalige Bankgebäude aus den 1950er-Jahren wurde 2015 komplett umgestaltet und bietet heute – mitten in der Münsteraner Innenstadt – Platz für Modegeschäfte, Büros und eine Arztpraxis.

Besonders auffällig ist die Änderung des Dachbereichs: Wo sich vormals ein eingeschossiges, kaum genutztes Schieferdach mit kleinen Fenstern befand, beherbergen heute zwei großzügige Dachgeschosse attraktive Büroflächen. Zwei Reihen raumhoher, spitzbogenförmiger Fenster versorgen diese Büros mit ausreichend Tageslicht. Die Flächen des Schrägdaches sind nicht mehr in Schiefer, sondern komplett in Saturnblei eingekleidet.

Die Vergrößerung und Umnutzung des Dachs war von Anfang an vorgesehen und um genügend Platz für die Büros zu erreichen, wurden die Schrägdachflächen sehr steil konstruiert. Die markante Fensterform ermöglicht speziell an diesem Schrägdach einen maximalen Lichteinfall in die Büros.

Für diese komplexe Geometrie bietet Walzblei entscheidende Vorteile. Das Material ließ sich flexibel an die Spitzbögen montieren und ermöglichte zugleich einen fließenden Übergang zu den schrägen Dachflächen. Die Bleiverkleidung wirkt so wie aus einem Guss – sie betont die markante Formsprache und schützt das Dach zugleich langfristig vor der Witterung. Auch das organische Aussehen von unbeschichtetem Blei war ein gewünschter Effekt: Trotz der radikalen Veränderung wirkt das Dach nicht steril, sondern fügt sich gut in seine Umgebung ein.

Blei in 2000 m Höhe

Ein ähnliches Vorgehen wurde in den Schweizer Alpen auf dem St. Gotthard-Pass gewählt: Dort stand 2009 die Komplettsanierung des historischen St. Gotthard-Hospizes an, das zu einer modernen Unterkunft für Reisende umgebaut wurde. Anstelle des vormaligen, gedrungenen Ziegeldachs erhielt das Hospiz einen deutlich vergrößerten Dachbereich, der mehreren Gästezimmern Platz bietet. Der asymmetrische Grundriss des Gebäudes wurde im Rahmen der Dachgestaltung aufgegriffen: Die Dachflächen bilden eine kristallartige Form, die aus jedem Blickwinkel anders wirkt. Damit greift die Architektur des Hospizes die Anmutung der umliegenden Berggipfel auf. Die vollständige Eindeckung des Dachs in Saturnblei unterstreicht diesen Eindruck: Die gräuliche Patina und die sichtbare handwerkliche Verarbeitung der Bleche harmonieren mit der felsigen Landschaft. Darüber hinaus gehört Blei zu den wenigen Materialien, die in über 2000 m Höhe noch einen langlebigen Witterungsschutz bieten.

Dach und Fassade aus einem Guss

Da sich Walzblei sowohl für Dächer als auch für Fassaden eignet, lassen sich Objekte auch komplett mit diesem Material einkleiden – ein interessanter architektonischer Effekt, der sich beispielsweise im schwäbischen Metzingen beobachten lässt: Das älteste Fachwerkhaus der Stadt hat 2011 einen Anbau aus Stahlbeton erhalten, der ein Mode-Outlet beherbergt. Der Anbau ist komplett in Venusblei gehüllt und kontrastiert mit seinen historischen Nachbarn, ohne optisch zu stark mit ihm zu konkurrieren. Die kräftige, metallisch-anthrazitfarbene Oberfläche von Venusblei betont die strenge Geometrie des Gebäudes, wirkt dabei aber „gewachsen“ und einladend. Zugleich sorgt sie – anders als unbehandeltes Blei – für eine sehr gleichmäßige Farbgebung, die an dieser Stelle gewünscht war. Dach und Außenwände des Geschäftshauses wirken monolithisch wie aus einem Guss – die Bleihülle schützt alle Bereiche gleichermaßen zuverlässig vor der Witterung.

Die Rundgaube als Highlight

Bisweilen müssen aber auch nur Details eines Daches verändert werden, um eine funktionale Verbesserung zu erzielen. Ein solches Beispiel befindet sich in Aachen, wo das ehemalige Wohnhaus der berühmten Kunstsammler Irene und Peter Ludwig saniert wurde. Die Villa am Stadtrand dient heute als Hauptsitz der Stiftung, die den Nachlass der Mäzene verwaltet. Markant ist die große Rundgaube, die den Eingangsbereich ziert und dem Satteldach des restlichen Gebäudes vorgelagert ist. Das komplette Dach aus den 1950er-Jahren war mit Schiefer eingedeckt, auf dem Scheitelpunkt der Rundgaube befand sich zudem eine bituminöse Dichtungsbahn. Tatsächlich wies die Rundgaube starke witterungsbedingte Schäden auf. Wegen der mangelnden Neigung sammelte sich Feuchtigkeit auf dem Scheitelpunkt, außerdem griff der Wind die Dichtungsbahn an. Als Alternative empfahl sich eine Kompletteindeckung der Gaube aus Saturnblei, die nicht nur dauerhaft vor der Feuchtigkeit schützt. Aufgrund ihres Gewichtes ist sie auch sehr windsogsicher – zumal auch die Anschlüsse an die Dachflächen aus dem gleichen Material gestaltet werden konnten. Die neue Verkleidung betont die runde Form der Gaube nun deutlich stärker. Dieser Effekt ist architektonisch durchaus gewollt, weil er die charakteristische Geometrie des Dachs stärker hervorhebt. Die Kombination aus Walzblei und Schiefer hat zudem eine lange bauliche Tradition, sodass die Gaube nicht wie ein Fremdkörper wirkt.

Langlebig und nachhaltig

Von der Betonung einzelner Dachelemente bis zur Verkleidung ganzer Gebäude: Walzblei ist auch heute noch für Überraschungen gut. Die Hauptargumente für den Werkstoff sind dabei Jahrhunderte unverändert: eine hohe Langlebigkeit und die flexible Verarbeitung am Objekt. In jedem Fall sollte die Verarbeitung aber von erfahrenen Handwerkern vorgenommen werden, da das Metall stets individuell montiert und angeformt werden muss. Ein Vorteil von Walzblei: Das Material lässt sich zu hundert Prozent recyceln und verbraucht wegen des niedrigen Schmelzpunktes relativ wenig Energie in der Herstellung – ein Plus für nachhaltiges Bauen.

Je nach gewünschtem Erscheinungsbild kann zwischen verschiedenen Walzbleivarianten gewählt werden.

Das Metall wird stets individuell montiert und angeformt.

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 03/2014 Stadt- und Quartiersentwicklung

Verfeinerte Handwerkskunst und modernes Hightech

Optische Akzente setzen, ohne Fremdkörper zu erzeugen: Vor dieser Herausforderungen stehen viele Modernisierungs-, Neu- und Anbauvorhaben. Ein häufiges Problem dabei: Einerseits liegen geradlinige...

mehr

Denkmäler als Inspiration

Früher war nicht alles besser, und doch: Alte Bauwerke verfügen zumeist über einen einzigartigen Charme, der sich nicht einfach reproduzieren lässt. Sie stiften Identität für Städte und...

mehr
Ausgabe 11/2017 Denkmalschutz

Dachhüter

Die Denkmalpflege historischer Gebäude bewegt sich in einem starken Spannungsfeld. Einerseits soll die historische Substanz möglichst lange erhalten werden, dazu gehört es auch, sie kontrolliert...

mehr
Ausgabe 7-8/2017 Bleifassade

Eigenwillig

Das denkmalgeschützte Museum Wilhelm Morgner, ein zweigeschossiger Betonskelettbau in der Thomästraße in Soest, wurde 1961 von dem Wiesbadener Architekten Rainer Schell entworfen. Zunächst als...

mehr
Ausgabe 7-8/2013 Bauen im Bestand

Maßgeschneiderte Dachfenster

Der Wohnpark am Tegeler Hafen in Berlin gehört mit seiner im Stil der Postmoderne gestalteten Anlage aus Stadtvillen und geschwungen verlaufenden Reihenhäusern zu den vielen Sehenswürdigkeiten der...

mehr