Open-BIM-Prozess

Alle sitzen im gleichen Boot

Eine optimale Zusammenarbeit von Architekten, Fachplanern, Bauunternehmen und Fachhandwerkern führt zu einem erfolgreichen Projekt. Und sie schlägt sich positiv auf eine niedrige Fehlerquote und damit auf die Projektkosten nieder. Klappt diese Zusammenarbeit, sind alle – vom Bauherrn über die Projektbeteiligten – mit dem Ergebnis mehr als zufrieden.

Das mag wie eine Binsenweisheit klingen. Doch ist es wichtig, sich das stets ins Gedächtnis zu rufen. Denn immer wieder landen Projekte vor den deutschen Gerichten, weil es eben nicht geklappt hat mit der partnerschaftlichen Zusammenarbeit.

Bei der Umsetzung eines BIM-Projekts ist eine offene und ehrliche Kommunikation (auch in Hinblick darauf, eigene Fehler einzugestehen) noch wichtiger als in einem konventionell geplanten Projekt. Im BIM-Abwicklungsplan ist vorab klar zu umreißen, wer im Rahmen der BIM-Planung für was und zu welchem Zeitpunkt sowie in welcher Qualität zuständig ist. Einander gegenseitig im Projektverlauf Versäumnisse ins Fachmodell zu schieben, ist somit kaum möglich.

Hinzu kommt, dass noch immer das hartnäckige Gerücht in der Branche kursiert, dass viele Architekten und Fachplaner noch gar nicht mit BIM planen können. Das darf beruhigt als „Schnee von gestern“ bezeichnet werden. Wer sich genauer umschaut, erkennt: Die Baubranche, und mit ihr die Architekten und Fachingenieure, stecken mitten in der Implementierung digitaler Planungsmethoden und Bauprozesse – wenngleich in verschiedenen Stadien und Anwendungsstufen. Aber der Zug der Digitalisierung fährt unermüdlich weiter.

BIM schien unmöglich bei uns

Unter den Architekten und Fachplanern finden sich inzwischen zahlreiche BIM-Anwender, die mehr oder weniger tiefgreifend mit der digitalen Planungsmethode vertraut sind. Schauen wir zu den Bauunternehmern und Fachhandwerkern, sieht es magerer aus. Einer derer, die sich heute klar zu BIM bekennen, ist das Bauunternehmen Bendl aus Günzburg. Bendl feiert in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen und weiß wie man plant und umsetzt, früher analog, jetzt zunehmend digital.

Für den Geschäftsführer Stefan Wiedemann war die erste tiefgründige Auseinandersetzung mit BIM ein Interview Ende 2017 im Rahmen einer Masterthesis. Die Studentin fragte ihn, ob sich BIM in Deutschland durchsetzen lässt. Seine Antwort war eindeutig. Und sie wurde durch verschiedene Fachvorträge und Veranstaltungen im Vorfeld begründet, in denen BIM stets kritisch betrachtet wurde: „Es wird nicht möglich sein mit unserer Struktur in Deutschland. Es ist schlicht nicht durchführbar.“

Das Planen mit BIM muss jeder erst üben

Das sieht Stefan Wiedemann heute anders und hat sein Unternehmen einem klaren Kurswechsel unterzogen, der ebenso einen Strukturwechsel bedeutete. Warum werden wir später noch erfahren. Jedes schlüsselfertige Projekt, das heute von Bendl realisiert wird, ist in 3D entwickelt. Alle Planungen, die von außen kommen, werden inhouse in der BIM-Software Archicad als BIM-Gebäudemodell neu gezeichnet.

Vieles ist dabei noch im Fluss. Eine firmeneigene Modellierungsrichtlinie, wichtig für eine konsistente und einheitliche Modellerstellung, soll es bald geben. Aktuell greift die Abteilung Schlüsselfertigbau bei dem Günzburger Bauunternehmen auf die von GRAPHISOFT zu Archicad mitgelieferte Modellierungsrichtlinie zurück, die firmenspezifisch erweitert wird. Das ist ein wichtiger Start, wie die internen BIM-Verantwortlichen Elisabeth Mayr und Michael Maurer verdeutlichen. Doch es bleibt noch einiges zu tun, um den BIM-Prozess komplett digital umzusetzen. 

Bevor die BIM-Planungssoftware und ein Model-Checker bei Bendl effizient eingesetzt werden konnten, waren Schulungen für die Softwaresysteme und BIM-Zertifizierungen notwendig. „Learning by Doing“ ist dennoch die erfrischende Grundhaltung im gesamten Unternehmen. Das gilt ebenso für die Zusammenarbeit mit den Fachplanern, die in verschiedene BIM-basierte Projekte seit 2018 eingebunden sind. Aktuell gehen die Planungspartner von Bendl, die sich alle auf den Einsatz von Open BIM (herstelleroffener und softwareunabhängiger BIM-Prozess) verständigt haben, gemeinsam mit einem Wohnprojekt neue Wege.

Open BIM: Ein Wohnprojekt konsequent durchgeplant

In der Nähe der Günzburger Altstadt sollen bis 2023 zwei Wohntürme mit drei und vier Geschossen sowie einer Tiefgarage entstehen. 21 Wohneinheiten seniorengerechtes Wohnen sind geplant. „Vereinfacht gesagt wird hier in absehbarer Zeit eine große, komfortable Alters-WG mit passendem Partyraum gebaut“, erläutert Bauherr Helmut Gernert. Bendl Geschäftsführer Stefan Wiedemann führt weiter aus: „Jeder kennt jeden. Hier werden Freunde gemeinsam leben. Wenn auch jeder in seiner eigenen Wohnung. Doch es geht nicht allein um den Komfort. Wir setzen zusätzlich ein Zeichen mit der konstruktiven und energetischen Qualität. Denn das Gebäude vereint als Hybrid aus Holzbau und Stahlbetonbau die Vorteile beider Konstruktionen und wird im KFW 40 Standard entstehen.“

Einer der zukünftigen Eigentümer ist Architekt und hat die Entwurfsarbeit übernommen. Bendl erarbeitet anschließend das Gebäudemodell, nach dem Open-BIM-Ansatz. Michael Maurer koordiniert im Unternehmen die Fachplaner, die ebenfalls alle mit BIM arbeiten. Das Projekt ist aktuell im Übergang von den Leistungsphasen 3 und 4. Die Fachplanungen werden in den kommenden Wochen im Architekturmodell in Archicad zusammengeführt und über den Model-Checker Solibri regelbasiert überprüft. Man nimmt sich viel Zeit für die Planung: Der Baubeginn ist erst für 2022 geplant, aber wird dann aufgrund der sorgfältigen Vorbereitung schnell von statten gehen. Es ist eine bewusste Entscheidung von Bauherrenseite, von Bendl und den eingebundenen Fachplanern. Sie alle nutzen die verlängerte Planungszeit zum Optimieren der eigenen Prozesse und ihrer Modelle.

BIM-basierte Fachplanungen und ein offener IFC-Austausch

Im Projekt arbeiten TGA-Planung, Tragwerksplanung, Architektur und Holzbau BIM-basiert. Die Partner kennen sich und wissen um ihre Stärken und Schwächen. Offenheit und Ehrlichkeit fallen leichter, wenn jeder sich auf den anderen verlassen kann. Dass man sich wie hier seine Wunschpartner aussuchen kann, ist selten der Fall. Bei vielen Projekten, die das Bauunternehmen Bendl in der Umsetzung hat, sind die Fachplanungspartner vorab bereits gesetzt. Dann muss man unter Umständen Abstriche bei der BIM-Fähigkeit des Einzelnen machen. Denn nicht jeder Fachplaner, der BIM auf der Homepage stehen hat, kann es auch einsetzen.

Der Datenaustausch zwischen den Projektpartnern im Günzburger Senioren-WG-Projekt erfolgt über IFC. In den turnusmäßigen Koordinierungssitzungen wird gemeinsam am Modell überlegt, wo Problempunkte sind und wer sie in welcher Form löst. Das schafft Verständnis für die Aufgaben der Anderen und minimiert Folgefehler. Als BIM-Manager koordiniert Michael Maurer die Fachmodelle. Er gibt vor, was zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form geliefert werden muss, klärt mit den Fachplanern, welche technischen Punkte in welcher Projektphase abzuarbeiten sind und wie der möglichst reibungslose Datenaustausch zwischen den verschiedenen Programmen realisiert wird.

Modellbasierte Massen und Mengen schaffen Kostensicherheit

Der kollaborative Ansatz den Open BIM impliziert, bedeutet im konkreten Projekt bisher eine optimale Zusammenarbeit. Die Beteiligten gehen positiv in die anstehende entscheidende Bauantragsphase; viel Arbeit wartet noch auf alle Projektpartner. Dennoch gilt, dass alle Beteiligten – die Bauherren eingeschlossen – hinter der Planung als Open BIM-Projekt stehen. Für die Bauherren bedeutet diese Arbeitsweise u.a. eine hohe Kostensicherheit im gesamten Planungs- und Bauprozess. Die exakten Massen und Mengen lassen sich aus den Modellen der Fachplanungen ziehen. Sind sie früh und gut detailliert, schafft dies Sicherheit in späteren Leistungsphasen und minimiert Folgefehler auf der Baustelle. Das entlastet die ohnehin vielbeschäftigte Arbeitsvorbereitung und Bauleitung nachhaltig, weiß Stefan Wiedemann zu berichten.

Qualität setzt sich durch. Langfristig

„In den kommenden Jahren wird weniger relevant, wer der billigste Bauunternehmer im Angebot ist, sondern wer die guten, motivierten Mitarbeiter und besseren Nachunternehmer hat“, ist sich Stefan Wiedemann sicher. Und führt fort: „Daher beziehen wir unseren Handwerker mit in die Planung ein. Die Massen und Teilmengen, die er für ein Angebot benötigt, bekommt der Nachunternehmer direkt aus dem Modell von uns. Außerdem kann er sich im Modell visualisiert seinen Arbeitsbereich anschauen. Damit bekommen wir stets passende und ehrlich ermittelte Angebote mit Festpreis. Weil für den Handwerker das Risiko kalkulierbar wird, indem er die wichtigen Punkte im Modell erkennt.“

Alle einbeziehen. Und die Ausführenden nie vergessen

Die Digitalisierung der Prozesse geht weiter bis auf die Baustellen von Bendl. Hier sind bereits oft Projekträume im Einsatz, die sowohl von den Fachplanern als auch von den Fachhandwerkern genutzt werden können. Direkt am Computer, am BIM-Modell, lassen sich Problempunkte erläutern und Lösungen entwickeln. Es ist eine neue Art der Arbeit für alle Beteiligten und bringt Durchblick im Projekt. Hinzu kommt, dass die Handwerker das Modell zur Verfügung gestellt bekommen und es über ihr Smartphone und die VR-App BIMx einsehen und sich viele Punkte selbst erschließen können. Solche Tools schaffen Interesse für das konkrete Bauvorhaben und bringen die Qualität auf ein neues Niveau. Das Ergebnis sind engagierte Beteiligte, die mit Lust, Freude und Verstand gemeinsam am Projekt arbeiten und eine offene Kommunikation sowie Zusammenarbeit, die von allen getragen wird. BIM rocks!

Bei der Umsetzung eines BIM-Projekts ist eine offene und ehrliche Kommunikation (auch in Hinblick darauf, eigene Fehler einzugestehen) noch wichtiger als in einem konventionell geplanten Projekt.

Dass viele Architekten und Fachplaner noch gar nicht mit BIM planen können, das darf beruhigt als „Schnee von gestern“ bezeichnet werden.

Für die Bauherren bedeutet diese Arbeitsweise unter anderem eine hohe Kostensicherheit im gesamten Planungs- und Bauprozess.

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