Nachhaltigkeit

Bauen ohne Scheuklappen

Warum wir verschiedene Bauweisen nicht gegeneinander ausspielen sollten.

Die Baubranche steht vor einem gewaltigen Umbruch. Klimawandel, Ressourcenknappheit, gesellschaftlicher Wandel und wirtschaftlicher Druck treffen aufeinander. Umso erstaunlicher ist es, dass sich manche Diskussionen immer noch um die Frage drehen: „Holz- oder Massivbau – was ist besser?“ Als wäre nachhaltiges Bauen eine Frage der reinen Lehre. Dabei ist genau das Gegenteil gefragt: differenzierte, an der Bauaufgabe und den Rahmenbedingungen orientierte Entscheidungen – und ein Miteinander statt Gegeneinander unterschiedlicher Konstruktionsweisen.

Neue Rahmenbedingungen verlangen neue

Denkweisen

Die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, sind nicht nur technisch – sie sind systemisch. Extremwetterereignisse, wie wir sie zuletzt in Deutschland, Südeuropa oder Nordamerika erleben mussten, zeigen die Verletzlichkeit unserer gebauten Umwelt. Starkregen, Hitzeperioden und Hochwasser setzen Gebäude extremen Belastungen aus – und das mit zunehmender Häufigkeit. Längst ist klar: Der Gebäudebestand der Zukunft muss nicht nur energieeffizient, sondern auch klimawandelresilient sein.

Gleichzeitig stellen uns geopolitische Spannungen, Lieferengpässe und schwankende Rohstoffpreise vor logistische Probleme. Die weltweite Verfügbarkeit von Rohstoffen schwankt stark, was Lieferketten vor große Herausforderungen stellt. Verzögerungen in der Materialbeschaffung können zu längeren Bauzeiten und höheren Kosten führen. Wer sich zu stark auf eine einzige Bauweise oder bestimmte Materialien verlässt, macht sich verwundbar.

Eine mögliche Lösung liegt in der stärkeren Nutzung regionaler Baustoffe, die nicht nur die Transportwege verkürzen, sondern auch die Abhängigkeit von globalen Märkten verringern. Gleichzeitig eröffnen sich neue Perspektiven im Bereich der Zementtechnologie. Unternehmen forschen intensiv an Alternativen, um CO₂-Emissionen zu reduzieren und langfristig eine Balance zwischen Nachhaltigkeit und Materialanforderungen zu erreichen. Auch Saint-Gobain Weber verfolgt mit der BlueComfort-Technologie im Bereich Fliesenverlege-Systeme einen entsprechenden Ansatz. Doch wir müssen noch weiter denken.

Die falsche Reduktion: Nachhaltigkeit

ist mehr als CO2

In der politischen und medialen Debatte ist Nachhaltigkeit längst zur Chiffre für CO₂-Reduktion geworden. Und ja: die Verringerung der Emissionen im Gebäudesektor ist entscheidend. Aber es ist nur ein Teil des Ganzen. Wer etwa auf einen vermeintlich „klimaneutralen“ Neubau setzt, der nach zwei Jahrzehnten kernsaniert oder im schlimmsten Fall abgerissen werden muss, hat das Prinzip der Nachhaltigkeit grundlegend missverstanden.

Langlebigkeit, Dauerhaftigkeit, Schutz vor Feuchte, Hitze, Kälte, Brand – all das sind Kriterien, die ebenso zählen. Ein Gebäude, das 80 oder 100 Jahre Bestand hat, dessen Bauteile wiederverwendet oder recycelt werden können, ist in der Bilanz weitaus nachhaltiger als jede kurzfristige CO₂-Einsparung. Auch die Nutzerfreundlichkeit, Rückbaubarkeit und das Verhalten im Schadensfall gehören zur ökologischen Gesamtbetrachtung.

Holz, Massivbau, Hybrid – jedes System hat seine Rolle

Jede Bauweise bringt Stärken mit – und jede hat Grenzen. Allerdings können sie in feuchten Umgebungen oder bei hohen Brandschutzanforderungen an ihre Grenzen stoßen. Die Massivbauweise bietet hingegen Stabilität und Widerstandsfähigkeit, insbesondere bei Projekten mit hohen Anforderungen an Schall-, Feuchte- und Brandschutz.

Das ist vor allem auch eine Frage der Bauphysik: Leichtbau ist zwar durch die Dämmebene zwischen den Hölzern diffusionsoffen, bedarf aber einer sehr präzisen Verarbeitung, um Feuchteschäden zu vermeiden. Massive Konstruktionen wie Mauerwerk oder Beton bilden durch ihren mehrschichtigen Aufbau eine dichte Gebäudehülle und bedürfen daher keiner zusätzliche Dichtebene. Sie reagieren weniger empfindlich auf Feuchtigkeit und tolerieren selbst kleinere Verarbeitungsfehler.

Kombination statt Konfrontation: Das Beste aus

beiden Welten

Warum also nicht hybride Systeme fördern? Kombinationen aus Massivbau im Sockelbereich und Holzmodulen im Aufbau sind technisch ausgereift und wirtschaftlich sinnvoll. Auch in der energetischen Sanierung lassen sich Bauteile aus verschiedenen Systemwelten effizient miteinander kombinieren. Wichtig ist, dass Planer, Bauherren und Ausführende die jeweiligen Vorteile kennen – und keine Scheu vor Materialvielfalt haben.

Bei Saint-Gobain Weber beobachten wir in der Praxis: Der Bedarf an Systemlösungen, die sowohl im Leicht- als auch im Massivbau funktionieren, nimmt zu. Deshalb entwickeln wir Produkte, die modular einsetzbar und materialübergreifend kompatibel sind – wie unser recyclingfähiges Wärmedämm-Verbundsystem weber.therm circle, das sowohl mit Mineralwolle- als auch mit Holzfaserplatten funktioniert. Auch unsere Lösungen im Bereich Abdichtung – etwa weber.tec Superflex D 24 oder weber Anschlussdicht – wurden gezielt für unterschiedliche Untergründe entwickelt. So ermöglichen wir Planern und Bauherren, unabhängig vom Tragsystem, die beste Lösung zu wählen.

Auch im Bereich der Teile-Vorfertigung forschen wir aktiv. Für den Modul- und Fertigbau bietet Weber mit vorgefertigten Bauelementen und unserer WDVS-Fertigzarge zukunftsfähige Lösungen für die Einbindung von Fenstern in ein Wärmedämm-Verbundsystem.

Baukultur beginnt bei der Wahl der Mittel

Kommunale Auftraggeber und Wohnungsbaugesellschaften tragen eine besondere Verantwortung. Ihre Bauten prägen das Bild unserer Städte oft über Jahrzehnte hinweg. Das Ziel sollte daher nicht nur wirtschaftliche Machbarkeit, sondern auch gesellschaftliche Akzeptanz und technische Langlebigkeit sein. Wer in Quartierslösungen denkt, wer Integration, Barrierefreiheit, Klimaschutz und soziale Funktion in Einklang bringen will, braucht flexible Werkzeuge – und das schließt unterschiedliche Bauweisen ausdrücklich ein.

Ein Appell an die Branche: Offenheit statt Dogma

Die Zukunft des Bauens liegt nicht in ideologischen Grabenkämpfen zwischen Massiv- und Holzbau, sondern in der Fähigkeit, das passende System intelligent und kontextbezogen zu wählen. Nachhaltigkeit bedeutet mehr als CO₂-Reduktion – sie erfordert Langlebigkeit, Anpassungsfähigkeit und materialübergreifendes Denken. Was wir brauchen, ist ein neuer Pragmatismus: nachhaltig im Denken, flexibel im Handeln, lösungsorientiert in der Umsetzung.

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