Experten sind sich einig: Gebäudetyp-e-Gesetz dringend erforderlich

Wie können Gebäude künftig einfacher, ressourcenschonender und zugleich qualitätvoll geplant und gebaut werden? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Fachtagung „Einfach Bauen! Ohne Normen – Architekten, Ingenieure und Juristen im Dialog“, zu der die Bayerische Architektenkammer (www.byak.de), die Bayerische Ingenieurekammer-Bau und die Rechtsanwaltskammer München ins Haus der Architektur eingeladen hatten. Knapp 300 Fachleute nutzten die Gelegenheit zum Austausch über bauliche, technische und rechtliche Rahmenbedingungen einer zukunftsweisenden Baukultur.

In einem Punkt waren sich alle Expertinnen und Experten einig: Das Gebäudetyp-e-Gesetz, das im November 2024 aufgrund des vorzeitigen Endes der Legislaturperiode nicht mehr im Bundestag beschlossen wurde, ist notwendiger denn je. Denn nur mit einer Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches ist die zivilrechtlich sichere Anwendung des Planungsansatzes Gebäudetyp-e ohne zusätzliche Haftungsrisiken für die Planenden möglich.

Die Vorteile des Gebäudetyps-e wurden bei der Fachtagung mehr als deutlich: Der Planungsansatz schafft neue Handlungsspielräume beim Planen und Bauen. „Einfaches“ oder „experimentelles“ (Um)Bauen nach dem Gebäudetyp-e ist suffizient und damit kostengünstiger und nachhaltiger. Technische Normen und Regeln, die ausschließlich Komfort- oder Ausstattungsmerkmale betreffen, wären bei entsprechender Neuregelung im BGB künftig ohne ausdrückliche Vereinbarung nicht mehr Gegenstand der vertraglichen Leistungspflicht. Dies würde auch solche Normen und Regeln betreffen, die die Nutzung von innovativen, nachhaltigen oder kostengünstigen Bauweisen erheblich erschweren.

In Bayern gilt bereits seit August 2023 eine erleichterte „Möglichkeit der Abweichung“ von Anforderungen der Bauordnung in Art. 63 der Bayerischen Bauordnung. Im Dezember 2023 hat das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr gemeinsam mit der Architekten- und der Ingenieurekammer-Bau 19 Pilotprojekte in Bayern gestartet: Der Gebäudetyp-e wird hier in der Praxis erprobt und weiterer Deregulierungsbedarf identifiziert.

Auf Bundesebene wurde entsprechend dem bayerischen Modell die Musterbauordnung angepasst. Zeitgleich wurden die in den Bayerischen Technischen Baubestimmungen (BayTB) zitierten Normen und sonstige Regelungsinhalte der BayTB hinsichtlich ihrer Praxis-Erforderlichkeit zur Konkretisierung der Bayerischen Bauordnung (BayBO) in einer Expertengruppe der Architektenkammer, der Ingenieurekammer-Bau und des Bauministeriums auf den Prüfstand gestellt. Auch hier konnten Vereinfachungspotenziale identifiziert werden.

Angesicht der aktuellen Bedeutung des Themas kamen hochkarätige Gäste und Expertinnen und Experten ins Haus der Architektur: Gastgeberin Prof. Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, RAin Anne Riethmüller, Präsidentin der Rechtsanwaltskammer München, und Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, eröffneten den Fachtag. Christian Bernreiter, Bayerischer Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr, bekräftigte in seinem Grußwort seine Unterstützung für den Gebäudetyp-e deutlich.

Anknüpfend an einen Impulsvortrag von Prof. Florian Nagler wurde ermittelt, welche Möglichkeiten und Anforderungen seitens des Bauordnungsrechts (Dipl.-Ing. Univ Sabine Frohnmüller) und Zivilrechts (Dr. A. Olrik Vogel und Dr. Paul Popescu) bestehen. Prof. Elisabeth Endres berichtete zum aktuellen Stand der bayerischen Pilotprojekte zum Gebäudetyp-e. Dipl.-Ing. Univ. Rainer Hofmann aus bogevischs büro stellte eines dieser Projekte, das sich in der Umsetzung befindet, vor: „Das große kleine Haus“ in München. Dipl.-Ing.

(FH) Alexander Lyssoudis, Vorstandsmitglied der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau zeigte die Potenziale der Gebäudetechnik auf, wenn es ums einfache Bauen geht. Dipl.Architektin Erika Fries von Huggenbergerfries berichtete vom einfachen Bauen aus der Schweiz. Dipl.-Ing. Univ. Rainer Post, Vorstandsmitglied der Bayerischen Architektenkammer, hielt ein eindringliches Schlusswort. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dipl.-Ing. Univ. Andrea Bitter, Beraterin der Beratungsstelle Energieeffizienz und Nachhaltigkeit der Bayerischen Architektenkammer, und von RA Randolf Spang, Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer München.

Am Ende des Tages ist klar: „Einfach Bauen“ bedeutet nicht nur eine Kosten- und Zeitersparnis, sondern auch eine neue Haltung zum Planen und Bauen, die sich an wesentlichen Schutzzielen orientiert, übermäßige Komfortansprüche vermeidet und einfache sowie nachhaltige Lösungen in den Mittelpunkt stellt – beim Neubau wie beim Bauen im Bestand. Die überwältigende Resonanz bestätigte das große Interesse der Fachwelt an diesem Thema: Die Veranstaltung war vollständig ausgebucht, zahlreiche Interessierte mussten auf die Warteliste gesetzt werden.

Statements der Fachtagung:

Staatsminister Christian Bernreiter: „Beim Gebäudetyp-e reduzieren wir überzogene Baustandards, senken so Kosten und hinterfragen bürokratische Vorgaben. In den bayernweit 19 Pilotprojekten setzen wir dazu gemeinsam mit unseren Partnern derzeit unterschiedliche Ansätze in der Praxis um und untersuchen die Ergebnisse systematisch. Dabei soll nicht auf Sicherheit und Qualität verzichtet werden – im Gegenteil: kluge, einfache Lösungen sind vielfach für die Bewohner komfortabler und vor allem günstiger im Betrieb. Bauherren und Planer möchte ich dazu einladen, sich die Pilotprojekte anzuschauen und passende Ansätze in ihre Projekte zu übernehmen. Das bringt einen echten Mehrwert!“

Prof. Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer:
„Die Bauwende hängt nicht nur von guten Initiativen ab, sondern entscheidet sich in der praktischen Umsetzung auf der Baustelle. Mit den Pilotprojekten zeigt der Gebäudetyp-e, welches Potenzial in planerischer Kompetenz und politischer Entschlossenheit steckt. Diese Projekte sind ein wichtiger Anfang, doch ihre Relevanz entfalten sie erst in breiter Anwendung. Daher ist eine verbindliche zivilrechtliche Verankerung im BGB dringend notwendig.“

Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau: „Bauen hat sehr viel mit Physik zu tun. Vor allem, wenn es um die Kernaufgabe geht, nämlich die Abwendung der Gefahr für Leib und Leben. Physik braucht keine Normen. Bleibt also der Komfort. Benötigt der Komfort Normen? Eigentlich nicht. Komfort kann man sich je nach Geldbeutel zur Sicherheit dazu bestellen. Kann man das Bauen heute auf Physik reduzieren? Nein. Aber man kann die aus den Fugen geratenen Standards reduzieren, die das Bauen teuer machen. Und da setzt der Gebäudetyp-e an. Gesellschaftlich ist das dringend geboten und planerisch haben wir dafür die Kompetenzen. Die bayerischen Pilotprojekte zeigen, dass Bauen nach dem Gebäudetyp-e funktioniert. Nun müssen wir diese Form des Bauens in der Breite etablieren. Die am Bau tätigen Ingenieurinnen und Ingenieure sind bereit dafür.“