Bauen mit Kalksandstein

Urbanes „Zuhause-Gefühl“ im Grünen

Als 2014 der hohen Nachfrage nach Wohnraum nicht mehr allein durch innerstädtische Nachverdichtung begegnet werden konnte, beauftragte die Stadt Hannover das Büro West 8, die Architekten und Stadtplaner ASTOC sowie SHP Ingenieure mit der Entwicklung eines Masterplans für den südlichen Kronsberg. 4.000 neue Wohneinheiten sollten geschaffen werden – unter Berücksichtigung hoher architektonischer, ökologischer und nicht zuletzt landschaftsplanerischer Qualitäten.

Der damalige Direktauftrag, wegen des Verzichts auf eine europaweite Ausschreibung teils kritisch in der Fachwelt diskutiert, war in erster Linie dem Wunsch nach einer möglichst schnellen Umsetzung geschuldet. Rückblickend zeigt er sich als richtige Entscheidung von Hannovers früherem Stadtbaurat Uwe Bodemann: Das gekonnte Zusammenspiel unterschiedlicher Stärken einzelner Akteure – die vielgeübte Anwendung und Umsetzung deutscher Regularien im Rahmen von Stadt- und Verkehrsplanungen einerseits und die kosmopolitische, spielerische Handschrift der niederländischen Planer*innen andererseits – hat dem gerade entstehenden Quartier bereits in der Planung dieses besondere Gesicht verliehen.

Treffen unter Nachbarn

Für Kronsrode war die Topologie des Kronsbergs maßgeblich und bildet die Grundlage der gesamten Planung. Dessen Landschaftsraum – in den Neunzigerjahren im Zuge der EXPO 2000 sehr hochwertig angelegt – wird von Osten her auf etwa 49.000 m2 tief in das Areal hineingeführt. Damit schließt er einerseits direkt an die im Westen verlaufende Stadtbahnlinie an. Andererseits teilt er das Quartier in drei Teile: Nord, Mitte und Süd. Dies ermöglicht eine maximale Ausrichtung der Wohnungen ins Grüne. Jeder Teil erhält seine eigene, interne Grünfläche als Quartiersplatz, auf dem man sich „unter Nachbarn“ treffen kann. Geschäftiger, im wörtlichen Sinne, wirken zwei der Quartiersplätze an den Stadtbahnhaltestellen, weil hier vor allem Einkaufsmöglichkeiten, Gastronomie und Arztpraxen angesiedelt werden. 

Privates Grün finden Bewohner*innen dagegen künftig in den großzügig gestalteten Innenbereichen der einzelnen Baufelder, in denen kleine Schrebergärten, Obstwiesen und weitere Spielplätze entstehen. Drei Spielplätze im Park werden für unterschiedliche Altersgruppen gemeinsam mit den zukünftigen Bewohner*innen von Kronsrode im Detail entwickelt. Das Spiel- und Bewegungsangebot lässt sich so auf die Bedürfnisse der Gruppen anpassen; gleichzeitig beweisen Erfahrungswerte einen sehr viel pfleglicheren Umgang mit den Anlagen, wenn die Nutzenden in den Gestaltungsprozess integriert und die Spielplätze damit zu „ihren Plätzen“ werden.

Zuhause fühlen dank regionaler Materialien

Das Individuelle spielt im weitläufigen Neubaugebiet Kronsrode eine große Rolle, soll es doch ein „Zuhause-Gefühl“ vermitteln und Orientierung bieten: Den verschiedenen Straßenzügen werden unterschiedliche Baumsorten zugeordnet. Klinker ist zwar entlang der großen Achsen für die Fassadengestaltung vorgegeben, im tieferen, privateren Teil der Quartiere ist das Material der Außenhaut dagegen frei wählbar. 

Die tragende Basis für die Fassade bildet bei rund 70 % der entstehenden Geschosswohnungsbauten regional produziertes Kalksandstein-Mauerwerk von KS-Original (www.ks-original.de). Und auch bei der landschaftlichen Gestaltung legte man großen Wert auf Regionalität. „Wir werden beispielsweise heimische Hölzer verwenden, wassergebundene Wegedecken einbauen und mit Splitten und Natursteinen aus der Region planen. Dadurch vermeiden wir natürlich auch lange Transportwege“, so Thomas Köhlmus, Gesellschafter des Hannoveraner Büros Lohaus · Carl · Köhlmos, das für die Detailplanung des Parks verantwortlich ist.

Herausforderung Entwässerung

Was aus freiraumplanerischer Sicht einen Mehrwert darstellte, war in Sachen Entwässerung zunächst eine Herausforderung: Aufgrund der Topografie des Geländes musste dafür gesorgt werden, dass das Wasser bei heftigen Starkregenereignissen von den Tiefgaragen und dem Gleisbett der Stadtbahn fernbleibt. Möglich wird dies durch ein bereits im nördlichen Kronsberg eingebautes und über mehr als zwei Jahrzehnte erfolgreich betriebenes Entwässerungssystem, bestehend aus oberirdischen Mulden-Rigolen. Mit aufwendigen Computersimulationen wurde dieses System für die Hanglage von Kronsrode adaptiert. Entsprechend der Topografie wird das Oberflächenwasser künftig nord- und südwestlich zu zwei Punkten geleitet und dort gedrosselt in die Kanalisation.

Der meiste Niederschlag wird jedoch im Sinne eines nachhaltigen Umgangs mit der Ressource Wasser im Quartier belassen, indem er sich im Kiesbett der Mulden sammelt und nur wenn nötig, beispielsweise bei Starkregen, langsam über eine Drainage abgeführt wird. Der Großteil des versickernden Wassers wird später verdampfen und somit dazu beitragen, das Quartier abzukühlen, positiv auf das Mikroklima einzuwirken und die Biodiversität zu erhöhen. Zudem werden auf diese Weise nur sehr geringe Wassermengen der Kanalisation zugeführt, was wiederum Energie bei der Aufbereitung des Regenwassers einspart.

Vorbilder für Integration, Urbanität und Nachhaltigkeit

Kronsrode folgt in seiner Gestaltung zwei beeindruckenden Vorbildern: Die Masterplanung bedient sich der Erfahrungen, die die Stadt- und Landschaftsplaner West 8 mit dem Quartier Nieuw Crooswijk in Rotterdam machten, während dem Quartierspark der deutlich größer proportionierte Westpark in Augsburg Pate stand – ein Projekt, für das Lohaus · Carl · Köhlmos kürzlich mit dem Deutschen Landschaftsarchitektur Preis ausgezeichnet wurden.

In Hannover werden diese Vorbilder auf gelungene Weise vereint. „Wir glauben, dass es sehr wichtig ist, den öffentlichen Raum, den Grünraum, ganz eng an bauliche Entwicklungen zu koppeln“, erklärt Christoph Elsässer, Projektleiter bei West 8. „Das bedeutet in der Umsetzung, so wenig Fläche wie möglich zu versiegeln, durch kompakte Bauweisen und Tiefgaragen nur unter den Gebäuden. Und natürlich gilt es auch, Grünraum zu schaffen, der den Bewohner*innen zur Verfügung steht, aber in Zeiten des Klimawandels auch dazu beiträgt, den Einfluss auf die weitere Erwärmung zu minimieren.“

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