Stillstand statt Fortschritt: Digitale Transformation der Immobilienwirtschaft stagniert

Die digitale Transformation der Immobilienbranche tritt auf der Stelle. Der digitale Reifegrad steigt im Vergleich zum Vorjahr lediglich minimal – von 3,37 auf 3,43 von 5 möglichen Punkten. Das zeigt die aktuelle Studie „Transform to Succeed“, die das auf Bau und Immobilien spezialisierte Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE gemeinsam mit dem IIWM Institut für Immobilienwirtschaft und -management der TH Aschaffenburg vorgelegt hat. Die zentralen Erkenntnisse: Die Branche schöpft ihre technologischen Möglichkeiten nicht aus, investiert weniger, bildet kaum weiter – und verliert dadurch an Innovationskraft.

Für die Studie wurden 120 Fach- und Führungskräfte aus allen Segmenten der Branche befragt – von der Projektentwicklung über das Facility Management bis hin zum Asset Management. „Unsere Analyse zeigt deutlich: Der Veränderungsdruck ist hoch, doch die Bereitschaft zum Handeln bleibt vielerorts gering“, sagt Dr. Chris Richter, Associate Partner bei Drees & Sommer und Leiter des Bereichs Strategy and Organisation. Zwar gebe es Vorreiter, doch viele Unternehmen verkannten weiterhin das enorme Potenzial digitaler Lösungen, um zentrale Herausforderungen wie den Fachkräftemangel, Effizienzanforderungen oder ESG-Vorgaben zu bewältigen.

Rückläufige Investitionen: Digitalisierung wird zum Sparposten

Besonders bedenklich ist der Rückgang der Investitionsbereitschaft. Während im vergangenen Jahr noch 19 Prozent der Unternehmen mehr als 20 Prozent ihres Umsatzes in digitale Projekte investierten, sind es in diesem Jahr nur noch 7 Prozent. Die Digitalisierung wird also zunehmend als Sparpotenzial und nicht als Zukunftsinvestition betrachtet – eine besorgniserregende Entwicklung, wie Prof. Dr. Verena Rock, Studiengangsleiterin für Digitales Immobilienmanagement an der TH Aschaffenburg, betont: „Gerade in Zeiten rasanter technologischer Entwicklungen, etwa im Bereich Künstliche Intelligenz, sind rückläufige Investitionen ein alarmierendes Signal.“

Digitale Kompetenzen fehlen – Schulungsangebote ebenso

Auch beim Thema digitale Kompetenz zeigt sich ein ernüchterndes Bild: Nur 35 Prozent der Befragten bewerten das digitale Fachwissen in ihrer Organisation als ausreichend – ein Rückgang um 10 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Rund ein Viertel der Unternehmen bietet überhaupt keine digitalen Weiterbildungsformate an. Zwar verfügt etwa die Hälfte der Befragten über Zugang zu E-Learning-Angeboten, doch interaktive Präsenzformate, die laut Studie besonders effektiv sind, bleiben die Ausnahme. Hinzu kommt, dass Führungskräfte den Weiterbildungsbedarf ihrer Mitarbeitenden häufig unterschätzen – ein Missverhältnis, das sich langfristig negativ auf die Transformationsfähigkeit der Unternehmen auswirken dürfte.

Das Reifegradmodell im Fokus

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht ein eigens entwickeltes Reifegradmodell, das den digitalen Fortschritt anhand von 27 Kriterien in den Kategorien Strategie, Digitalisierung und Transformation bewertet. Während der Bereich Transformation mit einem Wert von 4,00 vergleichsweise gut abschneidet, bleiben Strategie (3,00 Punkte) und Digitalisierung (3,22 Punkte) deutlich zurück. Der Gesamtreifegrad liegt mit 3,43 nur minimal über dem Vorjahreswert. Für Prof. Dr. Rock ist klar: „Viele Unternehmen wissen, dass sie handeln müssen, aber es fehlt an Struktur, Investitionsbereitschaft und konsequenter Umsetzung. Technologien wie Predictive Analytics oder Prozessautomatisierung kommen bislang kaum zur Anwendung.“ Zudem mangele es an strukturellen Voraussetzungen, Investitionsbereitschaft und Expertise.

Veränderungswille ja, Umsetzung nein

Rund 80 Prozent der Befragten bezeichnen sich selbst als offen für Veränderungen. Doch nur ein Drittel erkennt diese Offenheit auch im eigenen Unternehmen. Und lediglich 15 Prozent geben an, dass digitale Technologien vollständig in den Berufsalltag integriert sind. „Hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander“, sagt Dr. Chris Richter. „Die Branche steckt nach wie vor in einer 'Stuck Position' – irgendwo zwischen ehrgeiziger Vision und zögerlicher Umsetzung.“

Erfolgsfaktor Innovationskultur

Laut Studie gibt es jedoch klare Erfolgsfaktoren. Unternehmen mit einer gelebten Innovationskultur schneiden beim digitalen Reifegrad signifikant besser ab. Sie setzen eher auf neue Geschäftsmodelle, integrieren Zukunftstechnologien wie KI oder Blockchain und fördern lebenslanges Lernen. Diese Unternehmen arbeiten stärker vernetzt – sowohl intern als auch mit externen Partnern wie PropTechs – und verfügen über flexiblere Organisationsstrukturen, die Veränderung ermöglichen. Digitalisierung sei, so bringt es Prof. Dr. Rock auf den Punkt, „nicht in erster Linie eine technische, sondern eine kulturelle Herausforderung.“

Der Wandel als Chance: Wer jetzt handelt, gewinnt

Best-Practice-Beispiele zeigen, wie die digitale Transformation gelingen kann: Peer Henke von der GAG Immobilien AG berichtet etwa von einem unternehmensinternen Bewertungssystem für Digitalisierungsprojekte, das klare Prioritäten setzt und sicherstellt, dass Vorhaben mit dem größten Business Value zuerst umgesetzt werden. Pia Hellstern von der BUWOG Bauträger GmbH beschreibt die Priorisierung als Gamechanger: Ihr Unternehmen hat feste Strukturen etabliert, um die drei größten operativen Pain Points gezielt zu adressieren und systematisch zu lösen.

„Wir wollen mit unserer Studie Impulse setzen und dazu motivieren, die digitale Transformation als Gestaltungschance zu begreifen“, so Prof. Dr. Verena Rock. „Ob Effizienzsteigerung, regulatorische Transparenz oder attraktive Arbeitsumfelder – all das ist durchdacht digital erreichbar.“

Digitalisierung ist Chefsache

Auch für Dr. Chris Richter ist klar: Digitalisierung ist ein zentraler Hebel für die Zukunftsfähigkeit der Branche. Wer jetzt handelt, steigert nicht nur die Effizienz, sondern erfüllt gesetzliche Anforderungen und erhöht die Attraktivität für Fachkräfte. „Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein. Sie muss konkrete Mehrwerte liefern – und das gelingt nur, wenn sie strategisch verankert, professionell umgesetzt und kulturell mitgetragen wird.“

Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation ist das Zusammenspiel mehrerer Faktoren: Die Digitalisierung muss integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie und -struktur sein. Der Kompetenzaufbau erfordert gezielte Qualifizierungsmaßnahmen auf allen Ebenen. Technologien dürfen nicht punktuell eingesetzt, sondern müssen in die Wertschöpfung eingebettet werden. Und: Der Wandel braucht einen kulturellen Rahmen – Innovationsprozesse, die Raum für Ideen schaffen, sowie eine Führung, die Verantwortung übernimmt und den Wandel aktiv gestaltet. „Erst wenn all diese Elemente ineinandergreifen, kann die Branche ihr digitales Potenzial wirklich entfalten“, so Richter abschließend.

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