Sakralbauten

Und was wird aus dem Jugendclub?

Neben den Kirchengebäuden prägen auch Gemeindehäuser, Pfarrwohnungen und soziale Einrichtungen ein Quartier. Ihr Verlust reißt Lücken ins soziale Gefüge. Wo sind die Herausforderungen und auch die Chancen?

Kirchliche Immobilien in Deutschland stehen vor dem größten Wandel seit Jahrzehnten. Bis 2060 planen evangelische Landeskirchen und katholische Bistümer, sich von rund 40.000 Gebäuden zu trennen – etwa ein Drittel ihres derzeitigen Bestands. Der Fokus der öffentlichen Wahrnehmung liegt dabei meist auf den Kirchengebäuden – ihre oft imposante Architektur, ihr häufig denkmalgeschützter Status, ihre symbolische Aufladung. Es gibt inzwischen eindrucksvolle Beispiele von Umnutzungen: als Veranstaltungsorte, Bibliotheken oder Cafés. Sie zeigen, wie sakrale Räume neu ins städtische Leben eingebettet werden können. Das „Kirchenmanifest“, das im Mai 2024 veröffentlicht wurde, ist hier ein wertvoller Treiber[1].

Doch dabei gerät vor Ort häufiger aus dem Blick, dass die Kirche selten allein ist. Mit ihr stehen auch zahlreiche weitere Gebäude zur Disposition – Pfarr- und Gemeindehäuser, Jugendräume, Verwaltungsbauten, Sozial- und Bildungseinrichtungen, manchmal sogar Spielplätze, Gärten oder Kegelbahnen. Über Jahrzehnte gehörten sie selbstverständlich zum sozialen Inventar der Nachbarschaft. Sie waren Orte der Begegnung, der Beratung, der Hilfe, der Freizeit – niedrigschwellig, nah und verlässlich.

Verlust der Alltagsorte – was bleibt?

Während viele Sakralbauten unter Denkmalschutz stehen – rund 80 Prozent der etwa 42.500 Kirchen beider großer Konfessionen – und dadurch zumindest formalen Schutz genießen, fehlt es für die umgebenden Einrichtungen häufig an Perspektiven. Dabei sind es gerade diese Gebäude, die über Jahre den Alltag im Quartier geprägt haben. Mit dem Ende der gemeindlichen Nutzung gehen Räume verloren, die Nachbarschaften verbunden, Jugendlichen Rückzugsorte geboten und älteren Menschen Vertrautheit geschenkt haben.

Der anstehende Wandel im kirchlichen Gebäudebestand ist keine rein innerkirchliche Aufgabe. Er betrifft Stadtentwicklung, Baukultur, Denkmalschutz – ebenso wie Quartiersarbeit, soziale Träger und zivilgesellschaftliche Initiativen. Es braucht systematische Strategien, tragfähige Partnerschaften und eine Planung, die über die Kirchenmauern hinausdenkt.

Wie lässt sich das gesamte Ensemble – in seiner baulichen wie sozialen Dimension – weiterentwickeln? Wie können Gemeindehäuser oder Pfarrwohnungen in neue Nutzungen überführt werden, die Teilhabe ermöglichen und Gemeinschaft stärken, statt sie zu verdrängen? Der drohende Leerstand kirchlicher Immobilien ist eine gesellschaftliche und kommunale Herausforderung.

Kirche im Quartier – mehr als ein Glaubensort

Kirchen sind über Jahrhunderte hinweg zu architektonischen, sozialen und symbolischen Fixpunkten unserer Städte und Dörfer geworden. Auch in zunehmend säkularen Gesellschaften behalten sie ihre Relevanz im Quartier: als identitätsstiftende Orte, emotionale Erinnerungsräume oder kulturelle Landmarken.

Gerade in Stadtteilen mit heterogener Bevölkerung oder wenigen öffentlichen Treffpunkten hinterlässt das Verschwinden dieser Angebote eine Lücke – räumlich wie gesellschaftlich. Zugleich birgt dieser Wandel Potenzial: Wenn Kirchenareale als Ankerorte neu gedacht werden, können sie Impulse setzen – für gemeinschaftliches Leben, soziale Integration und nachhaltige Stadtentwicklung.

Wie solche Orte zukunftsfähig weiterentwickelt werden können, wird derzeit in Mannheim-Käfertal untersucht. Dort arbeiten Gemeinden, Sportverein, Zivilgesellschaft und Verwaltung als Netzwerk Spinelli FreiRaumLab eng zusammen, um ein neues soziales Zentrum zwischen dem alteingesessenen Stadtteil Käfertal und dem neuen Quartier Spinelli zu entwickeln. Dabei gilt es vor allem, zwei kirchliche Immobilien gemeinschaftlich zu sichern und nachhaltig zu nutzen.

Im Fokus steht hier die ehemalige katholische Kirche St. Hildegard, die derzeit durch den Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg in eine Fachschule für Gesundheits- und Sozialberufe umgebaut wird. Auch für die gegenüberliegende evangelische Philippuskirche mit ihrer Kita und ihren Gemeinschaftsräumen müssen neue Nutzungen entwickelt werden. Gerade haben die beiden Gemeinden eine Vereinbarung getroffen, nach der die katholischen Gläubigen ihren Gottesdienst in der evangelischen Kirche feiern können – hier ist Zusammenwachsen gefragt.

Aber auch die Philippuskirche steht auf der Liste möglicher Schließungen ganz oben. Die Arbeit des Spinelli FreiRaumLabs hat hier einen Aufschub bis 2029 verschafft, bevor über eine endgültige Entscheidung zur Zukunft des Gebäudes getroffen wird. Bis dahin soll ein belastbares, langfristiges Konzept entstehen, das sowohl die Bedürfnisse der Gemeinden als auch des Stadtteils berücksichtigt. Problematisch ist dabei u. a., dass es keine Fördermittel für eine solche aufbauende Netzwerkarbeit gibt, die Landeskirchen überzeugt werden müssen, und die Stadt keinen Zugriff auf die Areale hat.

Rahmenbedingungen und Entscheidungslogiken: Wie kirchliche Immobilien bewegt werden können

Kirchliche Gebäude gehören in der Regel den evangelischen Landeskirchen oder katholischen Bistümern. Anders als bei öffentlichen Liegenschaften erfolgt die Veräußerung eigenständig – häufig unter dem Vorbehalt konfessioneller, sozialer oder ethischer Nutzungskriterien. Für Kommunen und zivilgesellschaftliche Akteur:innen erschwert das den Zugang – und die Planbarkeit langfristiger Kooperationen.

Hinzu kommen rechtliche Rahmenbedingungen, die vor Ort den Handlungsspielraum bestimmen: Denkmalschutz, Bauplanungsrecht oder bestehende Bebauungspläne setzen Grenzen – eröffnen aber auch Gestaltungsmöglichkeiten. Instrumente wie das Erbbaurecht, Vorkaufsrechte oder städtebauliche Verträge können helfen, gemeinwohlorientierte Nutzungen zu sichern.

Immobilienentscheidungen in der Kirche sind eingebettet in ein komplexes System aus Strukturen, Traditionen und inneren Logiken. Während die Eigentümerschaft in der Regel bei den Landeskirchen oder Bistümern liegt, tragen die örtlichen Gemeinden oft die Verantwortung für Nutzung und Betrieb. Dieses Mehrebenenmodell führt nicht nur zu langen Entscheidungswegen, sondern erschwert auch die Kommunikation: Wer entscheidet eigentlich – und wer ist ansprechbar?

Die Bewertungen der Relevanz einzelner Standorte werden intern von Landeskirchen oder Bistümern erstellt, um Gebäude nach Kriterien wie Lage, Zustand, Nutzung oder kultureller Bedeutung zu klassifizieren – mit dem Ziel, strategische Entscheidungen über Erhalt, Aufgabe oder Umnutzung vorzubereiten. Doch die Listen sind freiwillig, uneinheitlich und meist nicht öffentlich zugänglich. Diese Intransparenz erschwert kooperative Stadtentwicklung – insbesondere dort, wo frühzeitige Abstimmung und gemeinsames Handeln gefragt wären.

Daniel Koch, Leiter Bau und Liegenschaften in der Kirchenverwaltung der Evangelischen Kirche in Mannheim, die eng mit der Stadt zusammenarbeitet, kommentiert in einem Interview dieses Thema so: „Wir denken über vieles nach. Auch über die Frage, wo es Möglichkeiten gibt, über Liegenschaften auch Einnahmen zu generieren. Dafür, denke ich, müssen wir uns von der Kubatur trennen. Oder von vielen Kubaturen trennen, um an den Standorten noch Adressen zu halten. Denn es ist ja nicht die Absicht, einen Stadtteil, ein Quartier oder einen Straßenzug aufzugeben. Die Absicht ist, vor Ort als Kirche ansprechbar und erreichbar zu bleiben. Aber in einer angemessenen Kubatur, denn nur die können wir uns leisten. (…) Wir müssen in einen dringend notwendigen Gebäudereformationsprozess gehen. Damit verbinde ich keinen Vorwurf, denn wir haben es hier mit gewachsenen Strukturen zu tun.“

Künftige Prozesse brauchen also mehr Offenheit, klar definierte Zuständigkeiten und eine Kommunikationskultur, die Schnittstellen nicht als Bruchstellen versteht, sondern als Chancen für partnerschaftliche Zusammenarbeit.

Bauen im Bestand – Herausforderungen und Möglichkeiten

Die Umnutzung kirchlicher Immobilien unterliegt einer Vielzahl baurechtlicher und denkmalpflegerischer Vorgaben. Häufig sichert der Denkmalschutz den Erhalt historischer Bausubstanz, erschwert jedoch oft flexible Lösungen. Jede bauliche Veränderung muss mit den zuständigen Behörden abgestimmt und genehmigt werden.

Die Bauordnungen der Länder variieren – sie bringen je nach Bundesland unterschiedliche Anforderungen mit sich. Die Umwandlung kirchlicher Gebäude erfordert oft aufwendige bauliche Anpassungen – denn sie wurden schließlich nicht für Wohnen, Kultur oder soziale Nutzungen geplant. Architekt:innen und Planer:innen müssen daher funktionale und gestalterische Lösungen entwickeln, die sowohl den rechtlichen Rahmenbedingungen als auch heutigen Standards gerecht werden.

Besonders anspruchsvoll wird es, wenn gleichzeitig energetische Sanierungen und barrierefreie Umbauten notwendig sind. Hier braucht es eine enge, frühzeitige Zusammenarbeit zwischen Kirchen, Kommunen und Fachbehörden, um rechtliche, gestalterische und soziale Anforderungen miteinander zu verbinden – und realistische Wege für nachhaltige Umnutzung zu eröffnen. Es ist aber auch an der Zeit, zu fragen, ob die neuesten Standards für solche Bestandsgebäude, die noch gut funktionieren, wirklich notwendig sind.

Zuständigkeit klären – Strategien statt Stillstand

Die Umnutzung kirchlicher Gebäude ist keine rein kirchliche Angelegenheit – sie betrifft das Gemeinwesen insgesamt. Ihre Aufgabe oder Transformation wirkt sich unmittelbar auf das Stadtbild, die soziale Infrastruktur und das Leben im Quartier aus. Und doch herrscht vielerorts ein Zuständigkeitsvakuum.

Kommunen wiederum sind bereits stark mit ihren Pflichtaufgaben wie Bildung, Wohnen oder sozialer Daseinsvorsorge ausgelastet. Sie verfügen nur selten über die personellen oder finanziellen Ressourcen, um strategisch in kirchliche Liegenschaften zu investieren oder entsprechende Prozesse aktiv zu begleiten. Auf kirchlicher Seite fehlen wiederum oft tragfähige Partnerschaften oder strukturierte Verfahren für Übergabe und Weiterentwicklung.

Was nötig ist, sind nicht nur gute Ideen, sondern vor allem verlässliche Strukturen, die Planung, Koordination und Verantwortung bündeln. Etablierte Instrumente wie kommunale Liegenschaftsstrategien oder Bodenfonds bieten dabei sinnvolle Ansätze: Sie ermöglichen frühzeitige Steuerung, vernetzen Akteur:innen und priorisieren gemeinwohlorientierte Nutzungen. Besonders wirksam sind kooperative Modelle, in denen Kirchen, Städte, Wohnungsbaugesellschaften, soziale Träger:innen und Zivilgesellschaft gemeinsame Ziele definieren und koordiniert vorgehen. Auch sogenannte Pioniernutzungen – etwa als Orte für Kultur, Bildung oder nachbarschaftliches Engagement – können wichtige Impulse setzen.

Neue Trägerstrukturen – gemeinsam Verantwortung übernehmen

Doch auch dort, wo strategische Strukturen entwickelt und kooperative Ansätze erprobt werden, bleibt eine zentrale Herausforderung bestehen: Wer trägt die Verantwortung für Umsetzung, Verstetigung und Betrieb? Die Umnutzung kirchlicher Immobilien ist kein Projekt für Einzelne – sie erfordert langfristiges Engagement, professionelles Know-how und tragfähige Organisationsformen.

Weder ehrenamtliches Engagement noch klassisch aufgestellte Hauptämter sind allein in der Lage, solch komplexe Prozesse nachhaltig zu gestalten. Ehrenamtliche stoßen schnell an ihre Grenzen, wenn es um Projektentwicklung, Finanzierung oder das Zusammenspiel mit Behörden geht – und es ist auch nicht ihre Aufgabe. Demgegenüber sind Hauptamtliche häufig mit Pflichtaufgaben gebunden und institutionell nicht auf Transformationsprozesse dieser Art ausgerichtet.

Gefragt sind deshalb neue Trägerschaften und Kooperationsmodelle, die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt. Die Umnutzung kirchlicher Immobilien kann Teil einer Transformationsbewegung sein, die auf Bestand setzt, auf Kooperation und auf zukunftsfähige Formen des Zusammenlebens.

[1] https://www.moderne-regional.de/kirchenmanifest

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