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„Streichungen und Zwänge führen nicht zum Ziel“

Felix Lüter, geschäftsführender Vorstand der Initiative Wohnen.2050, über den steinigen  Weg zur Klimaneutralität.

Das Ziel der Initiative Wohnen.2050 (IW.2050) und ihrer mittlerweile über 220 Partner ist es, gemeinsam Klimaneutralität in ihren Unternehmen und Institutionen möglich zu machen – eine sehr ambitionierte Herausforderung für alle Beteiligten. Welche Erfahrungen haben Sie bisher gesammelt? Und: Liegen alle im Zeitplan?

Felix Lüter: Ob dies im kurzen, aber eigentlich erforderlichen Zeitraum bis 2045 gelingt, erscheint nach Zinswende, Baukosten-Explosionen, Förderstopp, Energiekrise und Lieferengpässen fraglich – selbst unter den Vorreitern unserer Branche. In Sachen Technik brauchen wir noch Lernkurven – sie ist jedoch grundlegend vorhanden.

Entscheidend ist vor allem die Frage der Finanzierbarkeit in Kombination mit der Kürze des Zeitraums. Denn: In aller Regel übersteigt der Investitionsbedarf für das Erreichen der Klimaneutralität die finanziellen Möglichkeiten der meisten Wohnungsunternehmen um ein Vielfaches! Das liegt vor allem am sozialen Auftrag: Unsere Partnerunternehmen müssen in ihren Regionen das Grundbedürfnis auf Wohnen für diejenigen erfüllen, die sich am freien Markt nicht versorgen können. Die zunehmende Formalisierung der Klimaziele durch das Ordnungsrecht schränkt finanzielle Handlungsspielräume zunehmend ein, bereits bestehende Klimastrategien müssen neu aufgesetzt und an die Vorgaben von GEG- und EPBD-Novelle angepasst werden.

Finanzierbarkeit ist somit nach wie vor das entscheidende Thema? Verfügen Sie schon über einen Kostenrahmen oder gar konkrete Zahlen, die das bemessen, was auf die Unternehmen zukommt, um ihre Klimaziele zu realisieren?

Felix Lüter: Die Wohnungswirtschaft steht seit mehr als 100 Jahren für Verlässlichkeit. Aber vor dem Hintergrund von Investitionsbedarfen, die zum Teil vorhandene wirtschaftliche Mittel um das Fünffache überschreiten, stellt sich erstmals in unserer Geschichte die Frage, ob wir kommendes Ordnungsrecht einhalten können.

Lassen Sie es mich am Beispiel meines Mutterunternehmens Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte I Wohnstadt (NHW) aufzeigen: Wir gehören zu den ersten, die 2018/19 eine Klimastrategie mit Zeit-Maßnahmen-Kosten-Planung bis 2050 errechnet haben. Vergangenes Jahr haben wir unsere Klimastrategie fortgeschrieben auf 2045. Verkürzter Zeitraum: 22 statt 30 Jahre.

Nach der radikalen Veränderung der wirtschaftlichen Rahmensetzungen können wir uns nach aktueller Prognose bis 2045 rund 1,4 Milliarden Euro Investitionen in den Bestand unserer knapp 60.000 Wohneinheiten leisten. Ökonomische Leitplanken sind eine stabile Eigenkapitalquote von 30 Prozent und ein mindestens neutraler Jahresüberschuss. Mit dem bisherigen, technisch und volkswirtschaftlich sinnvollen Maßnahmen-Mix aus Defossilisierung im Heizungskeller, Hüllmodernisierung auf EH85-70 und Erneuerbarer Stromproduktion auf unseren Dächern benötigen wir für Klimaneutralität stolze 7,5 Mrd. Euro. Das ist mehr als das Fünffache!

Selbst für einen Konzernpfad Richtung 11 kg CO2/m²a in 2045 sind es immer noch 3,6 Mrd. Euro – das 2,5-fache dessen, was wir uns leisten können, ohne in wirtschaftliche Schieflage zu geraten. Wenn wir so weitermachen, würden wir also in wenigen Jahren wirtschaftlich vor die Wand fahren. So geht es fast allen Partnern in der IW.2050.

Hohe Investitionen stehen also allen bevor, keiner darf über seine Verhältnisse wirtschaften, wenn er auch nur annähernd überleben will. Sehr dünnes Eis … Wie ist denn die aktuelle Ausgangslage für die Partner?

Felix Lüter: Für den Erfolg beim Klimaschutz sind die Ausgangslagen der Portfolien entscheidend: Zwei Faktoren sind hier ganz wesentlich: Zum einen sind in der Initiative Wohnen.2050 Wohnungsunternehmen mit einem derzeit noch großen Modernisierungsstau vertreten – zum anderen gibt es Unternehmen, die weitgehend bereits einmal den Bestand modernisiert haben. Bei der Wärmeversorgung gibt es Unternehmen mit gar keiner oder nur wenig Fernwärme, als anderes Extrem haben wir Partner mit über 85 Prozent Fernwärme-Versorgung.

Unternehmen, die einmal durchmodernisiert, aber noch nicht „2045-ready“ sind und einen hohen Anteil an Fernwärme-Versorgung haben, verfügen über die besten Voraussetzungen. Aktuell kenne ich allerdings nur zwei, die – Stand heute – davon ausgehen, dass sie unter den derzeitigen Bedingungen 2045 keine CO2-Emissionen mehr haben – und das bei fast 210 Wohnungsunternehmen in unserer Initiative.

Nur zwei von über 200 IW.2050-Partnern schaffen derzeit die Klimaneutralität bis 2045? Das bedeutet für alle anderen noch richtig viel Arbeit. Den Kopf in den Sand stecken und zu resignieren, bringt jedoch keinen voran. Welche Schritte unternehmen Sie aktuell, um die avisierten Ziele zu erreichen?

Felix Lüter: Nach bestem Wissen und Gewissen weiter die Umsetzung vorantreiben und gleichzeitig nach technischen und wirtschaftlichen Optimierungen suchen. Vor dem Hintergrund von GEG- und EPBD-Novelle ist das ordnungsrechtliche Ziel, den letzten fossilen Heizkessel spätestens Ende 2044 außer Betrieb zu nehmen – und die Anforderungen der EPBD bis 2033 zu erfüllen. Angestrebt ist es, die schlechtesten drei deutschen Effizienzklassen F, G, H weg zu modernisieren. Derzeit betrifft dass 30 Prozent aller Mehrfamilienhäuser! Wir prüfen gerade, inwieweit wir uns nur noch auf die Defossilisierung im Heizungskeller fokussieren. Konkret heißt das, die fossilen Anlagen kommen raus, wo vorhanden, Fernwärme oder ansonsten Wärmepumpen rein.

Ein Betrieb von eingesetzten Wärmepumpen mit einer vertretbaren Jahresarbeitszahl (JAZ) von mindestens 2,5 scheint auch in schlechten Effizienzklassen erreichbar, soweit man – je nach Effizienzklasse – Austausch und Vergrößerung der konventionellen Heizkörper mit einplant. Um dieses sehr abgespeckte und volkswirtschaftlich alles andere als optimale Vorgehen bezahlbar zu machen, braucht es aber auch hier ganz klar ökonomische Unterstützung.

Wie sollte diese ökonomische Unterstützung aus Sicht der Initiative Wohnen.2050 aussehen?

Felix Lüter: Wir haben hier vier relevante Punkte identifiziert, die aus ökonomischer Sicht entscheidend für die Klimaziel-Erreichung sind. Erstens: Der Austausch der Wärmeversorgung muss über viele Jahre betriebswirtschaftlich abschreibbar, also „aktivierbar“ sein. Zweitens: Die BAFA-Zuschüsse müssen mindestens in Höhe der bisherigen 25 bis 40 Prozent erhalten bleiben. Vermutlich brauchen wir noch mindestens 10 Prozent mehr Förderzuschuss! Drittens: Die Mietumlage-Fähigkeit der Defossilisierung der Heizanlagen muss ermöglicht werden. Viertens: Wir müssen über den vom GdW geforderten gleitenden Mietendeckel sprechen, damit die Deckelung von 2019 an die heutigen Kosten angepasst wird.

Das sind zwingende Voraussetzungen, wenn wir die Klimaneutralität so schnell wie möglich umsetzen wollen – ohne ökonomisch unsere Unternehmen zu überlasten, sie sogar sehenden Auges in die Insolvenz zu treiben und ohne unseren sozialen Auftrag über Bord zu werfen.

Die enormen Kosten werden auf viele Schultern verteilt werden müssen. Sehen Sie eventuell Möglichkeiten für Einsparungen, Kürzungen oder Umschichtungen in den Unternehmen, um die Finanzierung stemmen zu können?

Felix Lüter: Bislang verfolgen wir den volkswirtschaftlich und technisch sinnvollen Kurs, durch Hüllmaßnahmen die Energie-Einsparung auf 60 bis 80 Prozent zu bringen. Um den erforderlichen Ausbau Erneuerbarer Energien klein zu halten, setzen wir vor allem auf Fernwärme und Wärmepumpen. Zudem wollen wir unseren Beitrag zur regenerativen Stromproduktion via Photovoltaik auf unseren Liegenschaften leisten. Dieser Kurs ist sehr erfolgreich: In unseren vollmodernisierten Beständen kommen wir heute mit Wärmepumpen auf Effizienzklasse A und de facto klimaneutrale Gebäude.

Unsere eigene Stromproduktion kann helfen, den Mietern vertretbare Wärmepumpen-Strompreise anzubieten. Dieses Vorgehen ist leider nur zu aufwendig und teuer, um es betriebswirtschaftlich in der erforderlichen Skalierung abbilden zu können. Mit dem Kostendruck und in Anbetracht der GEG-Novelle bleibt uns im Extremfall nur noch, die Heizung zu defossilisieren und auf die bisher sinnvollen, aber arbeitsintensiven und teuren Hüllmaßnahmen zu verzichten.

Die jüngste Gesetzgebung sieht vor, Städte und Gemeinden stärker in die Pflicht zu nehmen – mit einer kommunalen Wärmeplanung. Welches Potenzial sehen Sie darin?

Felix Lüter: Die kommunale Wärmeplanung muss unbedingt von Beginn an die Wohnungsunternehmen als Sparringspartner auf Augenhöhe einbinden. Es gilt, intelligente Vernetzung in den Quartieren zu organisieren. Es gibt zahlreiche Aspekte, die hier einfließen sollten – unter anderem: die lokale Stromproduktion mit möglichst hoher Eigennutzung, eine Zwischenspeicherung des Überschussstromes gegebenenfalls durch Elektrolyseure mit Abwärme-Nutzung im Quartiersverbund. Nur so kann Wasserstoff im Gebäudesektor sinnvoll eingesetzt werden.

Zwingend muss der Ausbau des städtischen Stromnetzes mitgedacht werden. Wo immer möglich, ist parallel der Fernwärme-Ausbau voranzutreiben. Eigentümer und nutzerübergreifende energetische Quartierskonzepte gehören ebenso in die Planung wie das Einbeziehen von Abwärme-Potenzialen. Vermutlich benötigen wir übergangsweise auch regeneratives Methan aus Reststoffverwertung aus dem europäischen Markt – derzeit nur schwer erhältlich. Wenn uns der Austausch aller fossilen Anlagen bis 2045 nicht vollständig gelingt, könnte für die Restbestände so zumindest bis zum Austausch der Wärmeversorgung Klimaneutralität erreicht werden.

Wenn Fernwärme nicht zur Verfügung steht: Welche klimafreundliche Heiztechnik ist dann für den Bestand der Wohnungswirtschaft die erste Wahl?

Felix Lüter: Ermutigend sind die technologischen Entwicklungen bei Wärmepumpen für Mehrfamilienhäuser. Die Techniker in den Wohnungsunternehmen sagen, dass die Wärmepumpen von heute nicht mehr vergleichbar sind mit denen, die vor zwei Jahren eingebaut wurden. Die Kompressoren sind viel besser geworden, die Luftansaugung ist viel leiser. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, Wärmepumpen auch auf eng bebauten Grundstücken realisieren zu können. Die Lernkurve in den Wohnungsunternehmen, bei den Handwerkern und auch den Energie-Ingenieuren ist enorm.

Der berühmte Blick in die Glaskugel: Wie realistisch ist es, dass die Partner der IW.2050 das Klimaziel erreichen? Was erwarten Sie diesbezüglich von der Politik?

Felix Lüter: Es ist gut, dass die Politik nun versucht, den Klimaschutz zu forcieren. Aber mit ordnungsrechtlichen Zwängen allein bei gleichzeitiger Abschaffung der finanziellen Zuschussförderung wird man dem Klimaschutz einen Bärendienst erweisen. Die Realwirtschaft zu überfordern, führt nicht zum Ziel. Mit verbesserten Rahmenbedingungen, die ermöglichen, statt zu zwingen, kann es möglicherweise gehen. Und mit einem Gesamtbild, statt gesetzlichem Puzzle. Es gilt, nicht zu zaudern sondern zu handeln, so viel und so schnell es geht, gemeinsam und über Sektorgrenzen hinweg. Hinsichtlich der Kosten müssen wir uns endlich ehrlich machen: Wir brauchen die Dimensionen von Pandemie- und Energiekrisen-Doppelwumms für die Defossilisierung in allen Branchen und Sektoren – und zwar jährlich bis 2045! Nur dann haben wir annähernd eine Chance, in Zielnähe zu gelangen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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