3. Praxisbericht der Initiative Wohnen.2050: „Umdenken. Umplanen. Umsetzen.“

Fehlende Finanzierung und Förderungen: Klimaneutralität droht zu scheitern

Auf über 150 Seiten geben große und kleine Unternehmen Einblicke in ihre praktische Arbeit und informieren über Möglichkeiten und Maßnahmen der Energiewende im Bestand. Neben zahlreichen Klimastrategien und Projekten werden vorhandene Spannungsfelder erläutert und konkrete Lösungsansätze aufgeführt – für die Branche selbst, aber auch für die Politik.

Das Ziel der Klimaneutralität stellt die soziale Wohnungswirtschaft in Deutschland vor ihre bisher größte Herausforderung nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Die Branche wird seitens der Politik angehalten, eine nahezu akrobatische Meisterleistung zu vollbringen. Der geforderte Spagat ist allerdings schwer zu realisieren: Einerseits soll weiterhin die sozial-gesellschaftliche Grundverpflichtung erfüllt werden, bezahlbare Wohn- und Lebensräume für alle Menschen zu schaffen, die sich am hochpreisigen freien Immobilienmarkt nicht selbst versorgen können. Andererseits ist das Erreichen der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 geboten.

Für kleine und große Wohnungsunternehmen bedeuten diese Forderungen weitaus mehr als organisatorische und finanzielle Leistungen der sportlichen Extraklasse: Sozialer Grundauftrag, knappe Zeit und extrem hohe Investitionskosten müssen wirtschaftlich ausgewogen für Unternehmen und Mieterschaft koordiniert werden. Gelingt dies nicht, könnte das für viele das Aus bedeuten.

Die Brisanz der Lage spiegelt der nun vorgelegte 3. Praxisbericht der Initiative Wohnen.2050 (IW.2050, www.iw2050.de) wider. Insgesamt haben sich 61 Unternehmen aktiv daran beteiligt. Er basiert auf einer im Zeitraum von März bis Mai 2023 online durchgeführten Abfrage bei Partnerunternehmen und -verbänden. Neben einer Reihe fertiggestellter Klimastrategien beinhaltet der Bericht auch individuelle Projekte bereits realisierter klimaneutraler Energieversorgung.

Zentrales Ergebnis: Alle Beteiligten arbeiten mit Hochdruck an Lösungen, größtes Sorgenkind bleiben jedoch die Themen Finanzierung und fehlende Förderungen. Auch wenn multiple Krisen und zunehmende Regulatorik die Herausforderung weiter wachsen lassen, befinden sich aktuell 14 Prozent der Unternehmen bereits in der Umsetzung ihrer individuellen Klimastrategie, weitere 14 Prozent haben diese gerade fertiggestellt und 13 Prozent befinden sich in der Endphase. Über die Hälfte (57 Prozent) sind mittendrin in den Arbeiten. Lediglich zwei Prozent der Befragten haben noch nicht begonnen. Bedingt durch immer wieder neue, beziehungsweise geänderte politische Rahmensetzungen und die daraus resultierenden Neuplanungen ist es bei zahlreichen Unternehmen bereits die zweite Version, die mit zusätzlichem Zeit- und Personalaufwand erstellt werden musste.

Kaum Chancen für eine Netto-Null

Bei rund der Hälfte der teilnehmenden Wohnungsunternehmen lagen die spezifischen Treibhausgas-Emissionen der Bestände zum Zeitpunkt der Erhebung im Mittelwert bei circa 28 kg CO2-Äqv./m²a. Angestrebt sind jedoch – bis zum jeweiligen individuellen Zieljahr – im Mittel 12 kg CO2-Äqv./m²a. Das entspricht einer durchschnittlichen Reduktion von rund 57 Prozent! Um eine derartige Senkung zu erreichen, sind die Anstrengungen enorm – vor allem in finanzieller Hinsicht und im Hinblick auf die derzeit vorherrschenden Verknappungs- und Verteuerungssituationen.

Der durchschnittliche Zielwert zeigt aber auch, dass die Unternehmen das Erreichen einer Netto-Null unter den aktuellen Rahmenbedingungen ökonomisch für 2045 nicht als realisierbar erachten. Stand Mitte 2023 war davon auszugehen, dass unter den derzeitigen Bedingungen nur vier von über 200 Unternehmen in der IW.2050 im Jahr 2045 keine CO2-Emissionen aus dem Betrieb ihrer Gebäude mehr haben werden – ein Anteil von nur knapp zwei Prozent. „Dass unsere Unternehmen trotz dieser Prognose alles daran setzen, sobald als möglich die Klimaneutralität für ihre Bestände und Betriebe herbeizuführen, belegen die im 3. Praxisbericht dargelegten Projekte und Maßnahmen“, so Felix Lüter, geschäftsführender Vorstand des Initiative Wohnen.2050.

Appell zur Machbarkeit

Die im Praxisbericht aufgeführten sieben Klimastrategien, 12 Pilotprojekte, 15 neuen – und nach wie vor bestehenden – Spannungsfelder sowie rund 20 Lösungsansätze sind Belege für die intensiven Bemühungen, Klimaschutz in den Unternehmen voranzutreiben und in einem knappen Zeitfenster eine möglichst große THG-Ersparnis zu erreichen. Davon zeugen auch zahlreiche Zitate von und Interviews mit IW.2050-Partnern. Hinzukommen Statements externer Expert:innen aus branchennahen Verbänden, Institutionen und Hochschulen. Inhaltlich mit eingeflossen in die Veröffentlichung sind zudem die Präsentationen des 3. Fachkongresses, Ergebnisse der Web-Dialoge, regionaler Fachaustausch-Meetings sowie Pioniergruppen der IW.2050.

Im Report richtet sich Axel Gedaschko, Präsident des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen und Vorstand der IW.2050, mit einem dringenden Appell an Politik und Gesellschaft: „Regulatorische Rahmensetzungen für das angebrochene postfossile Zeitalter sind begrüßenswert. Was aber nach wie vor fehlt, ist ein schlüssiges, nachvollziehbares und aufeinander abgestimmtes Gesamtkonzept für eine von allen Seiten gewollte Transformation. Ein Konzept, das endlich auch die wirtschaftlichen Zusammenhänge dieser Branche erfasst, respektiert und mit abbildet. Denn: Die geforderten umfangreichen Investitionen in den Gebäudebestand müssen wohnungswirtschaftlich unter Betrachtung des Gesamtportfolios entschieden werden.“

Von 24 auf 225 Partner

2020 wurde die Initiative Wohnen.2050 als Partnernetzwerk von damals 24 Unternehmen und Institutionen der sozialen Wohnungswirtschaft ins Leben gerufen. Offen für alle Vertreter der Branche, stellt der Zusammenschluss eine Kooperations- und Wissensplattform dar zum kontinuierlichen Austausch über Möglichkeiten und Wege, die Klimaneutralität von Bestandsimmobilien dauerhaft sozialverträglich und gerecht zu gestalten. Mittlerweile verzeichnet die Initiative 213 Unternehmenspartner, die rund 6 Prozent der deutschen Bevölkerung in ihren Wohnungen beherbergen. Hinzu kommen 12 Institutionelle Partner – darunter die Hochschule EBZ Business School, der Spitzenverband GdW und die Regionalverbände der Branche.

Der Know-how-Transfer ist reger denn je: Allein an den Online-Veranstaltungen nahmen 2022 über 2.000 Mitarbeitende der Partner teil – sowohl Unternehmen als auch Verbände und Bildungseinrichtungen. Besonders gefragt waren von Beginn an die eigens entwickelten IT-Instrumente zur Bilanzierung der individuellen CO2-Emissionen wie auch das Technik- und Finanzierungs-Werkzeug. Als Antwort auf Extremwetterlagen ist mittlerweile ein Tool zur Ermittlung von Klimarisiken im jeweiligen Bestand hinzugekommen.

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