Häuser sind Rohstoffe der Zukunft
Im Heidelberger Atlantic Hotel drehte sich beim diesjährigen BundesBauBlatt-Gipfel alles um das Thema „Gebäude als Rohstofflager“. Im Fokus: kreislauffähiges Bauen, Urban Mining und Recycling.
Bereits zum zweiten Mal war die hd…s agentur für presse- und öffentlichkeitsarbeit, Wiesbaden, aktiver Kooperationspartner der Bauverlag BV GmbH. Das vielseitige Programm des etablierten Netzwerktreffens verdeutlichte Aktualität und Dringlichkeit des Themas: Verschiedene Pilotprojekte und Praxisbeispiele machten auf die vielfältigen Pote.ziale aufmerksam. Alle knapp 50 Teilnehmenden erlebten zwei Tage lang einen intensiven Know-how-Transfer. Sie waren sich einig: Der Erfahrungsaustausch bei Veranstaltungen wie dieser hilft enorm, das eigene Wissen zu erweitern, den Blick für zukünftige Aktivitäten zu schärfen und passende Partner aus der Industrie zu finden.
Christian Ippach, Fachredakteur und Project Manager Creative Bauverlag BV GmbH, und Heike D. Schmitt, Inhaberin hd…s agentur für presse- und öffentlichkeitsarbeit, eröffneten das Networking-Event und läuteten den Elevator-Pitch für die Industrie-Partner ein. In jeweils 60 Sekunden hatten diese Gelegenheit, dem Fachpublikum aus der Wohnungswirtschaft ihr Unternehmen, ihre Produkte und Dienstleistungen vorzustellen. Dabei waren: Daikin, Dallmer, Gerflor, Kalo, Kalksandstein KS – das Original, Lechner Group, Lunos Lüftungssysteme, Maico Ventilatoren, Miele, VG MultiGips, Salto Inspired Access, Termios, Unika Kalksandstein und Schüco.
Nach wesentlichen Daten und Fakten zum Veranstaltungsthema, präsentiert von Heike D. Schmitt, stieg Joost Hartwig, Geschäftsführer ina Planungsgesellschaft mbH, Darmstadt, mit seinem Impulsvortrag „Die Rolle der Wohnungsunternehmen in der Kreislaufwirtschaft. Ergebnisse aus der Initiative Wohnen.2050“, direkt ins Thema ein. Er stellte Definitionen, Herangehensweise und Lösungsansätze vor, gab umfassende Informationen über aktuelle und künftige Rahmenbedingungen. Zudem ging er auf die Ergebnisse des Eckpunkte-Papiers „Kreislaufwirtschaft“ der von ihm begleiteten gleichnamigen Pioniergruppe der Initiative Wohnen.2050 (IW.2050) ein.
Ein weiteres Thema: Die Methodik der Deutschen-Energie-Agentur (dena). Die darin enthaltenen R-Strategien (Refuse, Rethink, Reduce, Reuse, Repair, Refurbish, Remanufacture, Repurpose, Recycle, Recover) und deren ansteigende bzw. abfallende Relevanz bezüglich ökologischem Nutzen können als Orientierung beim zirkulären Bauen und Sanieren dienen. In seinem Resümee empfahl Hartwig den Wohnungsunternehmen, „sich auf das Kerngeschäft der Branche, also den bereits bestehenden Wohnraum zu konzentrieren.“ Denn auch das „Produkt Wohnung“ könne zukünftig besser als Ressource genutzt werden. Ein Beispiel sei das Projekt „Freiraum statt Großraum“ der Volkswohnung Karlsruhe, das den Wohnungstausch forciere.
Bedarf und Nachfrage sind vorhanden
Lucile Bitz, Projektleiterin Klimaschutz der Münchner Wohnen GmbH, berichtete in ihrem Vortrag „Urban Mining: Erfahrungen“ aus der aktuellen Praxis ihres Unternehmens. So prüfe man bereits den Urban-Mining-Aspekt bei allen aktuellen Abrissarbeiten. Sofern sich im Ergebnis Potenzial für die Wiederverwendung oder -verwertung von Material ergebe, beginne die Abfrage nach möglichen Abnehmern oder Interessenten.Abnehmer seien die unterschiedlichsten Gruppen: Architekt:innen und Planer:innen, Hersteller, Handwerker:innen, Baugenossenschaften, Mitarbeitende oder andere Privatpersonen, aber auch die TU München und die TH Rosenheim oder das Baureferat München.
Gemäß Bitz` Erfahrung sei die Nachfrage nach Bestandsmaterial durchaus vorhanden. Mittlerweile formulierten die interessierten Abnehmer ihre Bedürfnisse sehr genau. Bedarf gebe es u. a. bei Dachziegeln (Bieberschwanz),Holzdielen, Türen und Zargen, Wandfliesen, Fensterbänken, Tritt- und Setzstufen aus Naturstein, Holzbalken aus Zwischendecken, Holzsparren aus der Dachkonstruktion, Holztreppen, Heizkörpern. Für die nachgefragten Produkte und Materialien sei oftmals allerdings Zwischenlagerung bis zur Abholung nicht unproblematisch, da oft kaum Kapazitäten vorhanden seien.
Auch der zerstörungsfreie Rückbau sei noch nicht auseichend erprobt. Denn: Nur intakte, unbeschädigte Materialien und Produkte könnten dem Kreislauf zugeführt werden. Sich widersprechende Regelwerke und unklare juristische Komponenten seien ebenfalls erschwerende Faktoren.. Entscheidend für den Urban-Mining-Erfolg ist für Bitz ein vorhandenes Netzwerk, über das Material an die richtigen Abnehmer gelangt. Als erfolgversprechende digitale Plattform etabliere sich gerade ein erstes Portal, das im Münchner Raum die Marktlücke schließen könnte. Bisher hat die Münchner Wohnen bereits fünf Projekte realisiert, bei denen Interessierte gebrauchtes Material erworben haben. Nun steht für das Unternehmen das erste Bauvorhaben an, bei dem auch eigenes Material-Recycling eingesetzt wird.
Rückbau vor Abriss spart CO2
Über ein Urban-Mining-Erfolgsprojekt im Hochschulbau berichteten Benno Tillmann vom Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW und Peter Theissing, Geschäftsführer KS-Original GmbH. Beide waren federführend am Rückbau, Recycling und an der Wiederverwendung von Bauteilen der Technischen Universitätsbibliothek Dortmund sowie an der Neubau-Ausführung beteiligt. Die alte Stahlbeton-Konstruktion aus dem Jahr 1974 verfügte über ein Gebäudevolumen von circa 75.000 Kubikmeter und eine Fläche von rund 19.000 Quadratmeter. Der Rückbau erfolgte erst, nachdem die Bestandsaufnahme der Materialien abgeschlossen war. Alle demontierbaren Baustoffe wurden vollständig ausgebaut – darunter rund 1.500 Leuchtstoffröhren, 2.500 Elektrodosen und fast 4.500 Meter Kabelkanäle. Das Gebäude wurde aufwendig entkernt und fachgerecht von Schadstoffen befreit. Die Einsparung an CO2 durch Rückbau und Recycling bezifferte sich auf rund 47 Tonnen.
Ein Teil des alten Kalksandsteins kam als recycelter Baustoff beim Neubau eines studentischen Wohnprojekts wieder zum Einsatz. Die Materialaufbereitung übernahm die KS-Original GmbH. Insgesamt wurden so bis zu zehn Prozent der recycelten Baustoffe in den Bibliotheksneubau zurückgeführt. Tillmann betonte, wie wichtig es sei, „rechtzeitig vor Beginn mit der Industrie zu sprechen, um gemeinsam Lösungen und Möglichkeiten für sinnvolle Maßnahmen zu finden“. Das Interesse auf Industrie-Seite wäre auf jeden Fall vorhanden. Jede Wiederverwertung ermögliche schließlich CO2-Einsparungen. Allerdings räumte er ein, dass Wirtschaftlichkeit noch nicht gegeben sei und Mehrkosten zwischen 50 bis 60 Prozent zu kalkulieren seien.
Speed Meeting und Circular City PHV
Nach dem Lunch mit moderiertem Business Talk hieß es dann: „Die Industrie im Gespräch mit der Wohnungswirtschaft.“ Im Fünf-Minuten-Takt konnten sich die Vertreter:innen aus Industrie und Wohnungswirtschaft im Dialog austauschen.
Am Nachmittag gewährten Carla Jung-König, Planerin der Stadt Heidelberg, und Stephan Gruppe, Geschäftsführer der Konversionsgesellschaft Heidelberg mbH, einen Einblick in die Circular City Patrick-Henry-Village (PHV). Auf dem knapp 100 Hektar großen ehemaligen amerikanischen Militärgelände soll ein neues Quartier für 10.000 Bewohner mit 5.000 Arbeitsplätzen entstehen. Mit Recycling und kreislauffähigem Bauen ist hier der ressourcenschonende Rückbau der Konversionsfläche direkt mitgeplant.
Beide berichteten u. a. den aufwendigen vertiefenden Untersuchungen nebst Dokumentation als Basis für die Entwicklung des Rückbaukonzepts. Diese erfolgten exemplarisch an drei Referenzgebäuden unter den Gesichtspunkten: Feststellung des Schadstoffinventars, verbautes Material (Innenausbau, Technik, Fenster etc.) sowie Beschaffenheit der Wand, Decken- und Bodenaufbauten. Aktuell liegt sich das Projekt, für das eigentlich jetzt der Startschuss fallen sollte, jedoch „auf Eis“. Die Politik beansprucht das Gelände für die Neu- und Wiederausrichtungen der Bundeswehr.
Innovative Grauwasser-Nutzung
Erst Anfang August fertiggestellt und eingeweiht: das Wohnquartier Aubuckel der GBG Wohnen, das die Gipfel-Gäste am späten Nachmittag in Mannheim-Feudenheim besichtigten. Die Exkursion zu diesem bundesweit bislang einzigartigen Pilotprojekt leitete Gregor Kiefer, Bereichsleiter Baumanagement der GBG Wohnen, Simon Gehrmann, TU Darmstadt und Dipl.-Ing. Frederik Hels, Gräf Architekten GmbH, Kaiserslautern. In Aubuckel wurde innovativ Kreislaufwirtschaft in der Praxis umgesetzt. Das Wohnquartier, bestehend aus drei Mehrfamilienhäusern mit fast 120 Wohneinheiten, sammelt benutztes Wasser aus Haushalten – sogenanntes Brauch- oder Grauwasser, das beim Duschen, Hände waschen und beim Wäschewaschen anfällt.
In einer eigens dafür entwickelten Ultrafiltrationsanlage gereinigt, fließt ein Großteil des Wassers zurück in die Haushalte und wird dort erneut genutzt – etwa für die WC-Spülung. Gesammelt wird das anfallende Grauwasser in einem Teichsystem. Zentral gelegen, am Ufer begrünt, mit Springbrunnen in der Mitte, dient es den Anwohnenden zur Erholung, hat aber zugleich noch weitere Funktionen: als Speicherbecken sammelt es überschüssiges Regenwasser, das zur Bewässerung der Grünanlagen und zur Kühlung bei Hitze genutzt wird. Zusätzlich nimmt es bei starkem Regen große Wassermengen auf und hilft, Überschwemmungen zu vermeiden. Bereits nach kürzester Zeit wurde der Bedarf an Frischwasser durch diesen Kreislauf um über 40 Prozent gesenkt. Das Projekts ist wegweisend für die Transformation zur wasserresilienten Stadt und den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen.
Der Tag klang aus mit einer Abendveranstaltung im 11. Stock des Atlantic Hotels – mit atemberaubenden Blick über das abendliche Heidelberg.
Kreative Wohnraum-Lösungen
Tag zwei gehörte voll und ganz den Unternehmen und Verbänden, die ihre bereits realisierten Praxis-Projekte und Untersuchungen vorstellten und Erfahrungen teilten. Stephanie Fiederer, Geschäftsleitung Modularer Holzbau der Lechner Cube Holzmodulbau GmbH, startete in den 2. BBB-Gipfel-Tag mit dem Projekt „Schülerwohnen im Radhaus“. Ein Vorhaben in der Nachverdichtung für eine Berufsschule, bei dem 19 Mikroapartmens für temporäres Wohnen für Auszubildende und im Erdgeschoss ein öffentliches Fahrradparkhaus errichtet wurden.
Der Neubau verfügt über KfW 40 Standard und eine QNG-Zertifizierung in Silber. Von Anfang an wurde das Gebäude als zirkuläres System gedacht: Konstruktion, Verbindungsmittel und Materialien sind so gewählt, dass die Module sortenrein rückgebaut und in neuer Funktion wiederverwendet werden können. Auf-, Ab- und Umbau ist in Herstellungs-, Errichtungs-, Nutzungs- und Entsorgungsphase aufgeteilt. Das nachwachsende Material Holz der Module ermögliche einen langen Lebenszyklus der Gebäude und sei komplett recycelbar. Bereits heute dokumentiert das Unternehmen sämtliche Bestandteile seiner Holzmodule für einen späteren nachhaltigen und problemlosen Rückbau.
Wohnen über der Garage
Katharina Helleckes vom Team Projektvorbereitung / Technische Dienstleistungen der Volkswohnung GmbH, Karlsruhe, präsentierte ein außergewöhnliches Beispiel für „Kreislaufgerechte Nachverdichtung“. Beim diesen vielbeachteten Projekt erfolgte die Nutzung von bebauten innerstädtischen Flächen über eine Garagen-Aufstockung. Dank vorgefertigter Elemente – Holzkonstruktionen und Bad-Fertigteilen – war es möglich, die Bauzeit zu reduzieren. Für einen späteren Rück- oder Umbau wurden Material-Datenblätter angelegt, die Auskunft über das eingesetzte Baumaterial geben. Technisch versorgt werden die neuen Apartments über die bestehenden Gebäude. So entstand ressourcenschonend neuer Wohnraum, gleichzeitig wurde der Bestand aufgewertet. Nicht zuletzt fördert die Maßnahme die soziale Durchmischung in einem „gealterten Quartier“, denn die neuen Wohneinheiten beherbergen vorwiegend Studenten.
Viele Varianten des Re-Use
Julia Kremer, Nachhaltigkeitsbeauftragte im Bereich Klimaschutz und Technik beim VdW südwest, widmete ihren Vortrag einem wichtigen Aspekt: „Alt bewährtes, neu belebt – Wie Kreislaufwirtschaft im Kleinen uns auf dem Klimapfad weiterbringt“. Ihr Augenmerk lag dabei auf Gas-Etagenheizungen, für die es im Falle einer Havarie keine Ersatzteile mehr gibt – und bei denen ein Austausch gegen ein Neugerät nicht wirtschaftlich wäre, da in absehbarer Zeit das Quartier via Fernwärme oder Wärmepumpen/PV versorgt wird.
Als Vorreiter gilt die GWW Wiesbadener Wohnbaugesellschaft, denn diese verfügt bereits über ein Gasthermen-Lager, um Bestände bei Bedarf zu versorgen. Gerade für Unternehmen des sozialen Wohnungsbaus sei die Ersatzteillagerung bzw. -beschaffung finanziell eine große Entlastung, da schon bei der Umstellung auf klimaneutralen Wohnraum gewaltige Kosten entstehen. Eine Recherche im Verbandsgebiet führte zum Ergebnis, dass es durchaus Dienstleister gibt, die alte Geräte ankaufen und nach entsprechender Aufarbeitung dem Markt mit Garantie zum Kauf zur Verfügung stellen. Mit einem dieser Anbieter wurde für die Verbandsmitglieder eine Vereinbarung getroffen.
Das Thema „Re-Use von Bauprodukten“ griff Robert Lotz auf, Leiter Fachbereich Projektabwicklung 1, Bereich Modernisierung und Großinstandsetzung der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstadt I Wohnstadt (NHW). Lotz blickt auf praktische Erfahrung zurück: Die NHW hat bereits zwei Recycling-Aufstockungen in Kelsterbach und Mörfelden-Walldorf realisiert. Hier kamen gebrauchte Dachfolien, Holzbalken, Polystyrol, Fassaden- und Elektro-Teile sowie Fenster zum erneuten Einsatz. Der Recyclinganteil bei der Aufstockung in Kelsterbach betrug 50 Prozent, in Mörfelden-Walldorf 30 Prozent.
Über den Einsatz der wieder- bzw. neuverwendeten Bauteile hat das Unternehmen eine Dokumentation erstellt. Im Ergebnis zeigte sich: Der Großteil der durchgeführten Maßnahmen erwies sich als ökologisch und sozial gut, wirtschaftlich sowie rechtlich mach- und auch vertretbar. Besonders das Recycling alter Fenster und deren Wiedereinsatz, die Wiederverwendung von Trespa-Platten und gebrauchten Elektroschaltern seien sehr gut zu handhaben.
Die aktuelle Entwicklung zum Thema Recycling sieht Lotz noch in der Anfangsphase: Es gäbe zu wenig Produkte, zu viele Vorschriften und eine zu langsame Entwicklung. Recycling-Produkte würden aktuell nur in begrenztem Rahmen hergestellt, eine Weiternutzung rückgebauter Produkte sei nur eingeschränkt möglich. Er bemängele zudem, dass es an professionellen und qualifizierten „Recyclern“ fehle. Insgesamt bestünde beim Thema immer noch ein Imageproblem und es fehle an einer Lobby. Auch sei die aktuelle rechtliche Situation an vielen Stellen hinderlich bzw. nicht ausreichend transparent. Lotz plädierte daher für die Einführung eines deutschlandweit, einheitlichen Erfassungsbogens – als einen ersten Schritt zur Material- und Produkt-Dokumentation.
Zum Ende des BBB-Gipfels herrschte Einigkeit: Die Tage in Heidelberg waren ein großartiger Austausch. Allen Beteiligten sei deutlich geworden, wie wichtig es ist, bereits vor Baubeginn mit Planungen zur Kreislaufwirtschaft zu beginnen, sich parallel mit Industriepartnern auszutauschen, um gemeinsam Lösungen zu finden. Der Gipfel 2025 war mehr denn je Inspiration für anstehende Aufgaben in den eigenen Unternehmen.
