Der Wohnungsnot entgegenwirken
Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum ist ungebrochen hoch. Gleichzeitig belasten gestiegene Zinsen, gestiegene Baustoffpreise und gestiegene Energiepreise die Rahmenbedingungen für die gesamte Branche. Die Folge: Die Versorgungslücke wächst – und trifft vor allem Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen.
Für kommunale Wohnungsunternehmen verschärft sich dadurch das Spannungsfeld zwischen sozialem Auftrag und ökonomischer Tragfähigkeit zunehmend: Sie sollen bezahlbaren Wohnraum schaffen, die Klimaziele erfüllen und gleichzeitig wirtschaftlich arbeiten.
Bauen im Krisenmodus
Die Branche hat gelernt, mit Unsicherheiten umzugehen, etwa mit wechselnden Förderkulissen und sogar mit sich schleppenden Genehmigungsverfahren. So entstehen vielerorts sogar neue Konzepte, die beweisen, dass kommunale Wohnungsunternehmen auch unter widrigen Bedingungen handlungsfähig bleiben, wenn sie bereit sind, ihre Planungs- und Bauprozesse grundlegend zu verändern.
Ein Ansatz dabei lautet: Serielles Bauen. Wiederholbare Strukturen, modulare Planung und standardisierte Gebäudekonzepte sollen Baukosten senken, Bauzeiten verkürzen und Genehmigungsverfahren vereinfachen. Die Grundidee: Ein Raster, das unterschiedliche Gebäudehöhen, Materialien und Grundrisse ermöglicht, ohne jedes Mal neu planen zu müssen. Dies beschleunigt Verfahren, senkt Planungskosten und ermöglicht den Einsatz industrieller Vorfertigung – ein entscheidender Vorteil angesichts knapper Ressourcen.
Ein Praxisbeispiel aus Tübingen
Rund 2.400 Wohnungen bewirtschaftet die Kreisbaugesellschaft Tübingen in der Universitätsstadt und den benachbarten Kommunen – ein Großteil stammt aus den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Modernisierungsbedarf ist hoch, während der Wohnraummangel in der Region weiter zunimmt. Nach aktuellen Berechnungen fehlen im Landkreis Tübingen rund 2.000 Wohnungen.
Die Kreisbaugesellschaft ist hier einer der zentralen Akteure für die Versorgung breiter Bevölkerungsschichten. Trotz Baukosten, die bei den Kostengruppen 300 und 400 mittlerweile zwischen 3.500 und 4.500 Euro pro Quadratmeter liegen, verfolgt das Unternehmen konsequent seinen Auftrag, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zugleich die Bestandsgebäude energetisch zu sanieren.
Die Kreisbau hat einen eigenen seriellen Bautypus entwickelt, der in Zukunft an mehreren Standorten im Landkreis eingesetzt werden soll – vom Stadtrand Tübingens bis in kleinere Gemeinden am Rande der Schwäbischen Alb. Das Konzept basiert auf einem 17 x 17 Meter großen Grundmodul, das flexibel skaliert werden kann. Tragwerk, Fassade und technische Ausstattung sind standardisiert, die äußere Gestaltung lässt sich an örtliche Gegebenheiten anpassen. Der Haustyp kann sowohl in Holz- als auch in Hybridbauweise errichtet werden. Durch den hohen Vorfertigungsgrad und den Verzicht auf Tiefgaragen sinken die Baukosten auf rund 3.000 Euro pro Quadratmeter – bei öffentlicher Förderung werden damit Mieten von rund zehn Euro pro Quadratmeter angestrebt.
Pilotprojekt soll in Serie gehen
In einer Liegenschaft der Kreisbaugesellschaft in der Gemeinde Dußlingen soll der neue Bautyp erstmals umgesetzt werden. Geplant sind 36 Wohnungen auf 2.400 Quadratmetern Wohnfläche, vom Ein-Zimmer-Apartment bis zur Fünf-Zimmer-Wohnung. Ziel ist es, bezahlbaren Wohnraum für unterschiedliche Haushaltsgrößen und Menschen in verschiedenen Lebensphasen zu bauen.
Leitungsführungen, Installationsschächte und Bauteilmodule werden standardisiert vorgeplant. Stellplätze und Fahrradabstellflächen werden konsequent in die Außenanlagen integriert. Diese Wiederholbarkeit erhöht die Kalkulationssicherheit, beschleunigt die Prozesse und ermöglicht eine exakte Zeitplanung über mehrere Projekte hinweg. Aufgrund der Hanglage erhält das Gebäude ein Untergeschoss; bei ebenen Grundstücken soll jedoch darauf verzichtet werden, um Kosten zu reduzieren.
Die Energieversorgung wird zunehmend dezentralisiert: Dächer und Fassaden bieten großflächige Photovoltaikflächen, deren Strom direkt an die Mieter zu günstigen Konditionen abgegeben werden kann. So entsteht ein Beitrag zur Energieautonomie und ein Anreiz für klimabewusstes Wohnen.
Energetische Sanierung als zweite Säule
Parallel zum Neubau modernisieren kommunale Wohnungsunternehmen ihre Bestände. Die Kreisbau folgt dabei dem Prinzip „worst first“: Zuerst werden Gebäude mit dem höchsten Energieverbrauch saniert. Anstelle umfassender Generalsanierungen erprobt die Kreisbau auch minimalinvasive Eingriffe im bewohnten Zustand. So lassen sich die gesetzlichen Anforderungen erfüllen, ohne die Mieterinnen und Mieter umzusiedeln.
Ein erstes Pilotprojekt läuft bereits: In einem Wohnensemble aus den frühen 1970er-Jahren in Bodelshausen werden die Gebäude blockweise modernisiert. Neue Fenster, Fassadendämmung, Luft-Wärmepumpen und eine Gas-Brennwerttechnologie als Übergangslösung verbessern die Energieeffizienz deutlich. Ergänzend werden die Strangsanierungen vorgenommen und Türen gedämmt – alles mit besonderem Augenmerk auf soziale Verträglichkeit.
Das Ergebnis ist messbar: Heute befinden sich nur noch rund 18 Prozent des Bestands in den Effizienzklassen F bis H. Seit 1990 konnte der CO₂-Ausstoß um etwa 70 Prozent und der Wärmeverbrauch um über 40 Prozent gesenkt werden. Der verbleibende Energieverbrauch liegt 35 Prozent unter der damaligen Benchmark. Dieses Vorgehen schafft die Grundlage, das Ziel der Klimaneutralität in Baden-Württemberg bis 2040 zu erreichen – ohne den sozialen Auftrag aus den Augen zu verlieren.
Kommunale Wohnungswirtschaft als Stabilitätsanker
Der von der Bundesregierung initiierte „Bau-Turbo“ kann dabei helfen, Verfahren zu beschleunigen – doch gebaut wird nur, wenn Kommunen und ihre Wohnungsunternehmen handlungsfähig bleiben. Sie sind es, die Wohnraum sichern, Planungen vorantreiben und trotz schwieriger Märkte investieren. Kommunale Wohnungsunternehmen wie die Kreisbau Tübingen übernehmen so eine tragende Rolle in der sozialen Infrastruktur. In einer Zeit des allgemeinen Krisenmodus müssen sie zeigen, dass sie ihren Auftrag, bezahlbaren Wohnraum für alle Bevölkerungsgruppen dennoch erfüllen können.
Standardisierte Planung und modulare Bauweise machen Projekte deutlich kalkulierbarer, auch wenn die Märkte schwanken. Sie ermöglichen Kommunen, auf bestehenden Grundstücken zügig Ersatzneubauten zu realisieren und gleichzeitig die Betriebskosten niedrig zu halten. Durch technische Vereinfachung, klare Typisierung und die Verbindung von Klimaschutz und Kostenbewusstsein kann die kommunale Wohnungswirtschaft auch künftig leisten, was der Markt allein nicht schafft – Wohnraum als Daseinsvorsorge. Serielles Bauen, energetische Sanierung und dezentrale Energieversorgung bilden dabei den Weg zu einer zukunftsfähigen, nachhaltigen und sozial gerechten Wohnraumentwicklung.
