Quartierszertifikate

Nachhaltige Entwicklung: Heilbronn macht es vor

Für 60 % des weltweiten CO2-Ausstoßes sind Städte verantwortlich. Das macht eine nachhaltige Stadtentwicklung mit konkreter Planung, Finanzierung und einem funktionierenden Management unabdingbar. Nachhaltigkeitszertifikate für Stadtquartiere bieten dabei einerseits Orientierungshilfe und dienen andererseits als ein Instrument der ganzheitlichen Qualitätssicherung. Zu den aktuellen Vorzeigebeispielen für die Zertifizierung von Stadtquartieren zählt in Deutschland das Quartier Neckarbogen Heilbronn.

Die voranschreitende Digitalisierung, die stärkere Vermischung der Lebensbereiche Wohnen, Arbeiten und Freizeit und das steigende Nachhaltigkeitsdenken der Gesellschaft, wirken sich unterschiedlich auf die Vorstellungen der Menschen über nachhaltige Quartiere und Städte aus. Während manche darunter lebenswerte Orte mit guter sozialer Durchmischung, generationenübergreifenden Einrichtungen und familienfreundlichem Umfeld verstehen, sehen andere darin Hightech-Siedlungen im Passivhausstandard mit dem Elektroauto in der Garage, das über die eigene Photovoltaikanlage am Dach des voll automatisierten und per Smartphone steuerbaren Eigenheimes gespeist wird. Dabei betrachtet jeder eben nur den für ihn relevanten Teil der Nachhaltigkeit. Echte Nachhaltigkeit erfordert aber den Blick auf das Ganze.

Kriterien für nachhaltige Stadtquartiere

Was für Einzelpersonen gilt, gilt auch für Kommunen, Städte, Projektentwickler und private Investoren. Wollen sie ein nachhaltiges Quartiers- oder Stadtentwicklungsprojekt realisieren, sollten sie in ihrer Planung nicht nur ökologische Kriterien wie den Energiebedarf oder die CO2-Bilanz, sondern auch ökonomische und soziokulturelle Faktoren wie die Flächeneffizienz, Lebenszykluskosten oder die Behaglichkeit der Nutzer einbeziehen.

All diese Aspekte sowie ihre Wechselwirkungen berücksichtigen Quartierszertifikate. Sie basieren auf Nachhaltigkeitsbewertungen für Gebäude, gehen jedoch weiter, indem sie die Gebäudekriterien auf zusätzliche Themenfelder erweitern. Von Ökobilanz, Lebenszykluskosten, Stadtklima und Artenvielfalt über Verkehrssysteme und städtebauliche Einbindung bis hin zum Umgang mit Energie, Wasser und stofflichen Ressourcen – decken sie eine große Bandbreite an interdisziplinären Themen ab. Inzwischen bieten viele unabhängige Zertifizierungsstellen wie LEED, BREEAM oder auch die DGNB (Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen) eigene Zertifikate für Stadtquartiere an.

Damit das volle Potenzial der Quartierszertifikate ausgeschöpft wird, sollten diese jedoch nicht als Labeling verstanden werden, sondern als Chance, Mehrwerte für Städte zu generieren. Denn von nachhaltigen Quartieren profitieren alle – Mieter, Vermieter sowie Investoren, Kommunen, Bürger und Bewohner. Den hohen Stellenwert nachhaltiger Stadtquartiere zeigte bereits 2014 eine repräsentative Umfrage des Forschungsunternehmens One Poll bei über 2000 Personen: Rund 20 % der Mieter sind bereit, bis zu zehn Prozent mehr Miete für ein nachhaltiges Quartier zu bezahlen.

Vorzeigeprojekt und DGNB zertifiziert: Quartier Neckarbogen Heilbronn

Wie viele Städte in Deutschland stand auch die baden-württembergische Stadt Heilbronn vor einigen Jahren vor der Aufgabe, eine innenstadtnahe Fläche zu entwickeln. Um die 81.800 m² Nettobauland am Altneckar neu zu gestalten, erarbeitete die Stadt einen Rahmenplan. Das Ziel: Quartier Neckarbogen – ein nachhaltiger Stadtteil, der Themen der Zukunft modellhaft aufzeigt. Dieser wurde zunächst als Stadtausstellung im Rahmen der Bundesgartenschau Heilbronn 2019 (BUGA) realisiert und wird nach der BUGA Zug um Zug zum modernen Stadtquartier entwickelt. Um diese Aufgabe zu bewältigen, wählte die Stadt eine besondere Herangehensweise und ließ als eine der ersten in Deutschland den Rahmenplan von der DGNB zertifizieren. Mit der Unterstützung der Drees & Sommer-Experten, die den Rahmenplan geprüft, eine ausführliche Maßnahmenliste erstellt und die Vorzertifizierung begleitet haben, schaffte die Bauherrin Transparenz für alle Beteiligten und erhielt das DGNB-Platin-Zertifikat für die vorbildhafte Umsetzung.

So wurde das Projekt bereits in einer frühen Phase auf konkrete Nachhaltigkeitskriterien hin analysiert und mit fundierten Benchmarks und Best Practice verglichen. Beispielsweise spielt beim Neckarbogen das Element Wasser eine wichtige konzeptionelle Rolle. Einerseits profitiert das neue Quartier gestalterisch, durch zwei neue Seen sowie die unmittelbare Nachbarschaft zu Altneckar und Neckarkanal. Andererseits soll ein nachhaltiges Wassermanagement dazu beitragen, den sparsamen Umgang mit der Ressource Wasser zu fördern. Auch Energieaspekte finden Berücksichtigung: Hier werden beispielsweise drei Innovationsstandards für die Bilanzierung von Energiebedarfen entwickelt. Eine zentrale Rolle spielt auch das Thema Mobilität. Damit Bewohner und Besucher möglichst klimafreundlich unterwegs sein können, soll das Quartier Neckarbogen als Stadt der kurzen Wege realisiert werden und verschiedene nachhaltige Mobilitätsangebote umfassen.

Mit der Stadtausstellung Neckarbogen präsentiert die BUGA Heilbronn als Erste in Deutschland eine Bundesgartenschau mit integrierten hochbaulichen Komponenten. Insgesamt waren bis zur Eröffnung 22 Gebäude mit begrünten sowie Holz- oder Glasfassaden bezogen. Die geplante Stadtausstellung umfasst Eigentums- und Mietwohnungen unterschiedlicher Größe, Wohnkonzepte für Studenten sowie junge und ältere Menschen. Künftig soll der Stadtteil Neckarbogen Lebensraum für insgesamt rund 3.500 Einwohner bieten und neben 1500 Wohneinheiten auch Büros, Geschäfte, Einkaufs- und Gastronomieflächen sowie Freizeiteinrichtungen beherbergen.

Rund 20 Prozent der Mieter sind bereit, bis zu zehn Prozent mehr Miete für ein nachhaltiges Quartier zu bezahlen.

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