Gütesiegel mindern Risiken und geben Sicherheit

Zukunftsfähige Häuser soll man in Zukunft auf einen Blick erkennen können

Mit der Einführung des Energieausweises im Jahr 2008 ist deutlich geworden, dass sich die Anforderungen an Wohngebäude qualitativ verändern und diese Qualitäten zukünftig transparent darzulegen sind. Kam es durch zwei unterschiedliche Ausweistypen (Verbrauchs- und Bedarfsausweis) anfangs zu Verwirrungen hinsichtlich der Aussagekraft, ist ein per Energieausweis nachgewiesener niedriger Energieverbrauch mittlerweile mit entscheidend für den Verkauf oder die Vermietung einer Immobilie.

Die neue EnEV 2014 will diesen Transparenzgedanken  forcieren, indem sie Energiedaten in Immobilienanzeigen verpflichtend vorsieht. Weitere Qualitätskriterien wie „barrierefreies“ oder „altersgerechtes Wohnen“ und ökologische Bauweisen beginnen, Differenzierungsmerkmale in den Wohnimmobilienmarkt zu tragen. Um Orientierung bei den bislang wenig definierten „neuen Wohnstandards“ zu geben, sind Zertifikate und Gütesiegel ein wertvolles Hilfsmittel. Sie können einerseits als Maßstab für zukunftsfähige Bau- und Wohnqualitäten dienen und andererseits als Vermarktungstool eingesetzt werden. 

Die Crux mit den „neuen Wohnstandards“

Angesichts der wachsenden Zahl älterer Menschen und einem sensibilisierten Bewusstsein für Energiekosten, Klima- und Umweltschutz steigt die Nachfrage nach zukunftsweisenden Wohn- und Bautypen. Ein bundesweit tätiger Fertighaus-Hersteller beziffert den Anstieg verkaufter Energiesparhäuser in 2012 etwa mit 50 %. Von welchem Bedarf an altersgerechten Wohnungen in Zukunft auszugehen ist, zeigt die Studie „Altengerechter Umbau der Infrastruktur: Investitionsbedarf der Städte und Gemeinden“ des Deutschen Instituts für Urbanistik, die im Auftrag der KfW 2013 durchgeführt wurde. Sie errechnet 21,1 Mrd. €.

Auch der BFW rechnet in einer jüngst veröffentlichten Studie mit einem erheblichen Bedarf an altersgerechten Wohnungen: Mindestens 800.000 Wohnungen müssten bis 2020 für die ambulante Pflege altersgerecht angepasst oder neu errichtet werden. Hinzu käme ein Angebot an intelligenten Nutzungs- und Betreuungskonzepten. Die Zahlen verdeutlichen, dass bisherige Wohngebäude sowohl baulich als auch von der technischen Infrastruktur nicht mehr zeitgemäß sind; zudem muß Wohnen in gesellschaftliche Kontexte gesetzt werden.

Bereits heute beurteilen Nutzer Wohnraum nach qualitativen und praktisch-funktionalen Eigenschaften wie Energieeffizienz, Wohnkomfort durch Barrierefreiheit oder nach dem Vorhandensein einer vernetzten Haustechnik. Dieser Trend, die Wohnung als „Komfort bietenden Helfer“ zu sehen, wird zunehmen. Allerdings gibt es bislang kaum oder nur wenig bekannte bzw. eingesetzte Gütesiegel, die über derartige Eigenschaften nachvollziehbar informieren.

Was ist „barrierefrei“,
„intelligent“ oder „umweltschonend“?

Diese veränderten Qualitätsmaßstäbe stellen die Bau- und Immobilienbranche vor neue Herausforderungen. Denn die Definition von verbindlichen Kriterien insbesondere für altersgerechte Wohnungen stecken baurechtlich in den Kinderschuhen. Erst vor wenigen Wochen forderte die Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention die Bauministerkonferenz auf, Standards für Barrierefreiheit künftig in baurechtliche Genehmigungsverfahren sowohl für öffentliche als auch für private Bauvorhaben zu verankern. „Die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Handicap beim Zugang und bei der Nutzung von Gebäuden werden in den Bauordnungen zu wenig systematisch berücksichtigt“, kritisiert Valentin Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle. Die DIN-Normen 18024-1 (Bewegungsflächen), 18025-1 (Wohnungen für Rollstuhlbenutzer) und 18025-2 (Barrierefreie Wohnungen) geben zwar exakte Angaben vor, werden jedoch in der Planung selten angewendet.

Gleiches gilt für eine zeitgemäße elektrotechnische Ausstattung. Auch hier gibt es von der HEA, Fachgemeinschaft für effiziente Energieanwendung, erarbeitete Grundlagen für eine zukunftssichere Elektroplanung nach den Richtlinien RAL-RG 678, die die heutigen Anforderungen an eine moderne, auch vernetzte Elektroinfrastruktur berücksichtigt.

Doch in der Praxis werden häufig lediglich Mindest- und Standardvarianten geplant und ausgeführt. Eine zentral steuer- und regulierbare Gebäudetechnik, die die Haustechnik zu einem System zusammenführt, das den Einsatz regenerativer Energien für Heizen, Lüften, Beleuchtung, Mobilität, Kommunikation vorsieht oder die spätere Einbindung altersgerechter Assistenzsysteme (AAL) ermöglicht, ist mit einer konventionellen Elektroinstallation jedoch nicht möglich. Häufig mangelt es am Wissen um die Wichtigkeit einer gewerkeübergreifenden Elektroplanung. Weshalb sich die Smart Home Initiative Deutschland zum Ziel gesetzt hat, wenn auch kein Zertifikat für vernetzte Wohngebäude auszugeben, so doch dazu beizutragen, die planenden und an der Ausführung Beteiligten kontinuierlich zu qualifizieren. Dadurch erhält der Bauherr die Sicherheit, versierte Fachbetriebe an seiner Seite zu wissen.

Nicht minder Recherche intensiv ist die Absicht, mit ressourcenschonenden und umweltverträglichen Bauprodukten ökologisch zu bauen. Denn auch wenn es Definitionen in Form von Gütesiegeln wie den „Blauen Engel“, der von der EU eingeführten „Euroblume“ und dem europaweit angewandten „natureplus“ gibt, so ist es dennoch aufwendig, entsprechend geschulte Bauschaffende zu finden. Wer sich angesichts der steigenden Nachfrage nach (zertifizierten) Öko-Häusern mit einem entsprechenden Netzwerk aus qualifizierten Unternehmen als weitblickender Wohnbauprojektentwickler positionieren möchte, hat beste Chancen, eine bislang wenig besetzte Marktlücke zu belegen.

Transparente Informationen
schaffen Vertrauen

In Sachen „Produkttransparenz“ hat die Bau- und Immobilienwirtschaft demnach erheblichen Nachholbedarf. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die Vermarktung von Wohngebäuden, sondern auch unter dem Aspekt der Verantwortung gegenüber der gebauten Umwelt. Denn Wohngebäude sind der Lebensmittelpunkt von Menschen. Dass mit ihnen der Wunsch nach Unversehrtheit und ein Gefühl der Geborgenheit verbunden ist, muss nicht erklärt werden. Was passiert, wenn nur unzureichende Informationen über die Güte von Produkten verfügbar sind, lässt sich an der Lebensmittelindustrie ablesen. Im Zuge des Pferdefleisch-Skandals titelte die Bild-Zeitung am 20. Februar 2013: „Der Irrsinn mit den Güte-Siegeln!“ und zeigt auf, dass trotz einer Vielzahl von Zertifikaten, den Kunden nicht ersichtlich wird, ob biologisch gleichbedeutend ist mit fair oder, ob die Einhaltung von Sozialstandards auch Umweltfreundlichkeit mit einschließt.

So ist aufgrund der Intransparenz ein für Konsumenten kaum zu durchschauendes Durcheinander von Kennzeichen, Siegeln und Zertifikaten entstanden, ohne inhaltlich verbindliche Spezifikation. Mit dem Ergebnis, dass bis auf einige renommierte und als vertrauenswürdig erachtete Label grundsätzlich allen Siegen misstraut wird. Ein für langfristige Immobilieninvestments nicht wünschenswerter Zustand. Vielmehr gewinnt der ganzheitliche Blick auf Gebäude an Bedeutung, der ökologische, sozio-kulturelle und ökonomische Kriterien gleichermaßen berücksichtigt, wie es die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) mit ihrem Zertifizierungssystem vorsieht und entsprechende Kriterien und Prüfvorgaben erarbeitet hat.

Sicherheit geht vor Schnelligkeit

Dass zuvor definierte Kriterien eine Immobilienentwicklung positiv beeinflussen, hat Reinhard Heymann, Geschäftsführer von Q-Data Service, mehrfach festgestellt. Aus der IT kommend, beschäftigt er sich seit über 12 Jahren mit der Haus- und Gebäudeautomation für Wohngebäude. Liefen die einzelnen Arbeitsabschnitte von der Planung bis zur Ausführung bis vor kurzem getrennt voneinander ab, führe der Wunsch von Bauherren nach „intelligenten Gebäudeeigenschaften“ jüngst zu anderen Herangehensweisen, berichtet er: „Aus dem früher nicht erklärbaren Smart Home wird zunehmend eine konkrete Vorstellung darüber, welche Funktionen ein zukunftsfähiges Gebäude haben muß, unabhängig, ob ein Zertifikat oder Gütesiegel angestrebt wird. Wir merken, dass die Bereitschaft, sich detailliert mit dem späteren Gebäude- und Nutzungskonzept auseinander zu setzen, gestiegen ist“. Auch sei die Dokumentation ausführlicher und umfangreicher geworden. „Das kostet Zeit, sicherlich. Aufgeklärte Bauherren hingegen investieren lieber im Vorfeld mehr, als dass sie später im Betrieb feststellen, sie haben fehlgeplant“, erläutert Heymann. Sicherheit gehe vor Schnelligkeit.

Dieses Umdenken unterstützt die Hansestadt Hamburg, in dem die Wohnungsbaukreditanstalt seit 2013 in ihrem Neubauprogramm die Zertifikate einiger Nachhaltigkeitsstandards mit einem besonderen Zuschuss fördert. Für die Zertifizierung im Rahmen der Gebäudezertifizierungssysteme - in der höchsten Stufe – nach DGNB, nach dem Umweltzeichen der HafenCity Hamburg und dem Bewertungssystem „Nachhaltiger Wohnungsbau“ (NaWoh) wird ein einmaliger Zuschuss von 20 €/m2 Wohnfläche gezahlt.

Noch sind Gütesiegel bei Wohnimmobilien die Ausnahme. Doch in Anbetracht der stetig steigenden Nutzeransprüche und in Erwartung von transparenten Produktdaten als Grundlage für eine Kaufentscheidung oder Anmietung, wird die verlässliche Dokumentation von Gebäudequalitäten neue Maßstäbe setzen. Wer diese qualitativen Vorzüge zeitgemäß zu kommunizieren versteht, sichert sich langfristig einen Marktvorteil.

Die Definition von verbindlichen Kriterien ­insbesondere für altersgerechte Wohnungen stecken ­baurechtlich in den Kinderschuhen.

Was passiert, wenn nur unzureichende Informationen über
die Güte von Produkten verfügbar sind, lässt sich an der
Lebensmittelindustrie ablesen.

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