Bauen im Bestand

Flockig zum Passivhaus

Wie groß die Einsparpotenziale bei der Bestandsmodernisierung sind, zeigt die energetische Ertüchtigung von sieben Mehrfamilienhäusern in Frankfurt auf Passivhaus-Standard. Ein umfassendes Effizienzkonzept und die Nutzung von Zelluloseflocken als Dämmstoff demonstrieren die Möglichkeiten auf dem Weg zu klimaneutralen Gebäuden. Für das Vorhaben liegen nun auch umfangreiche Ergebnisse im Betrieb vor.

Die neue Straßenbahn aus der Innenstadt hält nur 200 m von der Haustür entfernt, zwei Grünanlagen in direkter Nähe und in einer nachgefragten Wohngegend gelegen. Dies sind die Randbedingungen für die sieben Mehrfamilienhäuser im Frankfurter Nordend, für die eine grundlegende Sanierung anstand. Die Gebäude passten nach 50 Jahren kontinuierlicher Nutzung mit ihrem grauen Erscheinungsbild, den kleinen Zimmern und einem Energieverbrauch von 190 kWh/(m²a) nicht mehr in die heutige Zeit. Aus diesem Grund entschloss sich die ABG Frankfurt Holding, die Gebäude einer umfassenden Modernisierung zu unterziehen, die sowohl den Wohnwert verbessern, als auch energetisch neue Wege beschreiben sollte.

Die Gebäude wurden 1956 mit drei bis fünf Vollgeschossen errichtet und im Zuge der Modernisierung um je ein Staffelgeschoss aufgestockt. Die 54 Zwei- und Drei-Zimmer-Wohnungen in den Bestandsgeschossen verfügen im Durchschnitt über ca. 62 m² Wohnfläche, die sieben Dachgeschosswohnungen über ca. 108 m² Wohnfläche. Die gesamte Anlage mit fast 4100 m² Wohnfläche wurde in den Jahren 2008 bis 2011 modernisiert. Dabei wurden Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen sinnvoll kombiniert.

Im Bereich der Wohnwertverbesserung wurden die Wohnungsgrundrisse teilweise angepasst, alte Kamine abgetragen und alle Ver- und Entsorgungsleitungen erneuert. Besonders die schmalen Badezimmer wurden deutlich aufgewertet, ein freundliches Bu­­chenparkett als Bodenbelag verlegt und bei einem Teil der Gebäude an Stelle des alten Lastenaufzugs ein neuer Personenaufzug installiert. Die alten Balkone wurden durch größere ersetzt. Alle Erdgeschosswohnungen verfügen nun über kleine Mietergärten und die Dachgeschosswohnungen haben großzügige Dachterrassen erhalten.

Das energetische Modernisierungskonzept, das unter Federführung des Darmstädter Architekturbüros faktor10 und mit wissenschaftlicher Begleitung durch das Institut Wohnen und Umwelt erstellt wurde, sah den Passivhausstandard im Mittel über die ge­­­samte Wohnfläche vor, außerdem nennenswerte Effizienzverbesserungen bei der Wärmeverteilung und -speicherung, der Warmwasserbereitung sowie beim Stromeinsatz. Kombiniert wurde die Effizienztechnik mit thermischen Solaranlagen und einem Rapsöl-Blockheizkraftwerk, das zusammen mit einem Erdgas-Spitzenlastkessel Wärme und Strom erzeugt.

Neue Wege bei der Fassadendämmung

Bei der Isolierung der Gebäudehülle wurde auf den Einsatz von nachwachsenden Materialien geachtet. Es kamen überwiegend Zelluloseflocken als Dämmstoff zum Einsatz, die als Recyclingprodukt einen sehr niedrigen Herstellungsenergieaufwand besitzen. So wurde das neu aufgesetzte Staffelgeschoss aus Holzleichtbaukonstruktionen mit Zellulose gedämmt, ebenso die Kellerdecke. Eine Besonderheit stellt die Fassadendämmung mit Zellulose dar, da die Gebäude mit bis zu sechs Geschossen erhöhten Brandschutzanforderungen gerecht werden mussten. Hier entwickelten die Architekten zusammen mit dem Ingenieurbüro bauart Konstruktions GmbH aus Lauterbach eine passivhausgeeignete Konstruktion auf Basis einer Unterkonstruktion mit dem System lambdaPlus, die die zusätzlichen Anforderungen im Mehrfamilienhaus an Bauphysik, Brandschutz und einfache Montage an Bestandsgebäuden erfüllt. Die Unterkonstruktion wurde in einem ersten Arbeitsgang auf der Bestandswand befestigt, dann folgen eine Sparschalung und schließlich eine magnesitgebundene Holzwolleplatte als äußerer Abschluss und Putzträger. Der 29 cm breite Hohlraum wurde anschließend mit Zelluloseflocken ausgeblasen. Auf Teilflächen, bei denen Zellulosedämmung einen erheblichen Mehraufwand bedeutet hätte oder nicht ausreichend Raum für die notwendige Dämmdicke vorhanden war (z. B. am Kellerabgang), wurden aber auch ganz pragmatisch konventionelle Dämmstoffe eingesetzt.

Jede Wohnung erhielt eine Lüftungsanlage mit Zu-/Abluft und Wärmerückgewinnung, die in einer Nische im Badezimmer montiert wurde. Die Verteilung der Zu- und Abluft erfolgt ausschließlich in abgehängten Bereichen der Decke im Flur und im Badezimmer, so dass zu den übrigen Zimmern lediglich Kernbohrungen für die Durchführung des Luftaus- bzw. -einlasses erforderlich waren. Die Beheizung erfolgt über die Zuluft, in den Badezimmern sind zusätzliche Heizkörper vorhanden.

Neben dem Einsatz von Passivhaus-Komponenten bei der Gebäudehülle wurde auf ein kompaktes Rohrleitungsnetz geachtet. Außerdem erhielten alle Verteilleitungen mindestens 50 mm Dämmung zur Minimierung der Verluste. Hier führte die Verlegung der horizontalen Wärmeverteilung innerhalb der Kellerdeckendämmung zu Zeit- und Kostenersparnissen. Bei der Warmwasserzirkulation wurde ein Rohr-in-Rohr-System eingesetzt, das gleichzeitig die Wärmeverluste und den Platzbedarf für die Leitungsverlegung und -dämmung minimiert.

Damit die Mieter nicht nur durch niedrige Kosten bei der Wärme, sondern auch durch niedrige Stromkosten profitieren, wurde in den Wohnungen in Bad und Flur energiesparende Beleuchtung vorinstalliert. Es gibt einen zentralen Stand-By-Abschalter für die TV-Audio-Video-Geräte im Wohnzimmer und einen Trockenschrank im Bad, der die Wäsche mit Hilfe der Abluft ohne zusätzliche elektrische Hilfsenergie trocknet.

Kosten

Die Kosten der Maßnahme (Kostengruppen 300 und 400) beliefen sich auf 1278 €/m² (ohne Dachaufstockung), wobei mit 461 €/m² ca. ein Drittel auf die energetische Modernisierung entfiel, 2/3 auf die sonstigen, nicht energiebedingten Instandsetzungen und Wohnwert verbessernde Maßnahmen. Die Fassadendämmung mit Zelluloseflocken kostete 141 €/m². Die Kosten lagen somit zwar über denen eines vergleichbaren Wärmedämmverbundsystems, aber unter den Kosten einer aufwändigeren Ausführung mit hinterlüfteten Fassaden oder besonderen Fassadenbekleidungen. Die Gesamtmaßnahme war sowohl für das Wohnungsunternehmen wirtschaftlich attraktiv wie auch für die Mieter, die nun eine Warmmiete etwa in Höhe der ortsüblichen Vergleichskaltmiete bezahlen.

Ergebnisse

Die gemessenen Energieverbräuche liegen auch nach bis zu vier Heizperioden konstant niedrig. So zeigte die wissenschaftliche Auswertung der Verbrauchswerte durch das Institut Wohnen und Umwelt, dass trotz hohen Komforts in den Wohnungen mit Raumtemperaturen im Mittel von über 22 °C die Endenergieeinsparung bei Heizung und Warmwasser gegenüber dem gemessenen Verbrauchswert vor der Modernisierung bei 68 % liegt. Der Wärmeschutz verhindert dabei zuverlässig Wärmeverluste im Winter. Bei der Anlagentechnik, wie den Solaranlagen, dem Blockheizkraftwerk und der Anlagenregelung waren jedoch einige Optimierungen erforderlich, was die Notwendigkeit einer Einregulierungsphase nach der Inbetriebnahme verdeutlicht. Durch die Analyse der Messdaten konnten auch organisatorische Verbesserungen bei der Lüftungswartung und der Anlagenregelung identifiziert werden, die den Endenergiebedarf um weitere 8 bis 10 kWh/(m²a) reduzieren können, so dass zukünftig von Verbrauchsreduktionen von fast 75 % auszugehen ist. Die wissenschaftliche Begleitung und Auswertung der Messdaten wurde vom Hessischen Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie der Europäischen Union - Europäischer Fond für regionale Entwicklung gefördert. Die detaillierten Ergebnisse sind unter www.iwu.de abrufbar.

Bei dem Vorhaben wurden auch die Mieter nach ihrer Zufriedenheit und ihren Erfahrungen befragt. Dabei zeigte sich insgesamt eine hohe Zufriedenheit mit dem Wohnkomfort und der Luftqualität. Der Passivhaus-Standard und die damit verbundenen niedrigen Heizkosten war der drittwichtigste Einzugsgrund nach Nähe der Gebäude zur Innenstadt und dem Vorhandensein eines Balkons. Dass für die Wohnungen eine pauschale Warmmiete vereinbart wurde, die vor Steigerungen bei den Heizkosten schützt, war für mehr als die Hälfte der Mieter mit entscheidend für die Wahl der Wohnung.

Die Gebäude sind nach der umfassenden Sanierung und energetischen Ertüchtigung nun gewappnet für die kommenden Jahrzehnte und zeigen gleichzeitig die umfassenden Möglichkeiten in der Bestandssanierung zur Reduktion des Energieverbrauchs und auf dem Weg hin zu klimaneutralen Gebäuden.

Ein Trockenschrank im Bad trocknet die Wäsche mit Hilfe der Abluft ohne zusätzliche elektrische Hilfsenergie.

Die Endenergieeinsparung liegt bei Heizung und Warmwasser gegenüber dem gemessenen Verbrauchswert vor der Modernisierung bei 68 %.

Künftig ist von Verbrauchsreduktionen von fast 75 % auszugehen.

Die Mieter zahlen nun eine
Warmmiete etwa in Höhe der ­ortsüblichen Vergleichskaltmiete.

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