Serielles Sanieren

Ein Modernisierungskonzept mit doppeltem Mehrwert

Die deutsche Wohnungswirtschaft steht vor einer doppelten Herausforderung: Ein Großteil des Gebäudebestandes ist sanierungsbedürftig, parallel dazu klafft eine Lücke von 700.000 Wohnungen. Doch fehlende Fachkräfte, hohe Baukosten und steigende Zinsen bremsen die energetische Modernisierung und den Neubau aus. Ein nachhaltiger Lösungsbaustein zur Schaffung von klimaneutralem Wohnraum ist das serielle Sanieren.

Seriell schneller aus dem Sanierungsstau

Rund drei Viertel des 19 Mio. Gebäude umfassenden Wohnungsbestandes ist entweder gar nicht oder nur unzureichend gedämmt, wird mit Gas oder Öl beheizt und verbraucht bis zu fünfmal mehr Energie als heutzutage technisch möglich ist. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen in den nächsten 21 Jahren rein rechnerisch rund 2.400 Wohngebäude pro Tag energetisch modernisiert werden. Mit herkömmlichen Verfahren ist das nicht zu schaffen.

Gefragt sind innovative Lösungen, die die energetische Modernisierung im Bestand auf breiter Ebene beschleunigen. Statt kleinteiliger Einzelleistungen unterschiedlicher Gewerke kombiniert serielles Sanieren digitale Planung mit industrieller Vorfertigung und standardisierten Prozessen. Große Bestände lassen sich so mit weniger Fachkräften in kürzerer Zeit auf den klimaneutralen NetZero-Standard bringen. Laut Expertenschätzung sind rund 30 Prozent aller Bestandsgebäude prinzipiell für eine serielle Sanierung geeignet.

Bestand bietet Potenzial für zusätzlichen Wohnraum

Das neuartige Modernisierungskonzept macht ineffiziente Gebäude nicht nur zu Energiesparern (bis zu 90 Prozent geringerer Heizenergiebedarf), sondern auch zu Energieproduzenten (NetZero-Standard durch Photovoltaik-Erträge), CO2-Speichern (Verwendung nachwachsender Rohstoffe wie Holz) und Materiallagern (Planung nach zirkulären Prinzipien). Damit hat das serielle Sanieren großes Potenzial, sich zu einer Schlüsseltechnologie für die Wärmewende im Bestand zu entwickeln. Und es kann noch mehr: „Serielles Sanieren lässt sich vielfach mit einer Aufstockung kombinieren. Im Zuge der klimaneutralen Modernisierung kann so Wohnraum zu Kosten geschaffen werden, die weit unter denen eines Neubaus liegen. Die zusätzlichen Mieteinnahmen leisten zudem einen wesentlichen Beitrag zur Refinanzierung der Sanierungsinvestition“, erklärt Uwe Bigalke, Teamleiter Serielles Sanieren bei der Deutschen Energie-Agentur (dena). Angesichts des fortschreitenden Klimawandels mit immer häufiger auftretenden Extremwetterlagen ist ein verantwortungsvoller Umgang bei der Versiegelung zusätzlicher Flächen notwendig. Der Weg zu klimaresilienten Städten führt über klug nachverdichteten Bestand, Neubau mit Augenmaß sowie ausreichend Grün- und Freiflächen.

Mit weniger mehr erreichen

Laut einer Studie der TU Darmstadt bieten die Dächer von Mehrfamilienhäusern aus den 1950er bis 1990er Jahren Platz für 1,1 bis 1,5 Mio. zusätzliche Wohnungen. Wirklich gebaut werden aber nur 10.000 pro Jahr. Es würde also 110 bis150 Jahre dauern, um dieses brachliegende Potenzial auszuschöpfen. Die Gründe für die Zurückhaltung beim Dachausbau liegen vor allem in komplexen und damit kostentreibenden regulatorischen Auflagen – vom Genehmigungsverfahren und einer ggf. notwendigen Änderung des Bebauungsplans über den Arten-, Brand-, Klima- und Schallschutz bis zur Stellplatz- und Aufzugspflicht.

Vielerorts werden Aufstockungen durch die Anforderungen der jeweiligen Landesbauordnung und das geltende Planungsrecht erschwert. Teilweise wird sogar innerhalb eines Bundeslandes nach anderem Ermessen entschieden: Während im seriellen Sanierungsprojekt der Gewobau Erlangen nicht mehr als eine eingeschossige Aufstockung möglich war, wurde die Münchner Baugenossenschaft Hartmannshofen vom zuständigen Bauamt ermutigt, statt der geplanten zwei Etagen drei zusätzliche Geschosse aufzustocken. Die im Rahmen des Baugipfels geplanten Vereinfachungen, wie bundesweit geltende Typengenehmigungen, Genehmigungsfreiheit beim Dachausbau, Wegfall der Stellplatzpflicht sowie die Einführung von Gebäudetyp E, könnten dem seriellen Sanieren sowie der Aufstockung mehr Rückenwind geben.

Know-how ausbauen und Wissen teilen

Auch wenn mittlerweile 20 Prozent aller Neubauten in Deutschland vorwiegend in Holzbauweise gebaut werden, sind konventionelle Bauweisen nach wie vor dominierend. Dementsprechend fehlt es Planenden, Genehmigenden und Ausführenden schlichtweg an Erfahrung und Know-how im Umgang mit dem Baustoff Holz. Dies gilt insbesondere für das neue Marktsegment serielle Sanierung sowie das Nischensegment Dachaufstockung. Deshalb setzt man im Energiesprong-Netzwerk auf eine kooperative Innovationskultur. Aus den Erfahrungen, Erkenntnissen und teilweise auch Ernüchterungen der Pilotprojekte profitiert die gesamte Branche. Die daraus gewonnenen Lessons Learned bilden die Basis für weitere Produkt- und Prozessoptimierungen und mögliche gemeinsame Qualitätsstandards.

Ein Leitfaden informiert die Bauwirtschaft über die technischen Besonderheiten der seriellen Sanierung und Aufstockung mit Holz. Weitere Leitfäden für Planer und Architekten sowie die Wohnungswirtschaft sind kurz vor der Fertigstellung. Zudem gibt es im Partner-Netzwerk Ideen, mit denen sich Aufstockungen einfacher, schneller und kostengünstiger umsetzen lassen: So enwickelt das Berliner Start-up RoofUZ aktuell einen Baukasten aus digitalen Werkzeugen, künstlicher Intelligenz und automatisierten Bauprozessen. Im Vergleich zur konventionell ausgeführten Dachaufstockung lassen sich so bis zu 70 Prozent der Arbeitszeit einsparen, wodurch auch kleinere Projekte rentabel werden.

Noch einen Schritt weiter geht das Bremer Start-up On Top Solutions. Mit architektonischer Expertise wurde eine intelligente Plug-and-Play Aufstockungslösung konzipiert. Die Module werden bezugsfertig im Werk vorgefertigt und vor Ort mit verhältnismäßig geringem Aufwand aufs Bestandsgebäude montiert.

Integrale Planung und integrierte TGA

Aufgrund seines hervorragenden Verhältnisses aus hoher Tragfähigkeit und geringem Gewicht eignet sich der Baustoff Holz ideal für Aufstockungen und Anbauten. Doch genau diese „Leichtigkeit“ macht die Konzeption und Umsetzung im Vergleich zum Massivbau anspruchsvoller. Der im Bauwesen vorherrschende lineare Planungsprozess, bei dem die Planungsphasen nacheinander erfolgen, stößt hier an seine Grenzen. Serielles Sanieren und Aufstockung erfordern einen integralen Planungsprozess, bei dem die Planungsphasen parallel verlaufen und alle Projektbeteiligten frühzeitig in den Prozess eingebunden werden. Sämtliche Gebäudeinformationen fließen in einem BIM-Modell zusammen, das die gemeinsame Grundlage für die Planung und Vorfertigung bildet.  

Zu jeder Sanierung gehört auch die Erneuerung der Haustechnik. Konventionelle Sanierungslösungen sind zumeist mit einer Strangsanierung verbunden, die für die Mieterinnen und Mieter eine große Belastung darstellt. Serielles Sanieren setzt auf moderne, minimalinvasive und mieterfreundliche Plug-and-Play-Lösungen, die auch die Aufstockung erleichtern. Vielfach werden vorgefertigte Technik-Module oder Ground Cubes verbaut, unterirdische Betonkuben, in denen die gesamte Gebäudetechnik inklusive Heizungstechnik, Elektroanschluss, Trinkwasseranschluss, Telekommunikation und Internet vorinstalliert ist. Die technische Anbindung der Wohnungen erfolgt minimalinvasiv über fassadenintegrierte Versorgungsstränge, sodass sich der Eingriff in die Wohnungen und damit die Beeinträchtigung der Bewohnerinnen und Bewohner auf ein Minimum reduziert.

Zusätzlicher Wohnraum refinanziert serielle Sanierung

Laut Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen in Kiel liegen die Kosten für den Neubau von Mietwohnungen in deutschen Großstädten inklusive Grundstückskosten aktuell bei knapp 5.000 Euro pro Quadratmeter. Ein Preis, zu dem keine bezahlbaren Mieten mehr möglich sind. Urbane Nachverdichtung durch Aufstockung und Erweiterung ist vor diesem Hintergrund die sowohl ökologisch als auch ökonomisch überlegene Alternative. Zumal eine Aufstockung unter bestimmten Bedingungen im Rahmen der seriellen Sanierung mitgefördert werden kann.

Mit den Anfang 2023 eingeführten Boni für Serielles Sanieren und Worst Performing Buildings hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die Weichen für eine breite serielle Sanierungswelle gestellt. Zinsgünstige KfW-Kredite (bis zu 150.000 € pro Wohneinheit), die zwei bis drei Prozent unter den marktüblichen Konditionen liegen und in etwa einem Finanzierungsvorteil von 15 Prozent entsprechen, summieren sich in Kombination mit Tilgungszuschüssen von bis zu 45 Prozent im günstigsten Fall auf eine Gesamtförderung von 60 Prozent. Damit ist das innovative Sanierungsverfahren bei deutlich schnellerer Umsetzung bereits heute auf dem Kostenniveau konventioneller energetischer Modernisierungen.

Wird die maximale Kreditsumme von 150.000 € pro seriell sanierter Wohneinheit nicht ausgeschöpft, lohnt es sich, die noch zur Verfügung stehenden Mittel in eine Aufstockung zu investieren. Finanziell noch attraktiver ist es, wenn die zum Ausbau vorgesehene Fläche zuvor beheizt wurde (Dachboden). Dann erhöht jede neu geschaffene Wohneinheit die förderfähigen Kosten um weitere 150.000 €.

Im Rahmen einer seriellen Sanierung kann mit vergleichsweise wenig Aufwand dringend benötigter neuer Wohnraum geschaffen werden. Die zusätzlichen Mieteinnahmen leisten im Gegenzug einen wesentlichen Beitrag zur Refinanzierung der energetischen Modernisierung. Somit ist das serielle Sanieren plus Aufstockung eine Lösung, die sich doppelt auszahlt. 

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