Der Wert
schöner Wohnquartiere

Angesichts der neuen Beliebtheit von Wohnimmobilien in urbanen Lagen stellen sich Kapitalanleger, aber auch Eigennutzer die Frage, welche Wohnquartiere als schön empfunden werden und inwiefern Schönheit einen ­absatzfördernden und damit Wert erhöhenden Faktor darstellt.

Zur Beantwortung dieser Frage wird in einem ersten Schritt die Schönheit verschiedener Gebäudeensembles bestimmt. Im nächsten Schritt wird geklärt, ob Schönheit einen ökonomischen Wertfaktor darstellt. Dies geschieht über die Erhebung empirischer Daten zum Nachfrageverhalten potenzieller Mieter. Als Basis dient eine dreigeschossige Häuserzeile bestehend aus Altbauten im klassischen Stil, die zu einem homogenen Ensemble miteinander kombiniert werden: Diese Häuserzeile wird variiert, indem drei Neubauten – eines im klassischen Stil und zwei Bauten im avantgardistischen Stil – sowie drei Bestandsbauten aus der Nachkriegszeit – ein Gebäude aus den 1960er Jahren im klassischen Stil sowie zwei Betongebäude aus den 1970er Jahren – nachträglich eingefügt werden: Der ästhetische und der ökonomische Effekt der Einfügung von Neu- und Nachkriegsgebäuden werden mittels einer Gegenüberstellung der dreigeschossigen Häuserzeile als Ursprungsvariante mit den jeweils modifizierten Varianten ermittelt.

 

Neu- und Nachkriegsbauten
bedeuten ästhetische Beeinträchtigung

 

Neubauten

Durch den modernen Neubau im klassischen Stil wird die Schönheit der Häuserzeile um 20,0 % gemindert. Dies lässt darauf schließen, dass die Sanierung eines verwahrlosten Altbaus das günstigere ästhetische Mittel darstellt als dessen Abriss und Ersatz durch einen Neubau. Noch höher fällt der durch die Einfügung avantgardistischer Neubauten verursachte ästhetische Schaden aus: Während mit dem organisch gestalteten Mehrfamilienhaus ein optisches Minus in Höhe von 34,4 % einhergeht, beträgt der Vergleichswert für das skulptural gestaltete Gebäude sogar 39 %.

 

Nachkriegsgebäude

Das Gebäude aus den 1960er Jahren mit Fassade in Fliesenoptik bedeutet eine ästhetische Beeinträchtigung um 31,0 %. Noch stärker ist dieser Negativeffekt bei Bauten aus den 1970er Jahren: Das Gebäude mit Betonfassade mindert die Schönheit des Ensembles um 44,6 %, das Apartmenthaus mit orangefarbener Fassade sogar um 48,2 %. Sämtliche der genannten Beeinträchtigungen sind statis-tisch hoch signifikant. Auffällig ist die besonders negative Beurteilung der Optik der beiden Häuserzeilen mit den besonders stark kontrastierenden Gebäuden aus den 1970er Jahren. Diese Gebäude entsprechen somit nicht mehr dem heutigen ästhetischen Zeitgeist.

 

Neu- und Nachkriegsbauten
sind weniger begehrt

Der Ertragswert von Immobilien bemisst sich zum einen nach der Einzugsbereitschaft, die die Größe der Zielgruppe bestimmt und insbesondere in einem Käufermarkt eine wichtige Kennziffer ist, sowie zum anderen nach der Zahlungsbereitschaft, die Auskunft über die Höhe der zusätzlich erzielbaren Mieterlöse gibt und als solche insbesondere in einem Verkäufermarkt von Relevanz ist. Eine breite Basis an Mietinteressenten, nämlich 93 %, ist bereit, in das dreigeschossige Altbau-Gebäude im klassischen Stil einzuziehen. Diese potenziellen Mieter bezahlen eine Prämie in Höhe einer halben Monatsmiete. Ein Einzug in die Neu- wie auch die Nachkriegsbauten kommt für eine reduzierte Anzahl an Mietinteressenten in Frage, wobei sich unterschiedliche Effekte auf die Zahlungsbereitschaften ergeben:

 

Neubauten

Obwohl der Neubau im klassischen Stil bessere energetische Kennzahlen und weitere funktionale Vorteile aufweisen dürfte, so bevorzugen die Miet­interessenten nichtsdestotrotz den klassischen Altbau: Dessen Mietbasis ist um 17 % größer und auch die Zahlungsbereitschaft ist um 8 % höher und damit signifikant oberhalb derjenigen für den Neubau angesiedelt. Den organisch gestalteten Neubau wollen lediglich 45 % der potenziellen Mieter beziehen – 49 % weniger als den Altbau. Die akzeptierte Prämie ist 10 % niedriger als diejenige für den Altbau im klassischen Stil, wobei die Differenz statis-tisch signifikant ist. Ein mit etwa 48 % nur leicht höheres Interesse besteht für das skulptural gestaltete Gebäude; hierfür wird zudem eine Einzugsprämie in Höhe einer Drittel Monatsmiete akzeptiert. Die Differenz zwischen dem Aufpreis für den Altbau und demjenigen für das avantgardistisch-skulpturale Gebäude in Höhe von 4,3 % ist statistisch nicht signifikant.

Nachkriegsgebäude

Zu einem Bezug des Gebäudes aus den 1960er Jahren mit Fassade in Fliesenoptik sind 61 % der Befragten bereit. Dies ist knapp ein Drittel weniger als in den Altbau im klassischen Stil. Zudem ist ein Mietpreisabschlag in Höhe von 0,63 Monatsmieten erforderlich. Damit ist die Zahlungsbereitschaft für dieses Nachkriegsgebäude um 28 % niedriger als der Vergleichswert für den Altbau im klassischen Stil.

Die Größe der Gruppe potenzieller Mieter für das Gebäude mit Betonfassade ist 41 % und unterschreitet diejenige für den Altbau im klassischen Stil. Mietern muss zudem 0,61 Monatsmieten Mietfreiheit gewährt werden. Der Unterschied zum Altbau in Höhe von 27,8 % ist statistisch hoch signifikant. Der funktionale Vorteil weitläufiger Terrassen bedingt hier offenbar keine Attraktivität. Am geringsten mit nur 31 % ist der Anteil Einzugswilliger in das Apartmenthaus mit orangefarbener Fassade: Damit handelt es sich um das am wenigsten breitenkompatible Gebäude. Der Differenz gegenüber dem Anteil an Mietinteressenten für den Altbau beträgt 62 %. Die wenigen Einzugswilligen fordern überdies einen Nachlass in Höhe von 1,19 Monatsmieten – 42,3 % mehr als für den Altbau. Hieraus lässt sich der Schluss ziehen, dass der klassische Altbau die begehrteste Wohnform darstellt. Neu- aber auch Bestandsbauten vermögen es nicht, eine ähnlich umfängliche Mieterschaft zu mobilisieren. Auch die Zahlungsbereitschaften erreichen nicht das Niveau des Vergleichswerts für den Altbau.

 

Zusammenhang zwischen
Schönheit und Wert

Zwischen Schönheit und Wert – ausgedrückt durch die Einzugs- sowie die Zahlungsbereitschaft der Mietinteressenten – besteht folgender Zusammenhang:

– Schönheit und Einzugsbereitschaft: Die Einfügung der Störer verringert die Basis an Mietinteressenten in ähnlicher Weise, in der die ästhetische Beeinträchtigung eintritt. Der die Korrelation zwischen diesen beiden Faktoren zum Ausdruck bringende Bravais-Pearson-Korrelationskoeffizient beträgt 0,8444.

– Schönheit und Zahlungsbereitschaft: Zwischen diesen beiden Faktoren besteht eine mittelmäßig ausgeprägte Korrelation von 0,5095. Der lediglich moderate Zusammenhang liegt zuvorderst in den beiden Neubauten im avantgardistischen Stil begründet, die zwar eine erhebliche ästhetische Beeinträchtigung der Ursprungsbebauung bedingen, wobei jedoch nur ein geringfügig höheres finanzielles Entgegenkommen des Vermieters erforderlich ist als für den Bezug des Altbaus.

– Einzugs- und Zahlungsbereitschaft: Immobilien werden als umso begehrenswerter empfunden, je breitenkompatibler sie sind. Ein statistischer Zusammenhang besteht ebenfalls in nur moderater Höhe, symbolisiert durch einen Koeffizienten von 0,4703. Dies ist Folge der speziell bei den beiden Neubauten im avantgardistischen Stil festzustellenden Diskrepanzen zwischen Schönheit und Nachfrage.

Sämtliche der Korrelationsfaktoren sind hoch signifikant, sodass die Existenz eines positiven Zusammenhangs zwischen der Schönheit eines Wohnquartiers und dem Wert der dortigen Gebäude bejaht werden kann. Das Maß an Befriedigung ästhetischer Bedürfnisse schlägt sich somit unmittelbar in ökonomisch wirksamen Entscheidungen der Nachfrager nieder. Damit werden sie für Anbieter zu einem ertrags- und damit wert- relevanten Faktor. Der allseits bekannte Spruch, wonach allein die drei Faktoren „Lage, Lage, Lage“ wertbestimmend für eine Immobilie seien, kann also dahin gehend präzisiert werden, dass es die Schönheit des Wohnquartiers ist, die die Qualität einer Lage bestimmt.

 

Handlungsempfehlungen für Stadtplaner

Aus diesen Resultaten ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen für Stadtplaner:

– Die Sanierung eines verwahrlosten Altbaus führt nicht nur zu einem besseren ästhetischen Resultat als dessen Abriss und Wiederaufbau, sondern scheint offensichtlich auch die ökonomisch präferierte Option zu sein. Selbst ein Quartier mit klassisch gestaltetem Neubau ist etwas weniger attraktiv. Losgelöst von der aktuell dominierenden Debatte um Energieeffizienz sollte der Erhalt der innerstädtischen Altbau-Gebäudesubstanz daher als ästhetischer Wert an sich in den Fokus rücken und bspw. durch Zurückhaltung bei der Ausweisung von Neubaugebieten gefördert werden.

– Bei avantgardistischen Neubauten gelingt die Positionierung im Premium-Segment; denn eine vergleichsweise kleine Zielgruppe ist durchaus zur Zahlung eines Mietpreiszuschlags bereit, der jedoch nicht das Niveau der Zahlungsbereitschaften für den Altbau erreicht. In den 1970er Jahren erbaute und damals schöne Gebäude können heute nur noch mit Abschlägen vermarktet werden. Eine modische Gestaltung erweist sich im Langfrist-Trend somit als nicht wertstabil. Vor dem Hintergrund einer absehbaren Verschlechterung der Optik im Zeitablauf sollten avantgardistische Bauten daher nur zurückhaltend genehmigt werden.

Die hohe Korrelation zwischen Schönheit und den Wert relevanten Faktoren Einzugs- und Zahlungsbereitschaft bedeutet auch, dass der Markt das von der Allgemeinheit geschätzte Gut Schönheit honoriert. Da sich der Markt insofern im Wesentlichen selbst reguliert, lässt zudem darauf schließen, dass staatlicherseits nur maßvolles Eingreifen erforderlich ist.

Immobilien werden als umso begehrenswerter empfunden,
je breitenkompatibler sie sind.

Zwischen Schönheit und Wert – ausgedrückt durch die Einzugs-
sowie die Zahlungsbereitschaft der Mietinteressenten – besteht
ein Zusammenhang.

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