IG BAU schlägt Alarm: Alle 19 Minuten verliert Deutschland eine Sozialwohnung – „ Länder und Kommunen müssen jetzt puschen“

Sozialwohnungen weiter im Sinkflug: Die Zahl der Sozialwohnungen ist auch im vergangenen Jahr weiter zurückgegangen. Trotz erhöhter Mittel des Bundes für den sozialen Wohnungsbau gab es unterm Strich 2021 bundesweit noch 1.101.506 Wohnungen mit Sozialbindung – 27.369 weniger als ein Jahr zuvor. 21.468 Sozialmietwohnungen wurden im vergangenen Jahr neu gebaut. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des bau- und wohnungspolitischen Sprechers der SPD-Bundestagfraktion, Bernhard Daldrup, hervor. Damit liegt erstmals die endgültige bundesweite Bilanz zur Entwicklung bei den Sozialwohnungen für das zurückliegende Jahr vor.

Der Bundesvorsitzende der Industriegewerkschaft BAU, Robert Feiger, spricht von einer „Talsohle für das soziale Wohnen“: „Der Bestand an Sozialwohnungen schmilzt regelrecht weg. Rein rechnerisch ist im vergangenen Jahr alle 19 Minuten eine Wohnung vom Sozialwohnungsmarkt verschwunden. Aber nur alle 25 Minuten kommt eine durch Neubau hinzu. Das ist eine fatale Situation.“

Bundeskanzler Olaf Scholz habe mit der Ampel-Koalition bei der Regierungsbildung Ende vergangenen Jahres die richtigen Weichen gestellt: 100.000 geförderte Wohnungen will die Ampel bauen. „Deutschland braucht eine Offensive beim sozialen Wohnungsbau“, so Feiger. Die Voraussetzungen dafür, das Ampel-Ziel auch zu schaffen, hätten sich durch die Krisensituation – von den gestiegenen Preisen und Lieferengpässen beim Baumaterial bis zur Ungewissheit bei der Produktion von Beton oder Ziegeln durch Gasknappheit – allerdings deutlich verschlechtert.

„Gefragt sind jetzt vor allem die Länder und Kommunen, sich in Sachen Sozialwohnungsbau stärker als bisher ins Zeug zu legen: von Präferenz-Genehmigungsverfahren für soziale Bauprojekte über die Bereitstellung von Bauland bis zu deutlich höheren Förderungen. Das ist noch reichlich Luft nach oben, um dem sozialen Wohnungsbau einen Pusch zu geben“, betont Feiger.

Der IG BAU-Chef spart dabei nicht mit Kritik an Wohnungsbaugesellschaften: „Wer jetzt geplante Bauprojekte auf Eis legt oder sogar bereits begonnene Baustellen stilllegt, der trägt dazu bei, den Wohnungsneubau abzuwürgen.“ Kommunale und landeseigene Wohnungsbaugesellschaften sollten selbstbewusster auftreten und staatliche Unterstützungen einfordern anstatt „Neubauprojekte, bei denen bezahlbare und soziale Wohnungen entstehen sollen, zu beerdigen“. Feiger wörtlich: „Was wir jetzt nicht gebrauchen können, ist eine ‚bequeme Lethargie‘.“ Der Bund wolle mehr Sozialwohnungen. Das dürfe jetzt nicht an den Ländern und am Engagement der Akteure vor Ort scheitern.

Mehr noch: In der Krise stecke auch eine Chance. Robert Feiger hat dabei die Baubeschäftigten als knappe Ressource der Branche im Blick: „Wenn jetzt durch steigende Kosten und anziehende Bauzinsen eine größere Zurückhaltung durch private Investoren beim Neubau von Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäusern eintritt, dann bietet es sich geradezu an, dass der Staat Kapazitäten der Bauwirtschaft in den sozialen Wohnungsbau umlenkt.“ Nichts wäre fataler, als die vorhandene Manpower auf dem Bau nicht auch voll zu nutzen – insbesondere für klima- und seniorengerechte Sanierungen, aber eben auch für den Bau von Sozialwohnungen, so der Bundesvorsitzende der Bau-Gewerkschaft.

Die IG BAU appelliert an die Immobilienwirtschaft, mehr Flexibilität zu zeigen: „Wenn der Neubau nicht ins Budget passt, bietet gerade der Umbau vorhandener Nicht-Wohngebäude zu Wohnungen große Chancen. Der Umbau braucht deutlich weniger Material – und ist schon deshalb ein guter Weg zu mehr Wohnungen in der Krise“, so Feiger. Allein durch den Umbau von Büros, die durch das Etablieren vom Homeoffice nicht mehr gebraucht werden, könnten bis zu 1,9 Millionen neue Wohnungen entstehen. Und zwar deutlich kostengünstiger als im Neubau. Der IG BAU-Bundesvorsitzende fordert eine „Umbau-Offensive mit sozialem Akzent“. Auch die Dachaufstockung bei Wohnhäusern, die in der Nachkriegszeit bis zum Ende der 90er-Jahre gebaut wurden, würden ein enormes Potential bieten: Rund 1,5 Millionen neue Wohnungen seien allein durch On-Top-Etagen auf diesen Altbauten möglich – und ebenfalls günstiger als jeder Neubau.

Mit einem Blick in den „wohnungspolitischen Rückspiegel“ verdeutlicht Feiger, „wie viel beim sozialen Wohnungsbau in den letzten Jahrzehnten ins Rutschen gekommen ist“: Ende der 1980er-Jahre gab es noch rund vier Millionen Sozialwohnungen – allein im Westen. Heute sind es bundesweit nur noch rund 1,1 Millionen. Während im Jahr 1987 auf 100 Mieterhaushalte 25 Sozialwohnungen kamen, ist diese Zahl aktuell auf fünf zurückgegangen.

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