Brandschutz

Von wegen leicht entflammbar

In Göttingen entstand aus vorgefertigten Massivholzmodulen in kurzer Bauzeit ein Studentenwohnheim. Der Neubau steht aber nicht nur für ein wachsendes ökologisches Bewusstsein. Er zeigt zugleich ausgesprochen plastisch den aktuellen Stand der Technik, wie im Holzbau baulicher Brandschutz nicht nur regelkonform, sondern auch wirtschaftlich und funktional umgesetzt werden kann.

Die „Muster-Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen an hochfeuerhemmende Bauteile in Holzbauweise“ (M-HFHHolzR) wurde von der Bauministerkonferenz bereits 2004 verabschiedet. Sie korrespondiert mit der 2002 grundlegend überarbeiteten „Musterbauordnung“ (MBO). Zielsetzung war, den baulichen Brandschutz im Holzbau bis zur Gebäudeklasse 4 zu definieren. Es hat jedoch rund 15 Jahre – also im Grunde bis heute – gedauert, bis die M-HFHHolzR in allen Bundesländern in Landesrecht umgesetzt wurde.

Allerdings unterscheiden sich die Holzbau-Richtlinien der Bundesländer zum Teil erheblich. Zudem haben sich inzwischen neue Holzbauweisen etabliert. Ein besonders starkes Wachstum verzeichnet beispielsweise der Holzmodulbau mit vorgefertigten Raumelementen, wie er für das Studentenwohnheim in Göttingen (Niedersachsen) angewandt wurde. Der Bauherr ist das Studentenwerk der dortigen Universität.

Um solche Großprojekte in Holzmodulbauweise realisieren zu können, müssen eventuelle Abweichungen von der jeweiligen HFHHolzR des Bundeslandes durch andere Brandschutzmaßnahmen kompensiert und in einem Brandschutzkonzept zur behördlichen Genehmigung dokumentiert werden. Denn die Brandschutzvorgaben in der Holzbau-Richtlinie beziehen sich eigentlich auf die Holzrahmen- oder Fachwerkbauweise. Bei dieser Methode werden in der Regel Wandelemente, die nur zum Teil aus Holz bestehen, vorgefertigt und auf der Baustelle sukzessive zu Räumen und Stockwerken zusammengesetzt. 

Im Unterschied dazu sind Raummodule vollständig aus Brettstapelholz gefertigt, werden als montagefertige Einheiten geliefert und als „Systembaukasten“ vor Ort zusammengesetzt.

Brandschutzkonzept erfordert Planungsdisziplin

Einer der großen Vorteile dieser Holzmodulbauweise ist der hohe Vorfertigungsgrad außerhalb der Baustelle. Das Studentenwohnheim in Göttingen konnte so in nur rund zwölf Monaten fertiggestellt werden. Die konventionelle Bauweise hätte schätzungsweise 50 Prozent länger gedauert. In Ballungszentren kommt zum Zeitfaktor noch ein weiterer Vorteil hinzu: Durch die Anlieferung fertiger Module, die nur noch per Kran aufeinandergesetzt werden müssen, wird weniger Platz auf der Baustelle bzw. den umliegenden Straßen benötigt.

Der Vorfertigungsgrad der Module für das Studentenwohnheim war sogar so hoch, dass die jeweils 18 m² großen Wohneinheiten vollständig ausgebaut angeliefert wurden – Möbel und Nasszelle inklusive. Das Unternehmen Kaufmann Bausysteme GmbH fertigte die Module in Kalwang (Steiermark, Österreich) sozusagen am Fließband und damit in industriell reproduzierbarer Qualität. Doch die Grundvoraussetzung war: Im Vorfeld mussten die Planungsunterlagen für das gesamte Projekt auf Basis des Brandschutzkonzepts bereits genehmigt sein, denn Planungsabweichungen sind kaum möglich. Deshalb ist eine detailgetreue Planungsdisziplin eine der wichtigsten Voraussetzung für einen erfolgreichen Bauverlauf. Die im Massivbau übliche baubegleitende Planung scheidet verständlicherweise aus.

Kompensationsmaßnahmen im Konzept

Da das Studentenwohnheim als Hybridbau konzipiert ist, sind die notwendigen Flure und Treppenräume aus Sicht des Brandschutzes unkritisch: Das Erdgeschoss, die Decke zum ersten Geschoss, die Treppenräume und Ausgänge sowie die Brandwände sind in traditioneller Stahlbetonbauweise errichtet. Das Gleiche gilt für die Flurdecken in den Stockwerken – sie sind geschossweise durch Stahlbetonstützen verbunden.

Die Geschossdecken der Stockwerke eins bis vier hingegen bilden die Decken beziehungsweise Böden der Holzmodule. Abweichend von der Holzbau-Richtlinie sind die Innenwände und Decken nicht mit hochfeuerhemmendem Gipskarton beplankt, sondern sichtbar. Das kommt nicht nur dem Ambiente und Innenraumklima zugute – es vereinfacht auch die Vorfertigung. Als Kompensationsmaßnahme sind die Außenwände komplett mit Gipskarton verkleidet (F60). In die Decke des Moduls ist außen eine Dämmung aus nicht brennbarer Mineralwolle (Schmelzpunkt > 1.000 °C) eingebracht, ebenso an der Außenwand zum nächsten, angrenzenden Raummodul. Diese Konstruktion ertüchtigt die Außen- und Trennwände sowie die Decke und den Boden hochfeuerhemmend (F60) einschließlich dem Schutz gegen Rauchübergang durch Fugen.

Herausforderung Rohrleitungsführung gelöst

Rohrleitungen durch Bauteile mit Brandschutz-Anforderungen zu führen, ist ein sensibles Thema – im Holzbau allerdings noch mehr. Die Holzbau-Richtlinie gibt vor:

– Installationen (Leitungs- und Lüftungsanlagen) dürfen nicht in hochfeuerhemmenden Bauteilen geführt werden. Sie sind vor Wänden bzw. unterhalb von Decken oder in Schächten und Kanälen zu führen. 

– Werden an den Verschluss der Öffnungen brandschutztechnische Anforderungen gestellt wie an […] Rohr- oder Kabelabschottungen, muss ein entsprechender bauaufsichtlicher Verwendbarkeits- bzw. Anwendbarkeitsnachweis vorliegen, der den Einbau dieser Abschlüsse in hochfeuerhemmenden Bauteilen regelt.

Durch die Hybridbauweise des Studentenwohnheims konnten die Rohrleitungen für Trinkwasser und Heizung so geführt werden, dass an die Durchführung zum Holzmodul keine brandschutztechnischen Anforderungen gestellt werden.

Die Hauptverteilung für Heizung und Trinkwasser ist im ersten Obergeschoss als Ringleitung unter der Geschossdecke installiert: für die Heizung mit dem Viega-Rohrleitungssystem „Prestabo“ aus verzinkten Stahlrohren und Pressverbindern. Die Trinkwasser-Installation ist aus dem Viega-Rohrleitungssystem „Sanpress Inox“ aus Edelstahl. Da das erste Geschoss in Stahlbauweise errichtet ist, werden an Bauteildurchführungen die üblichen Brandschutzanforderungen gestellt.

Das trifft auch auf die weiteren Geschossdecken zu, die ebenfalls aus Stahlbeton gefertigt sind: Bereits ausgeschalte Öffnungen in den Geschossdecken geben exakt die Position der Steigleitungen vor. Sie führen in den Fluren direkt vor den Raummodulen her, sodass die Leitungen aus den Wohneinheiten hier angebunden werden. Flurseitig ist im Trockenbau eine feuerhemmende Wand gebaut, sodass sich so ein F60-Schacht ergibt. Die Betonstützen der Geschossdecken bilden dabei die brandschutztechnische Trennung der nebeneinanderliegenden Appartements.

Bei dieser Konzeption kommen entscheidende Vorteile des Viega-Brandschutzsystems (abP P-2400/003/15-MPA BS) zum Tragen: Die Viega-Rohrleitungssysteme können sehr platzsparend installiert werden, da sie im Nullabstand zueinander und zu den meisten Fabrikaten für Abwasser, Lüftung und deren Brandschutzabschottungen geprüft sind. Für die Rohrleitungssysteme ist zudem die konventionelle Streckenisolierung aus Mineralwoll-Schalen beziehungsweise -Matten (Schmelzpunkt >1000°C) gleichzeitig als Brandschutzabschottung in Massivdecken (≥ 150 mm) zugelassen. Damit sind der notwendige Brandschutz, ein optimaler Schallschutz und ein effektiver Wärmeschutz mit einem Produkt erfüllt.  

Eine weiterer Aspekt des Brandschutzsystems brachte gerade für die rechteckigen Bauteilöffnungen in den Geschossdecken des Göttinger Vorzeige-Neubaus eine wesentliche Vereinfachung: Das allgemein bauaufsichtliche Prüfzeugnis (abP) von Viega erlaubt die Vermörtelung von Durchführungen mit einem umlaufenden Ringspalt von bis zu 170 mm, ohne dass eventuell eine Bewehrung eingebracht werden muss. Typisch sind hier sonst eher 50 mm verfüllbarer Ringspalt, weil die meisten Brandschutzprüfungen von Rohrleitungen in Kernbohrungen ausgeführt werden.

Herausforderung Mischinstallation gelöst

Der praxisgerechte Viega-Systemverbund sollte sich aber auch noch aus anderen Gründen auszahlen: Da für den Ausbau der Raummodule flexible, aber formstabile Rohrleitungssysteme besonders geeignet sind, konnte das Fachhandwerksunternehmen Kaufmann als Vorfertiger für die Trinkwasser-Installation das Rohrleitungssystem „Raxinox“ einsetzen. Die wasserberührte Rohrinnenseite besteht aus einem Edelstahl-Inliner, der Außenmantel aus hochwertigem Kunststoff. Damit kann es von Hand gebogen werden. Im Ergebnis ist also in dem Studentenwohnheim die Trinkwasserverteilung vollständig in Edelstahl ausgeführt. Gleichzeitig blieb aber die einfache Rohrleitungsverlegung durch das formstabile Rohr erhalten.

Die Heizkörper wiederum sind in den Modulen mit dem Kunststoffrohrleitungssystem „Raxofix“ angeschlossen. Für den Innenausbau am „Fließband“ brachte hier die Installation der vorgedämmten Rohre von der Rolle einen zusätzlichen Zeitgewinn.

Allerdings ergab die Kombination nicht brennbarer, metallener Rohrleitungen im Steigestrang und brennbarer Kunststoffleitungen zur Anbindung der Raummodule eine weitere brandschutztechnische Herausforderung. Denn hierbei handelt es sich um eine sogenannte Mischinstallation, für die das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) als Verwendbarkeitsnachweis eine allgemeine Bauartgenehmigung (aBG) voraussetzt. Die konnte Viega bieten (aBG Z-19.53-2258) und so auch diesen Teil des Brandschutzkonzeptes absichern.

Fazit: Brandschutz und Holzmodulbau vereinbar

Das Göttinger Studentenwohnheim aus Massivholzmodulen bis zu 12,70 Meter Gebäudehöhe ist ein Vorzeigeobjekt in Niedersachsen. Durch den hohen Detaillierungsgrad der Planung und des Brandschutzkonzeptes vor Baubeginn war der Neubau fristgerecht bezugsfertig. Die vielfach geforderte, aber in der Praxis doch bislang eher selten gelebte integrale Planung musste hier zwangsläufig konsequent umgesetzt werden. Kostenvorteile gegenüber dem konventionellen Massivbau sind zwar kaum vorhanden. Dafür sprechen jedoch die Qualität der Bauausführung, das angenehme Raumklima durch den „atmenden“ Werkstoff sowie die vereinfachte Baustellenlogistik für die Holzmodulbauweise.

Perspektivisch wird aber zweifellos die positive Ökobilanz des Holzbaus dafür ausschlaggebend sein, dass sich diese Bauweise parallel zum Massivbau etabliert. Das zeigt ein Vergleich der Kennzahlen des Treibhausgaspotenzials (kg CO2-Äqv.) bei der Herstellung der verschiedenen Baustoffe: Die liegt für Stahl bei 60,6 und Stahlbeton bei 17,2. Für Holz ist die Kennzahl mit -52,4 jedoch negativ. Im Klartext bedeutet das: Die Zementherstellung ist für mehr CO2-Ausstoß verantwortlich als der weltweite Luftverkehr (Stand Januar 2013) während der Baustoff Holz sogar CO2 bindet. Hinzu kommt die Ressourcenverknappung bei Bausand, wohingegen Holz ein nachwachsender Rohstoff ist. Das verbleibende Argument, Holzbauten seien möglicherweise feuergefährdeter als Massivbauten, ist wiederum durch das durchdachte Brandschutzkonzept wie in Göttingen sicher zu widerlegen.

Autoren: Hans-Jörg Scherbening, Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz, und Markus Berger, Leiter Bauphysik bei dem Systemhersteller von Installationstechnik Viega

Einer der großen Vorteile ist der hohe Vorfertigungsgrad außerhalb der Baustelle. Das Studentenwohnheim konnte so in nur zwölf Monaten fertiggestellt werden.

Rohrleitungen durch Bauteile mit Brandschutzanforderungen zu führen, ist grundsätzlich ein sensibles Thema – im Holzbau allerdings noch mehr. 

Perspektivisch wird die positive Ökobilanz des Holzbaus dafür ausschlaggebend sein, dass sich diese Bauweise parallel zum Massivbau etabliert.

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