Vom Mauerblümchen zu everybody’s darling

Die deutsche Wohnimmobilienwirtschaft hat in der vergangenen Dekade eine fulminante Entwicklung erlebt:
Das einst geschmähte Segment steht heute im Fokus vieler Investoren. Wie kam es hierzu? Und wie geht es weiter? Die Herausforderungen wie Urbanisierung, Demografie und Energieeffizienz sind vielfältig.

Die Betrachtung von Wohnimmobilien änderte sich mit der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise, die mit dem Lehman-Crash im Jahr 2007 ausbrach. Die ursprüngliche Problematik fauler US-Immobilienkredite breitete sich bald zu einer Krise im Bankensektor aus, die auch andere Branchen sowie die weltweiten Börsen erfasste und einige Staaten an den Rande der Zahlungsunfähigkeit brachte. Die Folgen der Finanzkrise trafen im Immobiliensektor sehr stark Büro- und Einzelhan-delsimmobilien, die aufgrund ihrer Renditen ursprünglich im Fokus der Investoren standen. Sie verzeichneten erhebliche Wertberichtigungen, während sich Mietwohnungen als Stabilitätsanker erwiesen. Nicht allein institutionelle Investoren setzten nun auf das Wohnsegment als krisensichere, werterhaltende Anlage mit geringer Volatilität und niedrigerem Klumpenrisiko. Angesichts eines niedrigen Zinsniveaus und steigender Inflationsängste wurden Wohnimmobilien als private Altersvorsorge und sichere Kapitalanlage auch für Privatpersonen immer attraktiver. Auch wenn heute, knapp drei Jahre nach dem Ausbruch der epochalen Krise, wieder Gewerbe­immobilien erstarken, so hat sich das Wohnsegment doch als gleichberechtigte Kapitalanlage neben Büro-, Einzelhandels- und Logistikimmobilien wieder etabliert.

 

Vielfältige Anlageformen

Als gleichberechtigte Kapitalanlage muss das Wohnsegment nun aber auch ohne die gewohnten Subventionierungen wie die Eigenheimzulage oder die Sonder-Afa für Wohn­immobilien in Ostdeutschland, um das anzulegende Kapital konkurrieren. In diesem Kontext haben sich auch die Anlageformen vervielfältigt: Anleger können heute nicht nur direkt in Wohngebäude inves-tieren, sondern auch indirekt – mittels geschlossener oder offener Wohnimmobilienfonds mit Neu- oder Bestandsbauten. Ein Charakteristikum der Wohnungswirtschaft ist die enge Verzahnung des Segments mit ihren Eigentümern oder Mietern. Daher leiten sich die zukünftigen Herausforderungen an das Wohnsegment direkt aus der Eigentümer-Mieter-Relation ab.

Ein kurzer Rückblick zeigt, dass sich die Ansprüche an das Wohnen seit der Jahrtausendwende gewandelt haben. Beispielsweise wird die Anzahl der Haushalte voraussichtlich bis zum Jahr 2020 steigen. Bedingt wird dies jedoch nicht durch steigende Einwohnerzahlen, sondern durch die Zunahme an Single-Haushalten. Auch die durchschnittliche Wohnfläche hat sich in den vergangenen zehn Jahren signifikant erhöht: In Westdeutschland nahm sie von 40 m2 pro Person im Jahr 2000 auf 43 m2 in 2010 zu; in Ostdeutschland war der Sprung von 36 m2 auf 41 m2 pro Person etwas größer. Neben den anziehenden Haushaltszahlen übt aber auch die zu niedrige Neubautätigkeit Druck auf Mieten und Kaufpreise aus. In Deutschland gibt es laut dem Eduard-Pestel-Institut bis 2025 einen jähr­lichen Neubaubedarf von rund 400 000 Wohnungen. Im Jahr 2010 wurden jedoch gerade einmal 160 000 Wohnungen fertig gestellt. Die Akteure in Wohnungswirtschaft und Politik sind angesichts dieser Situation gefordert, gemeinsam adäquate und bezahlbare Lösungen zu erarbeiten.

Dieser generelle Befund übersieht die Tatsache, dass der deutsche Wohnungsmarkt sich höchst uneinheitlich präsentiert. Es gibt Regionen, die durch Leerstand, Preisrückgang und Stadtrückbau gekennzeichnet sind, während in nachgefragten Metropolregionen das Wohnen für den Durchschnittsbürger kaum bezahlbar ist und Neubau dringend erforderlich ist. Diese Entwicklung wird sich noch verschärfen, denn die Urbanisierung wird weiter voranschreiten. So werden laut Prog­nosen rund 85 % der europäischen Bevölkerung im Jahr 2025 in Städten leben. Heute sind es etwa 73 %.

 

Demografischer Wandel

Die deutsche Bevölkerung wird immer älter und langfristig auch immer weniger. Daher ist eine weitere Herausforderung an die deutsche Wohnungswirtschaft die demografische Entwicklung. Ältere Menschen möchten in der Regel so lange wie möglich in der eigenen Wohnung leben. Dabei ändern sich ihre Bedürfnisse an die Wohnung. Der Bundesverband freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) geht davon aus, dass aktuell nur etwa 400 000 bis 500 000 Wohnungen altersgerecht ausgestattet sind. Dies sind gerade einmal 1 % des Wohnraums in Deutschland. Prognosen gehen davon aus, dass angesichts der demografischen Entwicklung bis zum Jahr 2025 rund 2 Mio. barrierefreie Wohnungen benötigt werden. Das wären jährlich etwa 100 000 Wohnungen. Dies geht nicht ohne die Errichtung altersgerechter Neubauten bei gleichzeitiger Modernisierung von Bestandsbauten. Ohne steuerliche Anreize, wie beispielsweise eine erhöhte Abschreibung, ist diese Herausforderung nicht zu bewältigen. Darüber hinaus müssen die vorhandenen Ansätze des Betreuten Wohnens und des Mehrgenerationenwohnens, die ein selbstbestimmtes Wohnen im Alter ermöglichen, zu bezahlbaren Konditionen ausgebaut werden.

Energieeffizienz ist ein weiterer Themenkomplex, der die Wohnungswirtschaft in den vergangenen Jahren maßgeblich beeinflusst hat und auch weiter beeinflussen wird. Die gesamte Immobilienwirtschaft steht hier in der Pflicht, da Gebäude rund 40 % des Energieverbrauchs und etwa ein Drittel des CO2-Ausstosses verantworten. Die Politik hat in diesem Bereich bereits entscheidende Weichen für ökologische Nachhaltigkeit gestellt. Die ökologische Zielsetzung muss zukünftig nicht nur fortgeführt, sondern mit ökonomischen und gesellschaftlichen Interessen in Einklang gebracht werden. Vor allem bei Bestandswohnungen besteht Nachholbedarf. Denn bisher wird jährlich höchstens ein Prozent der Wohnungen energetisch modernisiert.

Die deutsche Wohnimmobilienwirtschaft steht somit zweifelsohne vor großen Herausforderungen. Doch im Vergleich zu anderen Wohnungsmärkten in Europa sind die Voraussetzung bestens, diese zu meistern. Mit zunehmender Professionalisierung der Branche wird sich die Wohnimmobilie als Asset-Klasse weiter etablieren und einen festen Platz auf der Landkarte institutioneller Inves-toren einnehmen.

Die zukünftigen Herausforderungen an das ­Wohnsegment leiten sich aus der Eigentümer-­

Mieter-Relation ab.

Der Markt der Mietwohnungen hat sich als Stabilitätsanker erwiesen.

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