Energieeffizienz

So sieht es aus: Deutschlands typisches Mehrfamilienhaus

Beim Klimaschutz im Gebäudesektor gibt es noch viel Potential, das genutzt werden kann. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren einer bundesweit durchgeführten Studie, die der Energiedienstleister ista mit Statistikern der Technischen Universität Dortmund durchgeführt hat. Ermittelt wurde die energetische Beschaffenheit eines typischen Mehrfamilienhauses in Deutschland. Dafür analysierten die Experten republikweit über 74.000 Gebäude.

In Deutschland befindet sich knapp die Hälfte der über 40 Mio. Wohnungen in Mehrfamilienhäusern. Gerade in der aktuellen Pandemiezeit, wo Millionen Menschen verstärkt im Home-Office arbeiten oder mehr Freizeit zuhause verbringen, rücken Fragen nach der Energieversorgung und Energiebilanz des Gebäudes sozial- als auch klimapolitisch in den Fokus. So gewinnen die Beschaffenheit und der energetische Zustand des Mehrfamilienhauses weiter an Bedeutung.

Das allerdings impliziert die Frage, wie ein solches Mehrfamilienhaus in Deutschland eigentlich aussieht. Wieviel Mietparteien wohnen darin, wie alt ist das Gebäude, welche Sanierungen wurden vorgenommen und welche regionalen Unterschiede gibt es? Auch das Nutzerverhalten liegt im Fokus der Betrachtung, denn hier stellt sich die Frage nach dem möglichen Energieeinsparpotential durch entsprechendes Verhalten der Bewohner. Und nicht zuletzt steht die Frage im Raum, inwiefern die Digitalisierung helfen kann, die Energiebilanz des Gebäudes zu verbessern?

Bezeichnend: Älter als 40 Jahre und mit Erdgas beheizt

Um derartige und weitere Fragen zu beantworten, wurden die Charakteristika eines typischen Mehrfamilienhauses in Deutschland untersucht und regionale Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern herausgearbeitet. Demnach wurde das typische Mehrfamilienhaus 1978 gebaut und ist somit 42 Jahre alt. Die zu beheizende Fläche dieses Gebäudes beträgt 521,4 m² und verteilt sich auf sieben Wohneinheiten, die im Durchschnitt 65,3 m² groß sind. Beheizt wird das typische bundesdeutsche Mehrfamilienhaus vorwiegend mit Erdgas (65,2 %), gefolgt von Heizöl (21,3 %) und Fernwärme (12,7 %). Die Heizanlage wurde im Mittel 1997 eingebaut und ist damit 23 Jahre alt.

Das typische deutsche Mehrfamilienhaus kennt unterschiedliche Sanierungsmaßnahmen: Am häufigsten erfolgt die energetische Sanierung der Heizanlage (47,7 %), am seltensten die der Kellerdecke (30,3 %). Beim Dach, der obersten Geschossdecke und der Fenster liegen die Sanierungsquoten bei jeweils 43 %. Der mittlere Energiekennwert des Mehrfamilienhauses liegt bei 118 und entspricht damit lediglich der Energieeffizienzklasse D auf dem Energieausweis. Somit ist durchaus weiteres Energieeinsparpotential im typischen Mehrfamilienhaus vorhanden.

Betrachtet man die Bundesländer, ist das typische Mehrfamilienhaus in Berlin mit 1.091,9 m² Heizfläche (15 Wohneinheiten) am größten, gefolgt von Hamburg mit 839 m² (12 Wohneinheiten) und Sachsen mit 703,5 m² Heizfläche (10 Wohneinheiten). Die mittlere Größe bei den Mehrfamilienhäusern ist in Rheinland-Pfalz mit 401,2 m² Heizfläche (5 Wohneinheiten) am kleinsten, allerdings sind hier die einzelnen Wohnungen im Mittel mit 71,4 m² vergleichsweise groß. Größer sind die mittleren Wohnungen nur in Baden-Württemberg (71,7 m²) und Hessen (72,4 m²).

Die vorwiegende Heizenergieart im typischen Mehrfamilienhaus ist mit Erdgas über alle Bundesländer hinweg gleich. Bei der Verteilung der Energieträger gibt es allerdings deutliche Unterschiede. Während in Rheinland-Pfalz in einem Drittel aller Wohngebäude mit Heizöl geheizt wird und Fernwärme lediglich einen Anteil von 1,7 % ausmacht, ist der Anteil von Fernwärme in den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen allgemein höher als der Anteil von Ölheizungen. Dagegen wird mit Ausnahme in Hamburg und Schleswig-Holstein in den restlichen Bundesländern häufiger mit Heizöl als mit Fernwärme geheizt.

Unterschiedliche energetische Sanierungsquoten

Hinsichtlich der energetischen Sanierungsquoten gibt es deutliche Unterschiede zwischen den ostdeutschen Bundesländern und denen im Westen der Republik. In den östlichen Bundesländern sind Wohnhäuser meistens besser saniert als die Gebäude in den westlichen Bundesländern. Im Ländervergleich liegt das typische Mehrfamilienhaus in Brandenburg klar vorn (Dach 66,4 %, oberste Geschossdecke 67,0 %, Außenwand 61,3 %, Fenster 71,1 %, Kellerdecke 49,1 %). Die einzige Ausnahme bildet die Heizanlage, hier nimmt bei der Sanierung das Mehrfamilienhaus in Schleswig-Holstein den Spitzenplatz ein.

Auch bei den Energiekennwerten liegen die östlichen Bundesländer vorn. Den mit Abstand geringsten Energiekennwert haben die Mehrfamilienhäuser in Mecklenburg-Vorpommern. Mit 96 entspricht dieser der Effizienzklasse C. Dahinter liegen Sachsen und Thüringen mit jeweils 101, Brandenburg mit 108 sowie Sachsen-Anhalt mit 109. Deutlich höher ist der mittlere Energiekennwert in den westlichen Bundesländern, die Spitzenplätze belegen Hamburg mit 128 und Schleswig-Holstein mit 126.

Potentiale für Energieeinsparungen sind vorhanden

In den östlichen Bundesländern geht der bessere Energiekennwert der Mehrfamilienhäuser mit den höheren Sanierungsquoten einher. Energetische Maßnahmen zur Verringerung des Energiebedarfs scheinen demnach eine positive Wirkung zu zeigen. Neben der Gebäudesanierung und der Modernisierung der Heizanlage spielt aber auch das Nutzerverhalten im Mehrfamilienhaus eine zentrale Rolle für die Energiebilanz des Gebäudes. Durch ein optimiertes Heizverhalten können die Bewohner nicht nur ihren Heizenergiebedarf senken und damit Kosten sparen, sondern auch gemeinsam die Energiebilanz des Hauses verbessern. Die technische Voraussetzung  dafür ist allerdings, dass die Wärmeverbräuche im Gebäude digital erfasst werden können.

Im typischen Mehrfamilienhaus in Deutschland ist dies bereits heute der Fall. Etwa 60 % der Gebäude verfügen über eine funkbasierte Infrastruktur, über die der Wärmeverbrauch digital erfasst werden kann. Der Anteil der digitalen Messtechnik wird weiter steigen, da die neue Energieeffizienzrichtlinie der EU fordert, die Bewohner öfter über ihren Verbrauch zu informieren und so zum Energiesparen zu motivieren. Bewohner mit fernauslesbaren Zählern können eine vierteljährige Verbrauchsinformation anfordern und haben ab 2022 ein Anrecht auf eine monatliche Information. Bis 2027 müssen zudem alle eingesetzten Messgeräte fernauslesbar sein.

Durch diese unterjährige und zeitnahe Verbrauchsinformation an die Mieter ließen sich nach einer Untersuchung der Deutschen Energie-Agentur (dena)1 10 % der Heizenergie im Gebäude einsparen. Für das typische bundesdeutsche Mehrfamilienhaus mit sieben Wohneinheiten könnten dadurch die jährlichen Heizkosten in Summe von durchschnittlich 3.524 € auf 3.172 € gesenkt werden2. Bundesweit würde das Einsparpotential durch eine häufigere und zeitnahe Verbrauchsinformation in Berlin mit 731 € gefolgt von Hamburg mit 634 € am höchsten ausfallen.

Fazit

Ein Mehrfamilienhaus in Deutschland ist im Durchschnitt über 40 Jahre alt, wird mit Erdgas geheizt und hat bei der Energieeffizienz Potential nach oben. Das zeigt die bundesweite Studie, die Statistiker der Technischen Universität Dortmund und der Energiedienstleister ista durchgeführt haben. Das Ergebnis ist ein Steckbrief des typischen Mehrfamilienhauses auf Bundes- und Landesebene, das sich jeweils zwischen den Bundesländern unterscheidet. In den ostdeutschen Bundesländern sind die Wohngebäude im Mittel 50 Jahre und älter, während sie in den westdeutschen Bundesländern dagegen neuer sind, die Baujahre reichen hier von 1972 bis 1989. Dafür sind in den ostdeutschen Bundesländern die Wohngebäude meistens besser saniert als in den westlichen Bundesländern.

Eine zentrale Rolle für die Energiebilanz im Mehrfamilienhaus spielt das Nutzerverhalten. Dafür müssen die Wärmeverbräuche im Gebäude digital erfasst werden. Das ist im typischen Mehrfamilienhaus in Deutschland bereits heute der Fall. Durch eine unterjährige und zeitnahe Verbrauchsinformation an die Bewohner könnten bis zu 10 % der Heizenergie im Gebäude eingespart werden.

1) Deutsche Energie-Agentur (2017): „Bewusst heizen, Kosten sparen: Abschlussbericht Verbrauchsauswertung und Mieterbefragung in den Heizperioden 2012 bis 2016“.
2) Berechnung auf Basis der Ergebnisse des DIW Berlin (2019): „Wärmemonitor 2018: Steigender Heizenergiebedarf, Sanierungsrate sollte höher sein“.

Hinsichtlich der energetischen Sanierungsquoten gibt es deutliche Unterschiede zwischen den ostdeutschen Bundesländern und denen im Westen der Republik.

Neben der Gebäudesanierung und der Modernisierung der Heizanlage spielt auch das Nutzerverhalten im Mehrfamilienhaus eine zentrale Rolle für die Energiebilanz.

Datenbasis und Methodik

Für die Studie haben Statistiker der TU Dortmund und der Energiedienstleister ista die Gebäudedaten von bundesweit 74.260 Mehrfamilienhäuser analysiert. Mehrfamilienhäuser mit Gewerbeeinheiten sowie mit einem jährlichen Verbrauch unter 15 bzw. über 500 kWh/m² wurden im Datensatz nicht berücksichtigt.

Die Berechnung der Sanierungsquoten basiert auf 25.154 Mehrfamilienhäuser mit Energieausweis aus dem Jahr 2018. Dabei gelten das Dach, die oberste Geschossdecke, die Außenwand, die Fenster und die Kellerdecke als saniert, falls diese der Wärmeschutzverordnung 1995 entsprechen. Eine Heizanlage gilt als saniert, falls diese nicht 20 Jahre oder älter ist.

Für die Berechnung der Energieeinsparpotentiale bezieht sich die Studie auf die Ergebnisse des Modellprojekts „Bewusst heizen, Kosten sparen“ der Deutschen Energie-Agentur (Dena) sowie auf den „Wärmemonitor 2018“ des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).
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