Individuell angepasste Lüftungskonzepte

Kontrollierte Wohnraumlüftung soll Schimmelbildung in Gebäuden vermeiden. Oft werden kostenintensive und überdimensionierte Systeme installiert. Ein hoher Energieverbrauch ist die Folge. Ein auf den Bedarfsfall zugeschnittenes Konzept wirkt dem entgegen.

Schimmel bildet sich, wenn die Luftfeuchtigkeit in den Räumen zu hoch oder die Bauteile zu kalt bzw. feucht sind. Er hat keine Chance, wenn in den Gebäuden ausreichend Luftaustausch stattfindet und richtig geheizt wird.

Das Raumklima und damit der Lüftungsbedarf hängen von zahlreichen Faktoren ab. Die Feuchterzeugung (Nutzungsweise) und das Außenklima zählen auch dazu. Welche Luftwechselraten notwendig sind, um konkrete Schutzziele und Vorgaben zu erreichen, kann nur auf den Einzelfall bezogen entschieden werden. Sind technische Lösungen überhaupt erforderlich und wie müssen diese dimensioniert sein? Lassen sie sich mit Fensterlüftung kombinieren? Handelt es sich um einen Neubau oder eine Modernisierung? Wurden neue und damit dichtere Fenster eingesetzt?

Norm hilft nur bedingt

Viele Neubauten und modernisierte Wohngebäude sind so luftdicht, dass ohne technische Lüftungssysteme sehr häufig die Fenster zu öffnen wären. Das ist eine mögliche Lösung, wird aber rechtlich ab einem gewissen Grad für die Bewohner als unzumutbar eingestuft. Gemäß DIN 1946-6 „Lüftung von Wohnungen“ ist die Lüftung zum Feuchteschutz nutzerunabhängig sicherzustellen. Hiermit soll die Schimmelbildung durch Raumluftfeuchte auch bei Abwesenheit der Bewohner und bei geschlossenen Fenstern vermieden werden.

Die Norm schreibt den Nachweis eines Lüftungskonzepts für Neubauten vor. Bei Modernisierungen kommt es auf den Umfang der Sanierungsarbeiten an: Werden mehr als ein Drittel der vorhandenen Fenster ausgetauscht bzw. wird mehr als ein Drittel der Dachfläche abgedichtet, greift die Norm ebenfalls. DIN 1946-6 gibt verbindliche Be­­rechnungsmethoden zur Ermittlung der Luftwechselraten zum Feuchteschutz vor. Ohne zusätzliche Maßnahmen wie Fensterlüfter und Abluftventilatoren gelingt der Nachweis eines Lüftungskonzeptes selten.

Technische Lösungen mit Fensterlüften kombinieren

Was ist nun die gängige Praxis? In Deutschland werden im Mehrfamilienhausbau kaum Zu-/Abluftanlagen, vor allem mit Wärmerückgewinnung, nach DIN 1946-6 errichtet. Ein Grund dafür könnte sein, dass die in der Norm geforderten Luftmengen im Regelfall höher sind als dies in der Praxis tatsächlich notwendig ist. Hinzu kommt der Kostenfaktor: 15.000 € Zusatzkosten für ein System mit kontrollierter Wohnraumlüftung inklusive Wärmerückgewinnung sind keine Seltenheit – und das pro Wohneinheit.

Angemessenere Ansätze kämen mit meist noch vertretbaren 6.000 € aus. Die Folge: Es wird mit Fensterlüftung oder aber mit Abluftanlagen, angelehnt an bzw. nach DIN 18017-3 „Lüftung von Bädern und Toilettenräumen ohne Außenfenster mit Ventilatoren“, gearbeitet.

In der DIN 1946-6 sucht man bisher vergeblich nach Angaben darüber, wie sich normales Fensterlüften – auch in Kombination mit Lüftungsanlagen – in die vorgeschriebenen Berechnungen integrieren lässt. Denn die DIN 1946-6 fordert bei Verwendung einer ventilatorgestützten Lüftung, diese nach Nennlüftung auszulegen. Eine Ergänzung durch Fensterlüftung ist bislang noch nicht vorgesehen.

Aus TÜV SÜD-Sicht sollte die Wohnraumlüftung grundsätzlich individuell betrachtet und dann auch so geplant werden. Und zwar mit Fokus auf die jeweils bauphysikalischen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen, auch wenn eine Norm diese noch nicht abbildet. Das Planen der Lüftung ist nichts anderes als das Erstellen eines Lüftungskonzepts. Das kann in einfachen und klaren Situationen teils mit einem Satz vollständig formuliert sein: „Für die vorliegende Wohnung oder das Schlafzimmer reicht die Fensterlüftung durch den Nutzer aus.“

Unter Experten gilt die Norm DIN 1946-6 aufgrund offener und teils widersprüchlicher Passagen mindestens in entscheidenden Teilen nicht als anerkannte Regel der Technik. Daher sollte die Planung allenfalls in Anlehnung an die Norm DIN 1946-6 erfolgen und stattdessen zum Beispiel DIN Fachbericht 4108-8 Berücksichtigung finden.

Belüftung bei Lärmbelastung

Ein besonderer Fall stellt die Erstellung eines Lüftungskonzeptes für Räume dar, in denen über längere Zeitintervalle die Fenster geschlossen bleiben müssen. Dies gilt zum Beispiel für Schlafräume in lärmbelasteten Umgebungen, die über Nacht eine Öffnung und auch die übliche Kippstellungen der Fenster nicht zulassen.

TÜV SÜD hat die Pläne zur Lüftung von Schlafräumen in Gebäuden eines Wohngebiets in Flughafennähe bewertet und hierzu ein Gutachten erstellt. Die Ausgangslage: Schallschutzmaßnahmen waren geplant, hier insbesondere der Einbau luftdichterer Fenster und evtl. weitere Baumaßnahmen, die die Gebäudehülle abdichten. Da sich das Wohngebiet unweit der Einflugschneisen befindet, sind mehr als 10.000 Wohneinheiten von den geplanten Umbaumaßnahmen betroffen.

In den Schlafräumen wurden mechanische Zuluftgeräte eingebaut bzw. waren diese vorgesehen. Es galt zu beurteilen, inwieweit eingebaute Schalldämmlüfter die Fensterlüftung eines Schlafzimmers ersetzen kann. Das Ergebnis: Bei dieser Art von Belüftung rückt aus bauphysikalischer Sicht die Abluftführung in den Vordergrund. Denn die Gefahr besteht, dass die über Schalldämmlüfter zugeführte Luft Feuchtigkeit aus den Schlafzimmern in andere Räume der Nutzungseinheit gelangt. Dort können Feuchteschäden entstehen.

Soll die Abluftführung nun über vorhandene Luftundichtigkeiten erfolgen oder über eine nachträgliche Luftdurchführung, wie extra gebaute Außenluftdurchlässe? Auch hier hilft die DIN 1946-6 mit ihren Tabellenwerten und vereinfachenden Formeln nicht weiter, weil wichtige Rahmenbedingungen nicht berücksichtigt werden. Ein Bespiel: Das Thema des Luft- und Feuchtetransportes (Konvektion) und des damit eventuell verbundenen Anfallens von Tauwasser auf kalten Bauteilen wird nicht explizit „bearbeitet“. Die TÜV SÜD-Experten empfehlen, extra Abluftmöglichkeiten zu schaffen. In der Summe wäre es im vorliegenden Fall günstiger, dezentrale Lüfter mit Wärmerückgewinnung einzubauen, die Zu- und Abluft druckneutral für einen Raum herstellen.

Leitlinie für die Zukunft

Rein technisch gesehen muss bei jedem Neubau und jeder Baumaßnahme bzw. Veränderung, die einen bestimmten Umfang überschreitet, ein Lüftungskonzept erstellt werden. TÜV SÜD Industrie Service empfiehlt situationsbezogen zu planen und dabei alle beteiligten Gewerke fachübergreifend einzubeziehen.

Die Erstellung eines Lüftungskonzepts sollte aber nur in Anlehnung an DIN 1946-6 erfolgen. Eine zu enge Auslegung der Norm führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu unverhältnismäßigen und nicht wirtschaftlichen, in häufigen Fällen mindestens zu energetisch schlechten Lösungen. Ein kritischer Punkt ist die mögliche Überdimensionierung von Lüftungssystemen, die durch fehlende Angaben zur Kombination von normalem Fensterlüften mit automatisierten Lüftungsanlagen verursacht wird. In der derzeit anstehenden Überarbeitung der Norm wird dieser Punkt bereits diskutiert.

Rein technisch gesehen muss bei jedem Neubau und jeder Baumaßnahme bzw. Veränderung, die einen bestimmten Umfang überschreitet, ein Lüftungskonzept erstellt werden.

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