Die Quartiersebene
als Hoffnungsträger?

In der Diskussion um die energetische Moder­nisierung der Gebäudebestände rückt das städtische Quartier als Ebene zwischen der Stadt und dem Einzelgebäude in den Fokus der Aufmerksamkeit. Bis 2050 soll der Ausstoß von CO2 um 80 % reduziert werden. Zentralen Fokus nimmt dabei die energetische Modernisierung von Bestandsgebäuden ein. In den vergangenen Jahren hat der Quartiersbezug bei Maßnahmen energetischer Aufwertung an Bedeutung gewonnen. Hier sollen Effizienz- und Energieeinsparpotenziale erschlossen werden, die sich aufgrund von Synergien gegenüber Einzelmaßnahmen am Gebäude ergeben. Einen entscheidenden Einfluss übt die Eigenart des städtischen Quartiers aus. Neben den technischen Möglichkeiten ist das tatsächliche Potenzial der energetischen Aufwertung ebenso durch organisatorische Anforderungen charakterisiert.

Technisches Potenzial: Jedes Quartier besitzt unterschiedlich hohe Effizienz- und Einsparpotenziale. Für die Erschließung der physisch-technischen Potenziale sind vor allem der Gebäudebestand, die Bebauungsform, die Wärmeverbrauchsdichte, die vorhandene technische Infrastruktur, die Flächenpotenziale erneuerbarer Energien (bsp. Passive- und Aktive Solarenergie, Erdwärme) sowie deren Entwicklungsperspektiven von Bedeutung.

Je nach Ausgangssituation lassen sich unterschiedliche energetische Aufwertungspotenziale zuordnen. Eine lockere und durchgrünte Bebauung, wie sie u. a. in Ein- und Zweifamilienhausbebauungen zu finden ist, zeichnet sich durch ein erhöhtes Nutzungspotenzial von Solarenergie, oberflächennaher Erdwärme und der Verwertung von Biomasse von Gartenabfällen und Landschaftspflege aus. Für eine Aufwertung dieser Bebauungsformen eigenen sich, vor allem unter Berücksichtigung zukünftiger Entwicklungen, eher einzelne dezentrale vor Ort befindliche Versorgungslösungen (Erdwärmesonden, Kleinstwärmenetze mit (Mini)BHKW, solare Trinkwarmwassernutzung). Dem gegenüber eignen sich verdichtete Bebauungsformen mit hoher Wärmeverbrauchsdichte, bsp. die Mehrfamilienhausbebauung in Blockform, besonders für Wärmenetze (Nah- und Fernwärme).

Nutzenmischung von Gewerbe und Wohnen

Besonders attraktiv ist hier die Erschließung von Effizienzpotenzialen, die sich aufgrund von Synergien durch eine Nutzenmischung von Gewerbe und Wohnen ergeben. Eine zukünftige Verringerung des Wärmeverbrauchs führt zwar auch hier zu einer sinkenden Wärmeverbrauchsdichte, dennoch bietet – nach Anpassung aller Komponen­ten (Technische Infrastruktur, Wärme­ver­sorgungssysteme usw.) – auch dann ein Wärmenetz immer noch eine geeignete und effiziente Lösung. Erste Analysen mittels Bebauungstypen können Anhaltspunkte und Erkenntnisse für mögliche Potenziale, Hemmnisse und Lösungsansätze liefern, ersetzen jedoch nicht die eingehende Detailuntersuchung für ein Gebiet. Dennoch können damit direkt zu Beginn erste richtungsweisende Erkenntnisse zur Steigerung der Effizienz des Gesamtsystems aufgedeckt werden.

Weiche Standortfaktoren

Das energetische Aufwertungspotenzial wird nicht allein von Faktoren physisch-technischer Beschaffenheit der Gebäude sondern auch von weichen Standortfaktoren bestimmt. Die technischen Aufwertungspotenziale am Einzelgebäude aber auch auf Quartiersebene erschließen sich nur im Kontext Akteur bezogener Einflussfaktoren. Diese können massive Umsetzungsbarrieren darstellen, obgleich das technische Effizienzpotenzial sehr Erfolg versprechend ist.

Eine Quartiersbefragung im Rahmen des Forschungsprojektes Energetische Aufwertung und Stadtentwicklung (EASE) untersucht die Modernisierungsbereitschaft und Akzeptanz energetischer Modernisierungsmaßnahmen in unterschiedlichen Quartieren (http://www.ioer.de/projekte/aktuelle-projekte/p-308). Die Struktur der Eigentumsverhältnisse stellt einen zentralen Faktor bei der Bestimmung der Modernisierungsbereitschaft dar. Diese weisen im städtebaulichen Strukturtyp der Mehrfamilienhausbebauung in der Regel ein heterogenes Bild auf.

Der Bestand beträgt in Deutschland 3 Mio. Gebäude mit 21 Mio. Wohnungen. Rund 30 % davon sind in Besitz von Wohnungsunternehmen. Dieser Bestand weist mit Abstand die größte energetische Modernisierungsaktivität auf. Gründe hierfür sind vor allem ihre wirtschaftliche Professionalität und Handlungsfähigkeit, sowie der Zugang öffentlicher Fördermöglichkeiten, welche hier quantitativ besser greifen können.

70 % der Mehrfamilienhausbebauung, welche im Besitz von Kleinvermietern und Wohneigentumsgemeinschaften sind, weisen eine deutlich geringere Aktivität auf. Die Bereitschaft zur energetischen Modernisierung wird in diesen komplexen Eigentumsverhältnissen häufig von Umsetzungsbarrieren, wie unterschiedlichem Investitionsverhalten, finanziellen Möglichkeiten und konkurrierenden Interessen begleitet.

Der hohe Anteil kleinteiliger Eigentumsverhältnisse mit nachweislich rückständigen Modernisierungsraten ist eine Chance, verlangt aber neue Ansätze und Konzepte. Die Möglichkeiten öffentlicher Förderung erschließen sich Kleinvermietern und Eigentümergemeinschaften auf Quartiersebene oft nur mühsam. Der städtebauliche Strukturtyp der Ein- und Zweifamilienhäuser ist demgegenüber von einer relativ einfachen Struktur der Eigentumsverhältnisse geprägt. Der häufig selbstnutzende Eigentümer ist auch der Entscheidungsträger, wenn es um die energetische Aufwertung seiner Immobilie geht. Gleichzeitig ist diese Gruppe von Eigentümern auf Quartiersebene betrachtet differenziert zu sehen. Eigentümer agieren als Individuum, die sich z.B. aufgrund ihrer persönlichen Einstellung zu energetischen Modernisierungsmaßnahmen oder ihrem Investitionsvermögen unterscheiden.

In Deutschland gibt es 14,9 Mio. selbst genutzte Ein- und Zweifamilienhäuser mit 19 Mio. Wohnungen. Da dieser Strukturtyp hohe Effizienzpotenziale mit Maßnahmen am Einzelgebäude aufweist, ist diese Eigentümer-Gebäude-Konstellation auf Quartiersebene aufgrund des zu erreichenden Einspareffektes von großer Relevanz. Für die Entwicklung der vielfach beschworenen Synergien auf Quartiersebene aber eher sperrig.

Fazit

Die mit der energetischen Modernisierung von Quartieren verknüpfte Hoffnung auf Synergieeffekte wird sich in der Praxis auf ein sehr kleines Segment des Gebäudebestandes beziehen. Für Eigenheimstandorte sind vor allem die Maßnahmen am Einzelgebäude aus technischer und organisatorischer Sicht erfolgversprechend. Für Mehrfamilienhausquartiere sind zwar prinzipiell technische Synergiepotenziale möglich, aber in der Praxis ist auch hier eine Eingrenzung aus organisatorischen und eigentumsstrukturellen Aspekten auf 30–40 % der Bestände zu erwarten. Die Raumwärmebedarfe in Deutschland werden derzeit zu 66 % von Ein- und Zweifamilienhäusern verursacht. Bezieht man die obige Einschätzung auf die Raumwärmebedarfe, so bieten lediglich 11–15 % des Raumwärmedarfes des Bestandes überhaupt erschließbare Synergiepotenziale für die energetische Quartiersertüchtigung. Das Potenzial der Einzelmaßnahmen am Gebäude – sozusagen am anderen Ende des Systems – lastet zu 70 % auf den Gebäudehüllflächen der Ein- und Zweifamilienhausbestände (Gesamtwohngebäude-Hüllflächen in Deutschland = 100 gesetzt).

Professionelle Wohnungsunternehmen haben ihre Bestände weitgehend modernisiert, so dass bei einem Sanierungsstand von 50 % nur noch bis zu 10 % im Mehrfamilienhausbereich für eine energetische Modernisierung zur ­Verfügung steht. Der Erfolg der avisierten Energiewende im Wohngebäudebereich wird somit von der Modernisierungsbereitschaft der Ein- und Zweifamilienhausbesitzer abhängen.

Jedes Quartier besitzt unterschiedlich hohe Effizienz- und ­Einsparpotenziale.

Die Möglichkeiten öffentlicher Förderung ­erschließen sich Kleinvermietern und Eigentümer­gemeinschaften auf Quartiersebene oft nur mühsam.

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