Flächenbegrünung

Grünflächen statt Hitzeinseln

Noch ist die Flächenbegrünung in Wohnquartieren als Anpassungsmaßnahme an den Klimawandel ein Nischenthema. Doch das ändert sich gerade. Denn klimagerecht bepflanzte Grünflächen verbessern das Mikroklima und bei entsprechender Gestaltung auch das soziale Miteinander. Zwei Wohnungsunternehmen zeigen, was möglich ist.

In Wörth am Rhein ist Extremhitze im Sommer nicht bloß ein vorübergehendes Wetterphänomen. Anhaltend hohe Temperaturen über 30 Grad Celsius sind in der knapp 20.000 Einwohner zählenden Kleinstadt umweit der Landesgrenze Rheinland-Pfalz zu Baden-Württemberg zwischen Juni und August infolge des Klimawandels längst die Regel. Die Belastung ist für die Menschen inzwischen so groß, dass im Daimler-Konzern am Standort Wörth seit Juni 2021 die erste, jemals formulierte Betriebsvereinbarung zur Sommerhitze gilt. Dernach stehen den Mitarbeitenden kurze Pausen zur Erholung zu.

Ob das ausreicht, bleibt abzuwarten. Denn die Region Oberrheingraben, in der Wörth liegt, gehört nach einer Studie des Bundes und der Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen zu den Hotspots klimatischer Veränderungen in Deutschland[1]. Hitze ist jedoch nicht das einzige Extremereignis, auf das man sich dort einstellt. Auch Starkregen und Trockenperioden sind zu bewältigen. Um das Mikroklima zu verbessern, setzt die Stadt unter anderem auf die Begrünung von Dächern, Fassaden und Vorgärten[2]. Darüber hinaus wird im Rathaus überlegt, bei Neubauten standardmäßig eine Dachbegrünung einzuführen.

Bäume als natürliche Klimaanlage

Ergänzend dazu bietet sich eine klimagerechte Bepflanzung von Frei- und Brachflächen an, um den städtischen Hitzeinsel-Effekt - auch Urban Heat Island (UHI) Effect genannt - zu reduzieren. Laut einer Analyse der Universität Boston hängt die Entstehung von Wärmeinseln in Städten vor allem von der vorhandenen Vegetation und Bodenfeuchte ab: Je mehr Wasser, Pflanzen und unversiegelte Bodenfläche es gibt, umso mehr Verdunstung und folglich Verdunstungskälte entstehen[3].

Unlängst investierte die kommunale Wohnbau Wörth, die mit 850 bewirtschafteten Mietwohnungen die größte Wohnraumversorgerin der Stadt ist, in die Begrünung der Brachfläche vor ihrer Wohnsiedlung an der Richard-Wagner-Straße. Das 2.000 Quadratmeter große Gelände, auf dessen vertrockneter Wiese ein Sandkasten und ein in die Jahre gekommenes Schaukelgerüst standen, bekam im Frühjahr 2023 eine Generalüberholung nach Plänen von RAIBLE Landschaftsarchitekten + Ingenieure AKRP in Mainz. Die bisher ebenerdige Fläche wurde zu einer Hügellandschaft modelliert und mit 21 jungen Bäumen (jeweils sieben Exemplare der Sorte Amber, Bergkirsche und Feldahorn) bestückt, die durch ihr Kronendach zukünftig nicht nur Schatten spenden, sondern auch die Luft abkühlen.

Eine Studie der ETH Zürich ergab nach dem Vergleich der Oberflächentemperaturen von Grünzonen mit und ohne Bäumen in 293 europäischen Städten, dass baumbestandene Gebiete - etwa in Wien - im Sommer durchschnittlich um elf Grad Celsius kühler sind als baumlose[4]. Demnach dürfte der Abkühlungseffekt mit zunehmender Baumgröße und wachsendem Blätterwerk auf der neugestalteten Freifläche noch spürbarer werden.

Zur Gebäudeseite fassen Fliedersträucher das Areal ein. Straßenseitig sorgen sonnenverträgliche Pflanzen wie Mönchspfeffer, Hibukus, das großkelchige Johanniskraut, Schnellball sowie Pfeifen- und Erdberrsträucher für Duft und Farbe und bieten ohnedrein Lebensraum für Vögel und Insekten. „Um die Pflege kümmert sich unser Grünteam“, sagt Petra Pfeiffer, Geschäftsführerin der Wohnbau Wörth, die von dem Konzept und der Zusammenarbeit mit den Landschaftsarchitekten begeistert ist. Das Highlight sind drei unterschiedlich gestaltete Zonen, die zum Mitmachen einladen: Der Bereich „Spielen“ ist für kleinere Kinder gedacht, für die es neben diversen Spielgeräten auch einen neuen Sandkasten mit Backtisch gibt. In der „Ballspiel“-Zone, die wie eine Arena gebaut ist, kann nach Herzenslust gekickt werden. Gelegenheiten zum Verweilen und Plauschen bietet die mittlere Fläche mit einigen Tisch-Sitz-Kombinationen. „Wir sind gespannt, wie die Mieterinnen und Mieter das neue Konzept annehmen.“

Blaupause für naturnahe Wohnquartiere

Rund 100 Kilometer nördlich von Wörth, im südhessischen Langen, schuf die Baugenossenschaft Langen zusammen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Wohnquartiers an der Elbestraße 11 bis 13 einen naturnahen Aufenthaltsort mit Pioniercharakter. Auf rund 1.000 m² entstand der im Frühjahr 2023 eingeweihte „Floripark“, der eine triste Rasenfläche zwischen drei Bestandsgebäuden in eine blühende Gartenlandschaft verwandelt. Bei einer gemeinsamen Pflanzaktion kamen 11.000 heimische Blumenzwiebeln, Knollen, Stauden und Pflanzen in die Erde und über ein Kilo Wildblumensamen wurden ausgesäht.

„Um die Artenvielfalt zu fördern, haben wir heimische Pflanzen gewählt, die auch mit längeren Trockenphasen gut zurecht kommen und den häufig sehr spezialisierten Wildbienen und Insekten als Nahrungsquelle und Nistplätze dienen“, sagte Wolf-Bodo Friers, Vorstandsvorsitzender der Baugenossenschaft anlässlich der Einweihung. Neben den bereits vorhandenen Felsenbirnen blieb die Schaukel erhalten, die jetzt einige Meter versetzt steht. Überdies gesellten sich zu den drei Bänken weitere Sitzgelegenheiten hinzu. Den Entwurf des Parks, in den die Baugenossenschaft 120.000 Euro aus Eigenmitteln investierte, lieferte die Naturgartenplanerin Eva Distler, die schon zahlreiche Frei- und Brachflächen durch Bepflanzung aufwertete. Die Gestaltung übernahm der Garten- und Landschaftsbauer Jürgen Schmidt. Ebenfalls von Beginn an war der NABU Langen-Egelsbach mit eingebunden.

Parkkonzept verbessert Klima und Miteinander

Bei der Umsetzung ließ sich die Baugenossenschaft vom Konzept sogenannter „PikoParks“[5] inspirieren. Dahinter steckt die Idee, mittels naturnah gestalteter und gepflegter Freiflächen in Wohnquartieren einen Treffpunkt zu schaffen, wo Menschen durch gemeinsames Gärtnern miteinander ins Gespräch kommen. Zugleich soll die klimagerecht bepflanzte Fläche dem urbanen Hitzeinseleffekt entgegenwirken. „Durch den Floripark sorgen wir für eine Abkühlung in der Nacht und für schattige Aufenthaltsplätze am Tag“, so Friers. Denn wie in Wörth, leiden auch die Menschen in Langen unter zunehmender Hitze.

In 2018 etwa gab es der kürzlich erschienenen Broschüre „Extreme Wetterereignisse in Hessen“ zufolge zwischen Ende Juli und Anfang August 17 Tage mit Temperaturen über 30 Grad Celsius, an acht Tagen davon stieg das Thermometer sogar auf mehr als 35 Grad Celsius[6]. Auch Mitte September und Oktober wurden neue Hitzerekorde gemessen. Gleichzeitig steigt das Risiko von Starkniederschlägen, die schlimmstenfalls zu Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen (Straßen, Schienen, Stromleitungen, etc.) führen, die zu beheben erhebliche Kosten veursacht.

Eine aktuelle Studie der Bundesregierung kommt zu den Ergebnis, dass mindestens 145 Mrd. Euro Schäden zwischen 2000 und 2021 durch die Folgen des Klimawandels entstanden sind[7]. Je nachdem, wie der Klimawandel fortschreitet, könnten die zukünftigen Kosten bis 2050 zwischen 280 und 900 Mrd. Euro liegen, so die Schätzung. Darin enthalten seien noch nicht die zahlreiche gesundheitliche Beeinträchtigungen, Todesfälle durch Hitze und Überflutungen, die Belastung von Ökosystemen, der Verlust von Artenvielfalt und eine schlechtere Lebensqualität.

Eine Lösung für zwei Herausforderungen

Angesichts der Vorteile für Mensch und Natur, dürfte die klimagerechte Begrünung von Brachen und Freiflächen in Wohnquartieren zur Anpassung an den Klimawandel perspektivisch wohl eher zur Regel werden als die Ausnahme bleiben. Führen die naturnah gestalteten Grünflächen durch integrierte Spiel- und Interaktionsmöglichkeiten überdies zur Stärkung des sozialen Miteinanders, wie in Wörth und Langen, lösen Wohnungsunternehmen bestenfalls gleich zwei Herausforderungen mit einem Projekt. Die Farbe Grün ist nicht umsonst ein Hoffnungsträger.

[1] www.klimawandel-rlp.de/de/mediathek/produkte/

[2] www.woerth.de/sv_woerth/Klimaschutz/Klimaschutzkonzept/

[3] www.science.org/doi/10.1126/sciadv.aau4299

[4] www.nature.com/articles/s41467-021-26768-w

[5] www.treffpunkt-vielfalt.de/info-material.html

[6] www.hlnug.de/themen/klimawandel-und-anpassung/aktuelles-termine/neu-erschienen-extreme-wetterereignisse-in-hessen

[7] www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/→→kosten-klimawandel-2170246

Lesetipp

Entscheiderbroschüre “Treffpunkt Vielfalt – Naturnahe Gestaltung von Wohnquartieren”, herausgegeben von der Stiftung Mensch und Umwelt, gefördert durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und das Bundesamt für Naturschutz

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