Nachverdichtung

Durchgängig spannend gestaltetes Quartier

Nachverdichtung in stark gewachsenen Stadtgebieten lohnt sich. Mit dem Wohnungsbau Agnes Hundoegger-Weg wurde auf dem ehemaligen Grundstück einer Gärtnerei ein heterogener Stadtblock südlich des Stadtzentrums Hannovers nachverdichtet. Geplant wurde das Projekt vom Berliner Architekturbüro SMAQ. Inzwischen hat das Bauvorhaben mehrere Auszeichnungen erhalten, beispielsweise den BDA-Preis Niedersachsen 2023.

Der Block besteht aus dem Schulareal der Freien Waldorf Schule, ein- und zweigeschossigen Einfamilienhäusern sowie Geschosswohnungsbauten der 1970er und 1990er Jahre und den verbliebenen Gebäuden der Gärtnerei. Die Experten haben damit auf etwa 5.400 Gesamtgrundfläche insgesamt 63 neue Wohnungen geschaffen.

Alt und neu zusammengerückt

Das Gebäudeensemble bildet in dem Siedlungs-Gelände ein raumbildendes Gewicht, das die sehr unterschiedlich verteilte und gestaltete Umgebung neu zusammenbindet. Durch die attraktive Gestaltung integriert sich das Ensemble in den baulichen Kontext, durch die kubische Form dagegen bewahrt es dennoch seine Eigenständigkeit. Der Entwurf stammt von Sabine Müller und Andreas Quednau. Die Projektleitung im Architekturbüro übernahm Daniel Gross.

Vier kompakte Baukörper

Vier kompakte, viergeschossige Baukörper sind jetzt frei im Raum zwischen dem Gebäudebestand der Umgebung platziert und so aneinandergerückt, dass drei von ihnen teilweise miteinander verschmelzen. Mit einem Quartiersplatz als Entree, drei offenen Gartenhöfen und einem Spielplatz entstanden kommunikative Freiräume für die Bewohner und mit einem öffentlichen Weg auch Anschluss an das gesamte Quartier.

Umgebung einbezogen

Die Umgebung mit ihren ein- und zweigeschossigen Einfamilienhäusern sowie Geschosswohnungsbauten der siebziger und neunziger Jahre und den verbliebenen Gebäuden der Gärtnerei wurde als Begrenzung der neu geschaffenen Räume einbezogen. Der Wohnungsmix war durch den Auftraggeber, die Theo Gerlach Wohnungsbau-Unternehmen GmbH & Co. KG aus Hannover, in der Wettbewerbsauslobung vorgegeben. Die Kubatur und der strukturelle Ansatz wurden im Wettbewerb erarbeitet und blieben bis zum Einzug der Bewohner stabiles Gerüst. 

Spannend war im Prozess, dass sich eine Wohngruppe bildete, die heute in interaktiver Nachbarschaft agiert. Die Entstehung der Wohngruppe „mittendrin“ entwickelte sich während der Planungsphase. Grundrisse und Wohnungsschaltungen konnten iterativ angepasst werden. „Die Wohngruppe ist ein Gewinn für die gesamte Nachbarschaft, sie organisiert Aktivitäten und Feste an denen auch die BewohnerInnen der näheren Umgebung teilnehmen“, berichten die Beteiligten.

Prägnante Bauten auf ungewöhnlichem Grundstück

Die Akzente des entstandenen Wohnblocks auf dem ungewöhnlichen Grundstück sind untypisch, da er bezüglich der Haupterschließung in der zweiten Reihe eines sehr heterogenen Blocks liegt. Die Bauaufgabe ließ sich deshalb auch nicht mit klassischen städtischen straßenständigen Typologien beantworten. Ausgangspunkt war stattdessen die Typologie des freistehenden Punkthauses als vier jeweils viergeschossige Kuben, die aufgrund des Grundstückszuschnitts eng zusammengerückt werden mussten. Das führte in der Planung zur Formulierung einer ungewöhnlichen und prägnanten Konfiguration mit teilweise verschmelzenden Kuben.

Viele Inspirationen

Dem Projekt liegen viele – auch widersprüchliche – Inspirationen zugrunde. Als herausragende Grundlage diente die Kolonnade als städtisches Motiv. Diese verwirklichte Kolonnade verbindet hier Hofräume und Eingänge der Baukörper miteinander und ist ein witterungsgeschützter Treffpunkt für Begegnungen innerhalb der Gemeinschaft und heterogenen Bewohnerschaft.

Andere und teilweise radikale Ausgangspunkte fanden die Planer beim Vorbild „Sol LeWitt“ im Umgang mit dem Raster als durchdringende Ordnung, aber auch im informellen Bauen mit der Fähigkeit Fehler in der Systematik und typologische Uneindeutigkeiten als Raum- und nutzungsbildende Chance zu nutzen.

Ein weiterer Impuls waren die Backsteinbauten der 1980er- und 1990er-Jahre der Umgebung, überzeugend in ihrer Handwerklichkeit, Solidität und ihrer Fähigkeit zu altern.

Neben zwölf Eigentumswohnungen in einem Gebäude wurden im dreiteiligen Baukörper vor allem kostengünstige, aber hochwertige geförderte Mietwohnungen verwirklicht. Die Anmutung der Baukörper unterscheidet jedoch bewusst nicht zwischen Wohnverein, Wohnungseigentum und sozialgefördertem Wohnungsbau. 

Wohnungsgrößen bis 115 Quadratmeter

Die Wohnungsgrößen reichen von Eineinhalb- bis Vier-Zimmer-Wohnungen mit 45 bis 115 Quadratmetern. Ein Baukörper wird vollständig von einer inklusiven und generationenübergreifenden Wohngruppe bewohnt, die unter anderem jungen Menschen mit Handicap ein selbstbestimmtes Leben in betreuten Wohngemeinschaften ermöglicht. Eine Gemeinschaftswohnung unterstützt das Miteinander aller Bewohner*innen.

Viel Flexibilität

Die Gebäude überraschen mit vielen ungewöhnlichen Gestaltungsmerkmalen. Hinter der strikten Struktur und dem Fassadenraster versteckt sich besonders viel Flexibilität. Alle Wohnungen haben großzügigen Frei- und Außenräume und sind dank der vielen großen Fenster besonders hell. Die Planung ermöglichte eine individuelle Grundrissgestaltung und – im Falle einer Nutzungsänderung – unkomplizierte und schnellen Umbauten, da die Decken vom zentralen Erschließungskern und Versorgungsring jeweils bis zur Fassade frei spannen.

Jeder Baukörper ist ringförmig um einen kommunikativen, zentral angeordneten und von oben belichteten Treppenraum aufgebaut. Dieses zentrale Treppenhaus aus Stahlbeton bekam jeweils über alle Stockwerke eine Zone mit Nebenräumen und Schächten. Daran schließen sich die Zimmer an. Diese Bereiche wurden bis zur Fassade freitragend überspannt und ermöglichten die flexibel schaltbaren Grundrisse. In den Überschneidungen der Baukörper liegen jeweils große Vier-Zimmer-Wohnungen mit einer 40 Quadratmeter großen Wohnküche als Verknüpfung, die zu zwei Gartenhöfen ausgerichtet ist.

Sämtliche Fassadenöffnungen sind als raumhohe Fenstertüren ausgeführt, die sich zu den Balkonen, Terrassen oder Austritten öffnen, so dass jede Wohnung über großzügige Freibereiche verfügt. Im Untergeschoss verbindet eine Tiefgarage mit Autostellplätzen und Abstellboxen für Radfahrer alle Baukörper und Aufgänge miteinander.

Gemeinsame Sache

An die Hauseingänge schließen sich geschützte halböffentliche Aussenräume an. Eine offene Halle und die Kolonnade sind Treffpunkte informeller und gemeinschaftsfördernder Begegnungen der Bewohner. So ergaben sich von Anfang an Treffen, Gespräche und fortlaufender Austausch untereinander. Es entstand eine Kommunikations-Kultur, aus der inzwischen ein stabiles soziales Netzwerk gewachsen ist.

Fassade Klinker

Durch die Klinker-Fassade fügt sich das Gebäudeensemble in die Umgebung perfekt ein und behält dennoch durch die klare kubische Form seine Eigenständigkeit. Die Fassade beginnt erst kurz über dem Boden. Somit scheint das Gebäudeensemble wenige Zentimeter über dem Boden zu schweben und lediglich an das mit dem Terrain festverbundene Eingangsplateau angeknüpft zu sein. Die Verfugung der Vormauerziegel in einem attraktiven Rot-Ton stärkt den monolithischen Ausdruck der Baukörper. Durch eingerückte Felder und herausgerückte Kopfsteine in der Fassade macht das wandernde Sonnenlicht den Ausdruck mit Licht und Schatten markanter.

Anteilig gefördert....

Die Mietwohnungen sind zu 40 % öffentlich gefördert, die restlichen 60 % für mittlere Einkommensschichten geeignet. Die Bauten sind im KfW Effizienzhaus 55 – Standard errichtet.

... und ausgezeichnet

Auszeichnungen:

- Niedersächsischer Staatspreis 2020

- Deutscher Architekturpreis 2021

- Deutscher Ziegelpreis 2021 (Anerkennung)

- Heinze ArchitektenAWARD 2022 – Sonderpreis Design

- BDA-Preis Niedersachsen 2023.

Insgesamt entstand in gewachsenem Umfeld eine perfekt integrierte Wohnanlage mit ansprechendem Erscheinungsbild. Das mit verschiedenen Preisen ausgezeichnete Projekt zeigt, wie gut Nachverdichtung durch effiziente Neubauten gelingen kann.

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