100 Tage Bundesregierung: Kommt da noch was?

Poroton-Geschäftsführer Clemens Kuhlemann: Warum wir uns von der „EnEV-Denke“ lösen müssen

Das mehrfach preisgekrönte Bürogebäude von
Baumschlager Eberle Architekten in Lustenau
kommt ohne Heizung, technische Lüftung und Klimatisierung aus.
Foto: Deutsche Poroton / Christoph Große

Das mehrfach preisgekrönte Bürogebäude von
Baumschlager Eberle Architekten in Lustenau
kommt ohne Heizung, technische Lüftung und Klimatisierung aus.
Foto: Deutsche Poroton / Christoph Große
Die Bundesregierung muss bis Ende des Jahres das Gebäudeenergiegesetz GEG in trockene Tücher bringen. Eine bloße Weiterführung des Bestehenden genüge nicht, um die selbstgesteckten Klimaschutzziele bis 2050 zu erreichen, meint Poroton-Geschäftsführer Clemens Kuhlemann. Er fordert: Es müssen deutlich mehr Anreize für die energetische Sanierung und den Ersatzneubau geschaffen werden.

„Außer unrealistischen Absichtserklärungen hat sich seit der Bundestagswahl im September 2017 in der Wohnungsbaupolitik leider noch nicht viel getan. Zu diesem Fazit muss man nach 100 Tagen neuer Bundesregierung kommen. Die Ankündigung der Bundeskanzlerin, bis zum Ende der Legislatur, also bis 2021, 1,5 Mio. neue Wohnungen bauen zu wollen, können Baufachleute nicht wirklich ernst nehmen. Selbst im Boom-Baujahr 2017 wurden nur knapp 300 000 Wohnungen fertiggestellt, 100 000 unter Bedarf. Schnelles und entschlossenes Handeln tut not, auch weil die Bundesregierung bis Ende 2018 eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben der letzten Jahre umsetzen muss.

Wir brauchen einen einfachen, zielorientierten Ansatz für alle Gebäudetypen

Poroton-Geschäftsführer Clemens Kuhlemann
fordert: Um bis 2050 einen klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen, muss es deutlich
mehr Anreize für Sanierung und Ersatzneubau
geben.
Foto: Deutsche Poroton / Fotostudio Heuser

Poroton-Geschäftsführer Clemens Kuhlemann
fordert: Um bis 2050 einen klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen, muss es deutlich
mehr Anreize für Sanierung und Ersatzneubau
geben.
Foto: Deutsche Poroton / Fotostudio Heuser
Das Gebäudeenergiegesetz, das die bisherigen Regelungen zum Energie- und Wärmeverbrauch von Gebäuden zusammenfasst, hätte bereits am 1. April 2017 in Kraft treten können, wenn es nicht durch parteipolitischen Poker noch zu Fall gebracht worden wäre. Nun muss es kommen, weil die EU die Definition eines Niedrigstenergiegebäudes pro Mitgliedsland ab 2019 einfordert.

Eine große Chance, noch einmal über den bisherigen Entwurf nachzudenken. Denn im Grunde fasst dieser die bestehenden Regelungen zusammen und führt die EnEV-Denke weiter: Die Ausstellung von Energieausweisen durch theoretisch errechnete Primärenergieverbräuche. Positiv ist in diesem Zusammenhang, dass im Koalitionsvertrag keine Verschärfung der derzeit gültigen EnEV als Ziel definiert wurde. Dazu später noch mehr.

Was wir brauchen, ist ein zielorientierter, Ansatz, der sich an den tatsächlichen, nachprüfbaren Emissionen eines Gebäudes über den gesamten Lebenszyklus orientiert. Der Klimaschutzplan der Bundesregierung sieht gemäß Pariser Klimaschutzabkommen vor, dass Deutschland und sein Gebäudebestand bis 2050 klimaneutral werden. Da liegt es auf der Hand, dem Gebäudebereich Zielvorgaben zu machen, die auf dieses Klimaschutzziel angepasst sind. Die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen DGNB hat in diesem Sinne bereits im Februar eine auf drei Seiten eingedampfte Alternative GEG 2050 zur derzeit aktuellen Version mit knapp 150 Seiten vorgestellt.

Das Ziel ist entscheidend, nicht der Weg dahin

Das Geniale an einem solchen Ansatz ist einerseits die Technologieoffenheit: Wenn es nur noch um die Erreichung eines Ziels in einer bestimmten Zeit geht und nicht mehr um die Definition des Wegs dahin, dann ist es den Marktpartnern überlassen, wie sie dieses Ziel effizient erreichen. Damit wäre dem permanent wiederkehrenden Drang der Politik und mancher Verbände ein Riegel vorgeschoben, sich für bestimmte Bauweisen oder Technologien stark zu machen. Genial ist ebenso, dass mit diesem Ansatz keine Unterscheidung der Gebäudetypen mehr notwendig ist.

Baufachleute wissen: Der EnEV-Drops im Neubaubereich ist spätestens mit Inkrafttreten der EnEV ausgelutscht, weil seither minimale energetische Fortschritte mit deutlichen Mehrkosten erkauft werden müssen, die wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll sind. Dagegen wird das enorme CO2-Einsparpotenzial, das im Bestand liegt, bei weitem nicht genutzt, weil die Politik nicht in der Lage ist, das Mieter-Vermieter-Dilemma zu lösen.

Was den Nichtwohngebäudebereich betrifft: Gab es in den letzten Jahren ernstzunehmende Bemühungen, hier zu signifikanten Fortschritten zu kommen? Bereits 2007 hat Prof. Norbert Fisch von der TU Braunschweig in einer Studie zu Energiekonzepten von Bürogebäuden herausgefunden, dass die Anlagentechnik für Klima und Lüftung unserer modernen Glaspaläste teuer ist. Sie erhöht den Energieverbrauch, ist für den Nutzer nicht zu beeinflussen, hilft im Endeffekt nur wenig gegen sommerliche Überhitzung und praktisch nichts gegen zu hohe CO2-Konzentration in der Raumluft.

Woher soll auch in transparenter Bauweise oder im Leichtbau die thermisch aktive Masse herkommen, die auf natürliche Weise das Raumklima reguliert – und damit Energie spart. Wäre es nicht höchste Zeit, dass wir uns mit sinnvollen Konzepten für alle Gebäudetypen auseinandersetzen?

Rückbesinnung auf einfachste bauphysikalische Prinzipien

Dazu haben sich die Architekten von Baumschlager Eberle in Österreich Gedanken gemacht und sind auf eine verblüffend einfache Lösung gekommen. Ihr mehrfach preisgekröntes, sechsgeschossiges Bürogebäude 2226 in Lustenau kommt ohne Heizung, technische Lüftung und Klimatisierung aus. Die Gebäudehülle besteht aus 76 cm starkem, zweischaligem Ziegelmauerwerk mit einer enormen thermischen Speichermasse. Einfache Lüftungsklappen in den Fensterlaibungen regulieren die Frischluftzufuhr, Sensoren überwachen die Luftqualität – einziges Zugeständnis an die Technik. Im Gebäude erzeugte Wärme bleibt drinnen, die tiefen Fensterlaibungen vermeiden eine Überhitzung bei  starkem Sonneneintrag. Übers Jahr wird so eine Innenraumtemperatur zwischen 22 und 26 °C erreicht – Grund für den Namen des Gebäudes. Nachfolgeprojekte in Deutschland sind derzeit in Planung, auch im Einfamilienhausbereich.

Mir ist bewusst, dass man Bürogebäude nicht immer und überall auf diese Weise bauen kann. Trotzdem zeigt dieses Beispiel wie wichtig es ist, sich wieder auf einfache bauphysikalische Zusammenhänge zu besinnen. So entstehen architektonisch anspruchsvolle, qualitativ hochwertige, langlebige und energetisch auf einfache Weise optimierte Gebäude. Oder einfacher ausgedrückt: Nachhaltige Gebäude.

Übrigens: Das Bürogebäude 2226 wurde ohne Grundstückskosten für weniger als 1.000 € pro m² netto erstellt. Wer will, findet Wege, wer nicht will, Gründe.“

Der dreiseitige Gesetzesentwurf der DGNB steht zum Download auf www.dgnb.de

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