Stuttgarter Symposium diskutiert Perspektiven des mehrgeschossigen Holzbaus

Nicht nur die schwäbische Metropole kennt die Herausforderungen von bezahlbaren Mieten, Nachhaltigkeit beim Bauen und die praktische Umsetzung der Energiewende. Im Vorfeld der heraufziehenden Bundestagswahl diskutiert ganz Deutschland über Strategien für die „Stadt der Zukunft“. Ein hochkarätig besetztes Symposium an der Universität Stuttgart widmete sich zwei Tage lang den Potenzialen urbanen Holzbaus.

Im Einfamilienhausbereich seit Jahrzehnten etabliert, ist der nachwachsende Rohstoff auch im mehrgeschossigen Wohnungs- und Objektbau längst über den Exotenstatus hinaus. Technisch betrachtet ist Holz ein mit Cellulosefasern bewehrter Verbundbaustoff mit großem Hohlraumanteil und deswegen das tragfähigste aller wärmedämmenden Materialien. Bei gleicher Tragfähigkeit ist es wesentlich leichter als Stahl, hat annähernd die gleiche Druckfestigkeit wie Beton und kann Zugkräfte aufnehmen.

Initiator Prof. Peter Cheret, Universität Stuttgart, schlug in seiner Einleitung einen weiten Bogen von der lebenswerten Stadt zum nachhaltigen Baustoff Holz. Gerade weil das urbane Wohnen für viele junge Familien wieder attraktiv geworden ist, dürfen die Kommunen bei der Grundstücksvergabe nicht weiterhin den Fehler begehen, zu große Baufelder an Investoren abzugeben, deren Interesse in der Profitmaximierung besteht. „Viel zu oft gestalten Bauträger, nicht die Architekten. Ergebnis der geschossweisen Aufeinanderschichtung sind austauschbare Schlafstädte ohne Leben. Für wahrhaft urbanes Leben brauchen wir wieder kleinere Parzellen mit integrierter gewerblicher Nutzung.“

Zudem machte Cheret sich für die verstärkte Nutzung von Holz stark: „Bauen mit Holz steht exemplarisch für Nachhaltigkeit. Es ist der einzige Baustoff, der Kohlendioxid einlagert, anstatt es bei der Produktion zu emittieren. Holz kann gleichermaßen im Neubau wie in der Sanierung zum Einsatz kommen und die Möglichkeit zur Vorfertigung verkürzt die Bauzeiten massiv.“

Den praktischen Beweis traten Oliver Hilt, architekturagentur Stuttgart, und Projektentwickler Matthias Korff mit ihrem spektakulären „Woodcube“ an, der vor einigen Tagen auf der IBA Hamburg eröffnet wurde. Der Fünfgeschosser mit gut 1500 m² Wohnfläche besteht mit Ausnahme des Treppenhauses komplett aus Holz und erreicht Passivhaus-Niveau. Die 32 cm dicken Massivholzwände aus Brettschichtholz wurden ausschließlich mit patentierten Holzdübeln, ohne Nägel, Klebstoffe oder Folien gestellt. Für Matthias Korff war vor allem Wohngesundheit entscheidend: „Ich hatte die Ausdünstungen in den Räumen einfach satt – ob Bauchemie, Styropor oder Plastik. Bewohner sind bei konventionellen Projekten einfach zu vielen Belastungen ausgesetzt.“ Architekt Oliver Hilt trat, wie andere Referenten auch, einem Vorurteil entgegen, dem sich die Branche immer noch ausgesetzt sieht. „Der technische Brandschutz im modernen Holzbau ist gewährleistet. Der „Woodcube“ hat problemlos die F60-Zertifizierung erhalten. Zahlreiche Tests hatten zuvor bewiesen, bei 900 °C brennt Holz nicht, es verkohlt mit einer kontrollierten Abbrandrate. Stahlträger hingegen schmelzen.“

Aus Sicht der Bauwirtschaft attestierte Michael Keller von Merk Timber aus Aichach, dem Baustoff große Chancen. „Holz hat sich bei den Baumaterialien in Deutschland als dritte feste Größe etabliert.“ Das große Potenzial des Holzbaus zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Merk Timber vor kurzem vom Baukonzern Züblin übernommen wurde. Auch alle nötigen technischen Lösungen, etwa für Hybridkonstruktionen, Systembauweisen oder unterschiedliche Grade der Vorfertigung sind ausgereift und verfügbar. Für den Bau in größeren Dimensionen als der klassischen Baugruppe bedürfe es allerdings leistungsstarker Projektsteuerer. „Ab einer bestimmten Projektgröße stoßen Bauleitung, Bauplanung und Logistik einfach an ihre Grenzen. Das lässt sich mit mittelständischen Strukturen nicht mehr kontrollieren.“

Aus der Perspektive eines der erfolgreichsten deutschen Büros hat sich die Baugruppe als Organisationsform für das Bauen in der Stadt bewährt. Tom Kaden, Büro Kaden Klingbeil, konnte in Stuttgart zahlreiche Holz-Projekte vorstellen, die dem berühmten E3 seit 2008 folgten. Während sich die Berliner Architekten bei ihren Projekten auf den Baustoff Holz konzentrieren, kennen sie konstruktiv keine Berührungsängste: „Ob Holzrahmenbau, Skelettbauweise oder Massivholz – wir nutzen den kompletten Instrumentenkasten.“ Kaden stellte in Stuttgart auch das jüngste Projekt vor - in Flensburg soll ab dem kommenden Jahr ein Ensemble von vier Wohnhäusern entstehen, darunter mit 22 m Traufhöhe auch das aktuell höchste Holzhaus der Welt.

Auch wenn Kaden die einkommensstarken Mittelschichten als primäre Zielgruppe für hochwertiges Wohnen in der Stadt sieht, darf es aus Sicht des Büros nicht nur darum gehen, für die „A-Klasse“ (Anwälte, Ärzte, Apotheker) zu bauen. Daher kommt es bei jeder Baugruppe auf eine gesunde Mischung an.

Die Tagung, ein Gemeinschaftsprojekt des baden-württembergischen Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz und der Universität Stuttgart, gab Anregungen für die Stadt der Zukunft. Die zahlreichen Praxisbeispiele zeigen, dass Architekten, aber auch zunehmend Projektentwickler und Bauwirtschaft die Potenziale entdeckt haben. Zum Symposium wurde ein Buch veröffentlicht: „Urbaner Holzbau, Chancen und Potenziale für die Stadt“ vertieft, kommentiert und stellt Praxisbeispiele vorstellt (2013, DOM publishers, ISBN/EAN: 978-3-86922-369-8, 78 €).

 
 

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