Caparol Werkstofftag 2015: Nachhaltig innovativ - Bio am Bau

Sie duftet wie Heu, wächst vier Mal schneller als Holz und kann zu Lebensmitteln sowie vielen anderen Dingen des täglichen Bedarfs verarbeitet werden: Die Rede ist von Hanf, einer der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Ingenieuren der österreichischen DAW-Vertriebsgesellschaft Synthesa ist es nach jahrelanger intensiver Forschungsarbeit gelungen, aus den nahezu reißfesten Hanffasern vollwertige Dämmprodukte zu entwickeln. Auf der Messe FARBE – Ausbau & Fassade wird Caparol das neue Capatect Hanffaser-WDVS offiziell in den deutschen Markt einführen. Die Teilnehmer des Werkstofftags 2015 konnten sich schon vorab von der Qualität der ersten kommerziell verfügbaren Hanf-Dämmplatte in einem WDVS überzeugen.

In seiner Begrüßungsansprache wies Gastgeber Dr. Ralf Murjahn gleich auf mehrere Neuentwicklungen aus dem Hause DAW hin, die das Bild der Dämmstoff- und Farbenindustrie ebenso wie das des Stuckateur- und Malerhandwerks positiv beeinflussen werden: „Bio-Produkte aus Holz und Hanf erleben am Bau eine Renaissance“, sagte er und empfahl den rund 100 Teilnehmern des Werkstofftags, sich verstärkt mit ökologischen Alternativen zu gängigen Dämmstoffen und etablierten Anstrichmitteln zu befassen. In diesem Marktsegment ist nach Einschätzung führender Marktforschungsinstitute mit einer überdurchschnittlichen Nachfragesteigerung zu rechnen.

Umso mehr freute es Dr. Murjahn, den Teilnehmern des 18. Caparol Werkstofftags eine Innovation ankündigen zu können, die einem nachhaltigen Quantensprung gleicht: das Capatect Hanffaser-WDVS. Es basiert auf einer Dämmplatte, die zu 89 % aus natürlichem Hanfstroh sowie zu elf Prozent aus synthetischem (Bicofaser-, PE-Bindefaser-) oder pflanzlichem (Maisfaser-) Stützgewebe besteht. Zur Beschichtung kommt u.a. eine Carbon-haltige Armierung in Verbindung mit einem passenden Caparol-Fassadenputz in Betracht.

Stefan Ehle, Vorsitzender des Ausschusses für Technik, Werkstoff und Umwelt (TWU) im Bundesverband Farbe Gestaltung Bautenschutz, ging auf die schwierige Situation ein, in der sich die Dämmstoffhersteller und das verarbeitende Handwerk infolge verzerrender Medienberichte über Polystyrol-basierte Wärmedämm-Verbundsysteme nach wie vor befinden. „Wir brauchen Alternativen zum EPS, auch wenn am Ende aus wirtschaftlichen Gründen überwiegend mit Polystyrol gedämmt wird. Es ist ein überaus ermutigendes Zeichen, das die DAW heute mit der Ankündigung eines völlig neuen – nachhaltigen – Fassadendämmsystems setzt. Wichtig ist für den Handwerker in jedem Fall eine Qualität, die es nicht in Verbrauchermärkten gibt.“

Mehr als ein grünes Mäntelchen

Als Moderator des Werkstofftags geschätzt und bewährt, war es an Franz Xaver Neuer, Leiter Technik bei Caparol, den Leiter des Produktmanagements der Synthesa Chemie aus Perg in Österreich als Redner vorzustellen: Schon seit Jahren befasst sich DI Gerhard Enzenberger bis ins Detail mit Fragen der Funktionalität und Dauerhaftigkeit der Hanfdämmung. „Die größte technische Herausforderung besteht bei der Verarbeitung von Naturpflanzen zu Dämmstoffen darin, die Reproduzierbarkeit der gewünschten Eigenschaften sicherzustellen. Angesichts eines Marktvolumens von zwölf Millionen Quadratmetern, die es allein an österreichischen Fassaden pro Jahr zu dämmen gilt, ist von einer Dämmstoff-Neuentwicklung ein Höchstmaß an Funktionstauglichkeit zu erwarten“, erläuterte der Experte. „Beim Capatect Hanffaser-WDVS“, so Enzenberger, der in Österreich auch als Sachverständiger und Gutachter für Gebäudedämmung tätig ist, „ist das mit Sicherheit der Fall.“

Die Praxistauglichkeit konnte Dr. Helge Kramberger-Kaplan, Geschäftsführer des unabhängigen Dr.-Robert-Murjahn-Instituts, vom wissenschaftlichen Standpunkt aus bestätigen: „Bei Standarduntersuchungen nach ETAG 004 hinsichtlich Wasseraufnahme, Rücktrocknungsverhalten, mechanischer Festigkeit, Schlagregentoleranz und mikrobiologischen Eigenschaften etc. hat die Hanffaserdämmung ebenso überzeugt wie bei Freibewitterungsversuchen, die in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IBP in Holzkirchen durchgeführt wurden,“ berichtete der Experte. Mehr noch: Bereits 2003 war die Fassade eines Mehrfamilienhauses der Nassauischen Heimstätten in Babenhausen mit einem Hanffaser-WDVS gedämmt und mit zahlreichen Sensoren ausgestattet worden. Die Auswertung der Messungen, die sich über einen Zeitraum von drei Jahren erstreckten, spiegelte in allen Punkten die hervorragende Eignung von Hanf als Fassadendämmstoff wider.

Einen Einblick in die Komplexität der Nachweisverfahren rund um Dämmstoffe und Dämmsysteme gewährte Thomas Meyer, Leiter Zulassungswesen im Competence Center Fassaden-Dämmtechnik der DAW SE. Er wies darauf hin, dass das Capatect Hanffaser-WDVS über eine Europäisch Technische Zulassung (ETA 05/0052) verfügt, deren Inhaberin die Caparol-Schwestergesellschaft Synthesa Chemie in Perg/Österreich ist. „Die Einsetzbarkeit des Systems auch in Deutschland ist in baurechtlicher Hinsicht prinzipiell gegeben. Auf Wunsch des Bauherrn kann darüber hinaus immer eine Zustimmung im Einzelfall beantragt werden.“

Mit der Ökobilanzierung der Hanfdämmung befasste sich DI Philipp Boogman vom Österreichischen Institut für Baubiologie und Ökologie (IBO). Der Mikrobiologe erläuterte die Erkenntnisabsicht des LifeCycleAssessments (LCA) und erklärte die angewandte Messmethode: „Stoff- und Energieflusssysteme der Umwelt werden quantitativ gemessen für einen bestimmten Baustoff, der dadurch mit anderen vergleichbar wird. Positiv am Nutzhanf ist, dass die Verwendung als Dämmstoff einen Beitrag zur Ressourcenschonung leistet, das Klima schützt und außerdem in der strukturschwachen ländlichen Anbauregion Arbeitsplätze schafft“, lautete Boogmans Würdigung.

Nachhaltigkeit: kein Modewort

Grundsätzlichen Fragen der Nachhaltigkeit widmete sich Manfred Obermayr. Der Produktmanager Marketing der Synthesa Chemie machte klar, dass Nachhaltigkeit kein neuzeitliches Modewort mit beliebig dehnbarer Bedeutung ist. Vielmehr lässt es sich ganz konkret auf den Adligen Carl von Carlowitz zurückführen, der vor über 300 Jahren – angesichts des unkontrollierten Holzeinschlags infolge zunehmender Industrialisierung – das Prinzip nachhaltiger Forstwirtschaft definierte: „Man darf der Natur nur entnehmen, was in den Wäldern auch nachwächst.“ Diese Maxime gilt bis heute fort und umfasst neben ökologischen auch ökonomische und soziale Aspekte. Somit gilt es, keinen Raubbau an der Natur zu betreiben, nicht auf Kosten künftiger Generationen zu leben und auch keine Konflikte in Kauf zu nehmen, die sich absehbar aus der Ungleichverteilung von Besitz ergeben.

Wie sehr uns das Befolgen des Nachhaltigkeitsgebotes nützt, verdeutlicht ein Blick auf die heutige Bewaldung: Mit mehr als 30 % bewaldeter Grundfläche ist Deutschland das waldreichste Land Europas! Und Manfred Obermayr machte dem staunenden Fachpublikum gleich noch eine bemerkenswerte Rechnung auf: „Es braucht nur 0,67 % des hierzulande vorhandenen Ackerlandes für den Hanfanbau, um den Rohstoff für 40 Mio. m² Dämmplatten zu gewinnen. Diese Erntemenge deckt den Gesamtbedarf an Fassadendämmstoffen in Deutschland für ein ganzes Jahr.“

Mit den Einsatzmöglichkeiten der Hanfdämmung, dem Systemaufbau und der Detailausbildung befasste sich Oliver Berg, Leiter Fassaden- und Dämmtechnik bei Caparol. Er führte aus, dass das neue Hanffaser-WDVS zunächst einmal nur für den Einsatz im Massivbau vorgesehen ist. „Für die Verwendung im Holzbau ist das Thema der Bauphysik ein ganz wichtiges, das im Rahmen der Planung und Ausführung detailliert im Vorfeld beachtet werden muss, betonte Berg. In diesem Zusammenhang erläuterte er die Bedeutung und Wichtigkeit des Bauteams, das einen Vertreter jedes einzelnen Gewerkes der Schnittstellen  repräsentieren sollte. Zum Abschluss zeigte er wichtige Anschlussdetails im Bereich der Fenster und des Sockels auf und vertiefte die Bedeutung der sogenannten zweiten Dichtungsebene sowie die entsprechende konstruktive Vorgehensweise für das Fachhandwerk.


Marktlücke schließen

Eine nachhaltig ökologische Innovation kündigte Wolfgang Hoffmann an, Leiter Produktmanagement bei Caparol. Seiner Meinung nach besteht im Farbengroßhandel Nachholbedarf in der Listung und Beratung von Bio-Lacken und -Farben: „Das Malerhandwerk braucht Bio-Produkte, die sich unkompliziert verarbeiten lassen, lange haltbar und zugleich bezahlbar sind“, so Hoffmann. Diese Marktlücke gelte es zu schließen – u.a. mit Farben, deren Bindemittel überwiegend aus pflanzlichen Rohstoffen bestehen. Dementsprechend denkt man bei Caparol über die Einführung einer neuen Produktlinie nach, die „CapaGeo“ heißen wird. Das Besondere daran ist das Besondere darin: „Die Rohstoffe werdenz.T. rein pflanzlich sein, weshalb CapaGeo-Lacke und -Farben vor allem umweltbewusste, lifestyle-orientierte Kunden ansprechen dürften.“

Mit der Herstellung chemischer Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen setzte sich Dr. Jenny Reuber auseinander, Global Sustainability Managerin des Chemiekonzerns BASF in Ludwigshafen. Ihr Credo: „Wir müssen Dinge anders tun, um unsere Ziele zu erreichen. Da viele Ressourcen endlich sind, gilt es, sukzessive mehr alternative Rohstoffe in die Produktionsprozesse zu integrieren und den Anteil knapper fossiler Substanzen zu verringern, ohne Qualitätseinbußen hinzunehmen.“ Als Mittel der Erfolgskontrolle wählt man bei der BASF den Massenbilanzansatz, der Aufschluss über die Anteile und die Eignung nachwachsender Rohstoffe im Herstellungsprozess gibt.

Fazit: Übereinstimmend betonten Manfred Haisch, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes Ausbau und Fassade, und Karl-August Siepelmeyer, Präsident des Bundesverbandes Farbe Gestaltung Bautenschutz: „Wir haben Alternativen zu herkömmlichen Produkten und Verfahrensweisen kennengelernt, von denen wir bisher nur vom Hörensagen wussten. Dafür ist der DAW, der Familie Murjahn und den Mitarbeitern bei Caparol und Synthesa ausdrücklich zu danken. Jetzt ist es an jedem einzelnen von uns, den Nachhaltigkeitsgedanken dieses Werkstofftags weiter zu verfolgen und bei geeigneten Projekten mit den entsprechenden Produkten umzusetzen.“

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