Künstliche Intelligenz

Chancen, Risiken und Potenziale für das Bauwesen

Dass sich die Bauwelt mitten im digitalen Wandel befindet, ist in jedem Artikel zu lesen, der über die Branche in den vergangenen zehn Jahren geschrieben wurde. Modellbasierte Planung, integrale Planungs- und Bauwerkskoordination, Bauüberwachung mit dem Tablet oder die Baufortschrittserfassung via Smartphone sind längst alltägliche Einsatzbereiche für digitale Werkzeuge – nicht in jedem Projekt, aber immer öfter.

In diesem Zusammenhang noch Neuland ist der Einsatz Künstlicher Intelligenz, kurz KI, im Bausektor und deren sinnvolle Nutzung für die Architekturplanung. Auch hierüber wird vor allem in den letzten zwei Jahren viel geschrieben und diskutiert. Ohne Zweifel macht sich jeder Bausoftwarehersteller Gedanken dazu, wie KI in die eigenen Anwendungen einfließen kann. Und auch Architektur- und Ingenieurbüros, Bauunternehmen und Fachhandwerksbetriebe setzen sich verstärkt mit dem Phänomen „Künstliche Intelligenz“ auseinander. Denn KI wird ihre Arbeitsweise in den kommenden Jahren massiv beeinflussen.

ChatGPT brachte die KI in unseren Alltag

Auslöser für einen regelrechten „Hype“ um das Thema KI war die Einführung des OpenAI-Chatbots „ChatGPT“ (GPT: Generative Pre-trained Transformer) im November 2022. Er lieferte in Echtzeit individuelle Antworten auf komplexe Fragestellungen, anhand von Milliarden von Textdokumenten aus Datenbanken und im Internet, mit denen der Bot trainiert wurde. Die Ergebnisse waren zumeist intelligent formuliert, wenn auch nicht immer aktuell. Denn das Modell war nur mit Informationen „gefüttert“, die bis zum Abschluss des Trainings im September 2021 zur Verfügung standen. Neuere Datensätze wurden nicht ergänzt und sind folglich nicht in das Modell eingeflossen.

Den Zugriff auf tagesaktuelle Informationen aus dem Internet ermöglichten dann ChatGPT 4 bzw. die im Mai 2024 vorgestellte Version GPT-4o. Eine weitere Evolutionsstufe bei der Integration von KI-Funktionen in den Alltag stellt die im Juni 2024 bekanntgegebene Zusammenarbeit von Apple und OpenAI dar: Apple integriert ChatGPT seit Herbst 2024 in seine Betriebssysteme, sodass Nutzerinnen und Nutzer direkt darauf zugreifen können. Damit werden auch das Smartphone, Tablet oder Laptop mit KI-Funktionen ausgestattet. In den USA und anderswo bereits im Einsatz, erfolgt die Implementierung innerhalb der Europäischen Union nur in Übereinstimmung mit den europäischen Datenschutzrichtlinien und dem Digital Markets Act (DMA) bis zum April 2025.

Vielfältige Anwendungen in kürzester Zeit

Mehr als zwei Jahre nachdem ChatGPT in allen Medien, bei vielen Unternehmen und KI-affinen Internetnutzer:innen für maximale Aufmerksamkeit sorgte, haben sich die Produkte, die KI einsetzen, stark diversifiziert. Mit der Bereitstellung von Sprachmodellen für die individuelle Nutzung, Anpassung und Weiterentwicklung über Open Source-Plattformen, also offene Quellcodes für jeden, sind eine Vielzahl von GPTs entstanden. Hinzu kamen die Bezahlmodelle von Google, OpenAI, Microsoft und Co. Um es kurz zu machen: Für jeden Bereich unseres Lebens und Arbeitens gibt es die ersten mehr oder weniger intelligenten KI-Anwendungen, die in immer mehr Softwaretools einfließen. Manchmal merkt man das, oft aber auch nicht – wie bei der Google-Suche im Browserfenster.

Doch lauern auch Gefahren beim Einsatz von KI, die gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen für die weitere Entwicklung von künstlicher Intelligenz erfordern. Vor allem sind es ethische Bedenken, die wie bei jeder disruptiven Technologie, herausgestellt, betrachtet und bewertet werden müssen. Der AI Act der EU ist ein erstes, international beachtetes Regelwerk zum künftigen Umgang mit KI. Weitere Regelungen im globalen Kontext müssen in den kommenden Jahren folgen.

Die Baubranche wird stark von KI profitieren

Das Potenzial von KI im Bauwesen ist ohne jeden Zweifel enorm. Dabei spielt es keine Rolle, an welcher Stelle in der Wertschöpfungskette Bau wir genauer hinschauen. Das belegte bereits eine Studie des Fraunhofer IAO aus dem Jahre 2022: Künstliche Intelligenz unterstützt uns in allen Bereichen mit durchgängig digitalen Prozessen und datenbankgestütztem Know-how, die zu mehr Effizienz im Planungs- und Bauablauf und im späteren Gebäudebetrieb führen sollen. Die zur Verfügung stehenden Werkzeuge sind breit gefächert, wie zum Beispiel der deutsche Fachjournalist und Blogger Eric Sturm auf seiner Homepage beleuchtete. Mehr als 40 baurelevante Tools trägt allein er zusammen. Und wer zum Thema weiter recherchiert, bemerkt schnell: Aktuell kommen fast jede Woche neue branchenspezifische Werkzeuge hinzu.

Bauen bedeutet Interaktion mit realen Menschen

Anders als in der immer wieder zitierten Automobilbranche, in der Automatisierung und Robotik inzwischen Industriestandard sind, interagieren beim Bauen jedoch reale Menschen miteinander und nicht Maschinen mit Maschinen via Skript und Software. In der Zusammenarbeit dieser echten Protagonisten in jedem Bauprojekt bietet KI daher eher einen großen Nutzen erstens durch die Erleichterung eines umfassenden und schnittstellenarmen Informationsaustausches sowie zweitens durch die Unterstützung der Kommunikation in einem integralen und möglichst durchgängig digital gestalteten Arbeitsumfeld.

Die (Open-)BIM-Methode mit ihren koordinierten (fachübergreifend abgestimmten) Bauwerksmodellen, ein digitales baubegleitendes Qualitätsmanagement, digitale Mängelerfassung oder der Einsatz von Baurobotern untermauern den wachsenden Wunsch sowie die dringende Notwendigkeit, Digitalisierung, Termin-, Kostensicherheit und Effizienzgewinn im Bauen zu fördern. Hinzu kommt der akute Fachkräftemangel im Bausektor: Über 630.000 Fachkräfte fehlen in der Branche, wie das Institut der Wirtschaft (IW) in seinem Gutachten zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Bauwirtschaft ermittelt.

KI-Tools verbessern den Entwurfsprozess

Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Prozessoptimierung allein bedingen aber keine höhere Architekturqualität. Diese ermöglicht nur das Zusammenspiel vieler Faktoren. So fehlt KI aktuell das Vermögen, die menschliche Identifikation mit dem Stadtraum und seinen Bauwerken, Straßen und Plätzen oder soziale Interaktion an Orten, in Gebäuden und Räumen, zu analysieren, zu bewerten und in Entwurfs- und Bauprozesse einfließen zu lassen.

Dennoch arbeiten Architektur- und Fachplanungsbüros bereits mit künstlicher Intelligenz. So nutzen heute
­41 % der britischen Architekt:innen inzwischen KI zumindest gelegentlich für ihre Projekte, wie eine Umfrage des Royal Institute of British Architects (RIBA) aus dem Februar 2024 darlegt. Darüber hinaus sind 43 % der Architekt:innen, die KI-Tools verwenden der Meinung, dass sie die Effizienz ihres Entwurfsprozesses verbessert. In der Umfrage wollte das RIBA auch wissen, wofür KI genutzt wird. Die meistgenannten Einsatzbereiche sind die Automatisierung von Verwaltungsaufgaben oder die Verringerung des CO2-Abdrucks von Projekten in Verbindung mit digitalen Bauwerkszwillingen.

Der Bedarf nach passenden KI-Lösungen wächst – das Angebot ebenfalls

Der Bedarf nach relevanten Lösungen wurde auch von der Bausoftwareindustrie erkannt. So setzt Hersteller Graphisoft bei seiner BIM-Planungslösung Archicad auf ein KI-basiertes Tool, den AI Visualizer (nutzt Stable Diffusion), der bei der Entwurfsarbeit unterstützt und den Architekt:innen in kürzester Zeit eine Vielzahl von Entwurfsvarianten nach ihren Vorgaben und Vorstellungen anbietet. Graphisoft CEO Daniel Csillag erkennt das Potenzial auch für sein Unternehmen: „Die Bereiche Entwurf und Planung sehe ich umfassend durch uns abgedeckt. Mit dem AI Visualizer für Archicad sind wir nun einen ersten Schritt in Richtung KI-Unterstützung der Architekturbüros gegangen. Wir unterstützen sie dabei, noch effizienter im Entwurf zu werden. Wenn sie sich in der Zukunft mit intelligenten KI-Systemen vernetzen – von der Entwurfsphase bis in den Gebäudebetrieb – dann können sie das Bauwesen wirklich revolutionieren!“

Weitere beeindruckende Beispiele, dass KI-Tools wie Stable Diffusion oder Midjourney in verschiedenen Phasen des Entwurfsprozesses die Planenden im Arbeitsalltag unterstützen, werden zum Beispiel auf der Plattform
Show it Better vorgestellt. Und renommierte Architekturbüros wie MVRDV nutzen KI vielfältig im Projektalltag, wie es ein sehenswertes Video auf ihrem Youtube-Kanal zeigt.

Schwindelerregendes Marktpotenzial

Neben den Großen der Bausoftwarebranche beleben viele Start-Ups in Deutschland und international die Szenerie, die in ihren individuellen Lösungen ganz gezielt auf KI setzen. Es herrscht eine buchstäbliche „Goldgräberstimmung“. Denn es gibt viel Geld zu verdienen in der Baubranche, die ihre Automatisierung über viele Jahrzehnte (abgesehen von Entwicklungen wie CAD, 3D-Planung und BIM), vorsichtig formuliert, nicht im Fokus hatte. Das soll mit KI anders werden. Die IHK NRW hat beeindruckende Zahlen auf ihrer Homepage zusammengetragen, die das untermauern sollen: Basierend auf aktuellen Statista-Prognosen wird das globale KI-Marktpotenzial für das Jahr 2026 (über alle Branchen) auf 583 Mrd. US$ prognostiziert (zum Vergleich: 2021 waren es effektiv noch 96 Mrd. US$), 2030 sollen es bereits schwindelerregende 1.848 Mrd. US$ werden. Einen Ausblick auf die globale Entwicklung im Bausektor wagt das US-amerikanische Markforschungsinstitut Global Market Insights. Waren es 2022 noch 2,5 Mrd. US$ Umsatz, geht die Prognose für das Jahr 2032 von bis zu 15,1 Mrd. US$ aus. Das größte Potenzial sehen die Forscher hier vor allem in den Bereichen Projekt- und Risikomanagement, in der Bauüberwachung und im Gebäudebetrieb.

Die Prognose: 37 % der Planungs- und Bauaufgaben durch KI automatisiert

Der Automatisierung von repetitiven Aufgaben durch KI, von denen es in Planung und Bauausführung eine Vielzahl gibt, wird im Moment das größte Potenzial eingeräumt. Damit einher geht auch der Wegfall bzw. Rationalisierung von Aufgaben im Planungs- und Baualltag und im Gebäudebetrieb. Das prognostizierte die Investmentbank Goldman Sachs. Sie geht davon aus, dass KI weltweit über alle Branchen hinweg 300 Millionen Arbeitsplätze ersetzen könnte. Goldman Sachs schätzt darüber hinaus, dass 37 % der Aufgaben im Architektur- und Ingenieurwesen in den kommenden Jahren mithilfe von KI automatisiert werden könnten. Das sind aktuell nur Prognosen. Ob das alles wirklich eintritt, wird die Zukunft erweisen.

Disruptive Technologien verändern fundamental und nachhaltig die Art und Weise, wie wir denken, arbeiten und zusammenleben. Sie verdrängen etablierte Techniken, sie setzen sich durch und entwickeln unsere Gesellschaft weiter – mit allen gebotenen Chancen, wertvollen Potenzialen und abzuwägenden Risiken. Das gilt für die KI genauso wie für die Erfindung des Internets, der Dampfmaschine oder der Glühlampe. Die in den kommenden Jahren damit verbundenen Chancen sollten wir nutzen und uns den Herausforderungen – auch für die Baubranche – stellen.

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