Neue Wohnformen fürs Alter

Jeder will alt werden. Aber kaum jemand hat eine Vorstellung davon, wie er im Alter einmal wohnen wird. Viele ­verbinden diesen Lebensabschnitt mit der Unterbringung in einem Heim. Dabei gibt es eine Vielzahl anderer Lebensmöglichkeiten für Senioren. Vor allem die Wohnungsgesellschaften sind hier gefragt.

Das Schreckgespenst einer überalterten Gesellschaft geht um. Damit gleichgesetzt werden häufig explodierende Kosten, Armut und Pflegebedürftigkeit. Wo sollen die vielen Pflegeeinrichtungen herkommen, in denen „die Alten“ untergebracht werden, fragen nicht Wenige – statt ein differenziertes Bild von den Wohnbedürfnissen älterer Menschen zu zeichnen. Die Zukunft liegt darin, die individuelle Wohnsituation im Kontext einer zeitgemäßen Quartiersentwicklung zu betrachten.

Für ältere Mieter mit geringem Einkommen ist die Situation in deutschen Großstädten schwierig: Knappes Angebot und teure Mietpreise. Hinzu kommt, dass viele Mietwohnungen nicht ihren Bedürfnissen entsprechen. Sie sind entweder zu groß für einen Ein-Personen-Haushalt – und damit nicht bezahlbar – oder die Ausstattung ist nicht altersgerecht, so dass ein selbständiges Wohnen ohne Hilfeleistungen auf Dauer kaum möglich sein wird.

Immobilienmarkt auf Wohnwünsche ­Älterer nicht ausgerichtet

Welche Wohnformen die Generation 50 plus favorisiert, zeigt die im Januar 2011 von tns emnid veröffentlichte Untersuchung „Wohnwünsche im Alter“: 67 % der Befragten (500 Mieter und  600 Wohnungs- bzw. Hauseigentümer) wünschen Wohnformen, die ein eigenständiges Leben in einer gewöhnlichen Wohnung oder einem Haus ermöglichen. Nur 15 % möchten mit 70 Jahren in einem  Pflegeheim oder einer Seniorenresidenz untergebracht sein. 64 % der Altersgruppe zwischen 50 bis 59 Jahren ziehen einen Umzug vor, wenn die neue Wohnung besser ihren Bedürfnissen entspricht. Der Wunsch nach flexiblen Hilfsangeboten zur Alltagsunterstützung ist bei 77 % vorhanden.

Betrachtet man dann jedoch die Situation der Befragten mit einem Einkommen unter 1500 € genauer, relativieren sich die Wohnungswünsche: Diese Gruppe kann lediglich knapp 500 € monatlich für die Miete aufbringen und verfügt über kein Budget für zusätzliche Dienstleistungen. Damit haben sie weder eine Chance auf dem Immobilienmarkt, eine bedarfsgerechte Wohnung zu finden, noch kommen privat betriebene Seniorenwohnanlagen und Residenzen in Betracht. Angesichts der Zunahme von Senioren mit geringem Einkommen, droht ein Teufelskreis.

Wohnungsgesellschaften werden zu Quartiersmanagern

Historisch betrachtet waren genossenschaftliche, kirchliche und kommunale Wohnungsgesellschaften in Krisenzeiten immer ein wichtiger Eckpfeiler für das gesellschaftliche Gleichgewicht. Ihre gut ausgebaute Infrastruktur ermöglicht soziale Betreuungsangebote, integrative Maßnahmen bis zu pflegerischen Dienstleistungen. Diese Schnittstellenfunktion könnte sich heute wieder als Vorteil für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum erweisen. Die Voraussetzungen dafür sind durch Grundstücksbesitz und eigene Immobilienbestände denkbar gut. Denn ob freie Wohnungsträger in Zukunft ausreichend für bedarfsgerechten und gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum sorgen können, ist angesichts steigender Grundstückspreise fraglich. Beste Chancen also, die Position als „Quartiersmanager“ auszubauen. Mit der Unterstützung von spezialisierten Projektieren können Wohnungsgesellschaften ihr Portfolio analysieren und Alternativ­szenarien konzipieren.

Zusammenarbeit mit Immobilien­entwickler stärkt eigene Position

Ein gelungenes Beispiel ist das Wohnprojekt „Dorfanger Boberg“ der AWO Hamburg.   Gemeinsam mit dem auf innovative Immobilienkonzepte für soziale Träger spezialisierten Projektentwickler wph Hamburg entstanden von 2009 bis 2011 insgesamt 72 Senioren-Mietwohnungen und ein Wohngruppenhaus, das moderne soziale Unterstützungsangebote für unterschiedliche Nutzergruppen miteinander vernetzt: Das Wohngruppenhaus ist konzipiert für eine Wohn-Pflege-Gemeinschaft für Menschen mit Demenz, eine ambulant betreute Wohngruppe für Menschen mit Behinderung und eine Wohngruppe für junge Mütter mit Kindern. Die Kaltmiete der 47 bis 58 m² großen Senioren-Wohnungen beträgt 5,50 €/m², der Service-Zuschlag liegt für eine Person bei ca. 45 € und bei ungefähr 70 € je Ehepaar.

Das Gebäudekonzept überzeugt durch die Kombination wohnlich-sozialer Aspekte mit den kommenden Anforderungen an einen energieeffizienten Betrieb der Immobilie. Dadurch hat die AWO Hamburg die Sicherheit, dass ihre Mieter auch zukünftig nicht von steigenden Energiepreisen betroffen sein werden und kann sich auf ihre Rolle als soziale Dienstleisterin mit vielfältigen Betreuungsangeboten konzentrieren.

Der Erfolg gibt der AWO Hamburg recht. Die Senioren-Wohnungen waren bereits nach wenigen Wochen alle vermietet. „Mit der Wohnanlage setzen wir Maßstäbe für sozialverträgliches Wohnen, das moderne Wohnansprüche mit Serviceleistungen kombiniert. „Alle unsere Bewohnerinnen und Bewohner fühlen sich sehr wohl im neuen Quartier“, bestätigte Wiebke Brose, die ehemalige Projektleiterin des AWO-Landesverbandes, die heute beratend für den Immobilienentwickler tätig ist.

Die gute Wohnsituation gefällt den Mietern nach wie vor, wie sie vor kurzem bestätigte. „Da wir über keine Immobilienkompetenz im eigenen Hause verfügten, hat uns das fachübergreifende Wissen der wph Hamburg sehr bei der Realisierung des komplexen Bauvorhaben geholfen. Vor allem bei der Konzeption der Finanzierung war die professionelle Unterstützung des Projekentwickler-Teams hilfreich“, erinnert sich die ehemalige Projektleiterin.

Mieterbindung ist entscheidend für den Erfolg

Hat sich die Rolle von Wohnungsgesellschaften bisher auf die des „Wohnraumanbieters“ beschränkt, wird sich dies, angesichts des demografischen Wandels, grundlegend än­dern. Die Altersstruktur der Mieterschaft verlangt danach, die individuelle Wohnsituation im Kontext von Lösungen auf Quartiersebene zu betrachten. Zu einer zeitgemäß ausgestatteten Wohnung gehören demnach vielfältige Services: von der Nahversorgung über medizinische und pflegerische Angebote bis zum Veranstaltungsprogramm. Die dazu notwendige Infrastruktur aufzubauen, wird jedoch nur gelingen, wenn sich Wohnungs­gesellschaften stärker als bisher mit Dienstleistern vernetzen und gemeinsam Geschäftsmodelle entwickeln, die die Bindung der Mieter an ihr Quartier festigen.

Systematische Bedarfsanalyse des ­Immobilienportfolios ratsam

Ole Klünder, Geschäftsführer der wph Hamburg, sieht in den Liegenschaften von Wohnungsgesellschaften ein bislang unterschätztes Potenzial: „Das große Pfund von genossenschaftlichen, kirchlichen und kommunalen Wohnungsgesellschaften, ist ihr Grund- und Immobilienbesitz, der sich vielfach sogar in innerstädtischen Lagen befindet. Wenn die Gesellschaften dieses Eigentum suksessive entwickeln bzw. zeitgemäß modernisieren, können sie in erheblichem Maße bezahlbaren Wohnraum für ältere Menschen zur Verfügung stellen.“ Diese Überzeugung teilt sein Partner Simon Vollmer: „Durch eine systematische Portfolioanalyse des Immobilienbestands  können sich außerdem ökonomisch vorteilhafte Lösungen ergeben, an die zuvor nicht gedacht wurde“. Notwendig dazu sei die Kooperation mit fachkundigen Partnern, die sowohl immobilienwirtschaftliche als auch finanzielle Expertise mitbringen, rät Vollmer.

Neue Wohnkonzepte für ältere Mieter zu entwickeln, wird eine der Hauptaufgaben für Wohnungsgesellschaften in den kommenden Jahren sein. Aber wem, wenn nicht ihnen, sollte dies gelingen. Denn traditionell bringen sie die besten Voraussetzungen mit, um Antworten auf die gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen zu geben.

Für ältere Mieter mit geringem Einkommen ist die Situation in deutschen Großstädten schwierig:
Knappes Angebot und teure Mietpreise.

Hat sich die Rolle von Wohnungsgesellschaften bisher auf die des ­Wohnraumanbieters beschränkt, wird sich dies, angesichts des ­demografischen Wandels, grundlegend ändern.

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