Bedarfsgerechtes Wohnen im Alter

Die Ökonomarbeit „Die Auswirkungen des demografischen Wandels und die daraus resultierenden Anforderungen für ein bedarfsgerechtes Wohnen im Alter“ ist durch das Kuratorium des Julius-Brecht-Fonds zur jahrgangsbesten Ökonomarbeit 2010 an der EBZ ernannt worden.

In Zeiten der Finanz- und Bankenkrise, Green Buildings und energetischer Optimierung findet das Thema Altengerechtes Wohnen keinen großen Anklang. Dies ist besonders im Bundeshaushalt 2012 zu erkennen. Keine weiteren Fördermittel sind für das KfW-Programm „Altersgerecht umbauen“ vorgesehen, obwohl die Reduzierung von Barrieren in Bestandsobjekten als essentiell zu betrachten ist. In Anbetracht dessen, dass 90 % der Menschen über 65 Jahre in normalen Wohnungen leben, ist ein bedarfsgerechtes Wohnen im Alter in weite Ferne gerückt.Mit der Fragestellung, welchen Anforderungen Wohnformen im Alter gerecht werden müssen, um bedarfsgerechtes Wohnen zu gewährleisten, beschäftigt sich die erwähnte Ökonomarbeit.

 

Differenziertes Altern

Als Ausgangspunkt seiner Ökonomarbeit im Rahmen des Studiums „Bachelor of Arts Real Estate“ diente dem Autor die Feststellung, dass der Alterungsprozess nicht kurzfristig umzukehren ist und der demografische Wandel im Jahre 2030 seinen Höhepunkt erreichen wird. Dies ist durch den Renteneintritt der Generation aus den 1950er und 1960er Jahren begründet. Lediglich die Altersgruppe der Hochbetagten (ab 80 Jahre) wird sich bis 2050 von 5 % auf geschätzte 15 % erhöhen. Der demografische Wandel steht in einer unmittelbaren Wechselwirkung zur Veränderung des Alterungsprozesses. Anhand dieses veränderten Alterungsprozesses ergibt sich nicht ausschließlich ein Altersbild.

Der Alterungsprozess umfasst drei Dimensionen:

– biologische bzw. physische

– psychisch-kognitive

– soziale

Eine weitere Facette der Alterung ist der Umstand, dass das Altern hauptsächlich weibliche Personen betrifft, wie an der Abbildung 1 zu erkennen ist.

Anhand zuvor genannter Faktoren der Alterung sind vier Lebensstilgruppen zu erkennen: die Aktiven, die Gemeinschaftsorientierten, die Familienorientierten und die Resignierten. Die aktive Lebensstilgruppe zeic­­hnet sich durch eine positive Lebenseinstellung aus und verbringt einen Großteil der Freizeit mit dem Partner und der Familie. Diese Gruppe legt Wert auf Wohnkomfort und lebt überwiegend in Wohneigentum. Darüber hinaus ist hier ein überdurchschnittliches Einkommen zu verzeichnen. Ein positives Allgemeinbefinden ist bei den Gemeinschaftsorientierten zu erkennen. Im Mittelpunkt der Freizeitgestaltung steht jedoch nicht die Familie, sondern Freunde und Vereine. Auffällig ist zusätzlich die passive Freizeitgestaltung wie Fernsehen oder Lesen. Ein großer Teil der Freizeit wird in der Wohnung oder im unmittelbaren Wohnumfeld verbracht.

Ein weitgehend positives Allgemeinbefinden zeichnet sich ebenso in der Gruppe der Familienorientierten ab. Freizeitaktivitäten werden mit Familienangehörigen wie Enkeln, Uren

keln und Kindern in der Wohnung oder im unmittelbaren Wohnumfeld verbracht. Diese Kategorie findet sich in allen sozialen Schichten. In Differenzierung zu den anderen Le­­bensstilgruppen ist die Lebenseinstellung der resignierten Lebensstilgruppe als negativ zu erachten. Die Freizeitgestaltung ist passiv, Kontakt zu Familie und Freunden ist kaum vorhanden. Das Wohnen ist durch kleine Mietwohnungen geprägt. 93 % dieser Gruppe verfügen über ein geringes Bildungsniveau. Pflegebedürftigkeit betrifft primär die Hochbetagten (ab 80 Jahre), dort liegt die Pflegefallwahrscheinlichkeit bei ca. 60 %. Der Pflegebedarf bei den rüstigen Ruheständlern (55 bis 70 Jahre) ist als marginal zu bezeichnen. Bei den 70 bis 80 Jahre alten Ruheständlern liegt die Pflegefallwahrscheinlichkeit bei unter  5 %.

Wohnformen im Alter

Im Hauptteil der Arbeit werden folgende Wohnformen beschrieben und verglichen:

– „Normales Wohnen“ in Kombination mit Pflegeleistungen

– Betreutes Wohnen / Wohnen mit Service

– Gemeinschaftliches Wohnen

– Ambulant betreute Pflegewohngruppen

– Heim

– Wohnstifte / Seniorenresidenz

Bei dem Vergleich der verschiedenen Wohnformen im Alter ist eine erhebliche Verschiedenartigkeit zu erkennen. Dies gilt ebenfalls für die Projektumsetzungen innerhalb der Wohnformen. Die auffälligsten Unterscheidungsmerkmale sind Kosten und Pflegeumfang. Hochpreisige Einrichtungen, wie Heime und Seniorenstifte bieten eine umfangreiche Pflege und sind in der Lage, Menschen mit Demenz bedarfsgerechtes Wohnen zu bieten. Allerdings ist ein Pensionspreis, als Beispiel dient die Seniorenresidenz Augustinum in Hamburg, zwischen 1 833 € bis 4 496 € nur für wenige Senioren bezahlbar. Die Vielzahl der Wohnanlagen sind nicht in der Lage, Senioren mit demenzieller Erkrankung zu betreuen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Senioren vor Einzug über die Grenzen der Pflegemöglichkeiten informiert werden. Die Mehrzahl der Senioren verändert ihre Wohnsituation mit dem Gedanken, ihren Lebensabend dort verbringen zu können, ohne einen weiteren Umzug durchzuführen. Das normale Wohnen in Kombination mit Pflegeleistungen ist die dominierende Wohnform im Alter. Dies lässt sich durch die Bezahlbarkeit für die breite Bevölkerungsschicht erklären. Die Betreuungs- oder Pflegeleistungen werden dabei oftmals von Familienmitgliedern übernommen. Betreutes Wohnen / Wohnen mit Service stellt für einige rüstige Ruheständler eine Alternative zum Wohneigentum dar, jedoch ist die Vergleichbarkeit der Angebote nahezu unmöglich. Betreuungs- und Pflegeleistungen gehen immens auseinander, selten aber können Menschen mit demenzieller Erkrankung versorgt werden. Das gemeinschaftliche Wohnen ist geprägt von gegenseitiger Hilfe der Mitbewohner und verzichtet daher auf professionell organisierte Betreuungsleistungen. Die Erhaltung der Selbstständigkeit der Be­­wohner steht im Mittelpunkt dieser Wohnform. Ergänzende Betreuungsleistungen werden durch das soziale Umfeld, wie Familie und Freunde erbracht.

Eine sehr vielseitige Wohnform im Alter ist die ambulant betreute Pflegewohngruppe. Hierbei sind zwei Varianten denkbar: Rund-um-die-Uhr-Versorgung oder stundenweise Betreuung. Die erstgenannte Variante ist besonders für Menschen mit einem erhöhten Pflegebedarf oder für demenzkranke Menschen geeignet. Im Mittelpunkt der stundenweisen Betreuung stehen Personen mit einem leichten Pflegebedarf oder Menschen mit psychischen Problemen. Unabhängig der Varianten ist die Nutzung von Synergieeffekten und die Flexibilität als positiv zu bezeichnen.

Eine skizzenhafte Orientierung der Zielgruppenzuordnung ist der Abbildung 2 zu entnehmen.

 

Handlungsbedarf

Keine bestimmte Wohnform kann allen Anforderungen an ein bedarfsgerechtes Wohnen im Alter gerecht werden. Dies lässt sich zum einem an den unterschiedlichen Bedürfnissen der verschiedenen Alterskategorien erklären, zum anderen ist für die Senioren keine Durchsichtigkeit auf der Angebotsseite gegeben.

Es bestehen Unsicherheiten seitens der Senioren über die Qualität der angebotenen Wohn­­formen. Besonders im Bereich des Betreuten Wohnen / Wohnen mit Service sorgt bereits die ungleiche Namensgebung der Anbieter für Verwirrung. Gleiches gilt für den Umfang der Leistungen bei jedem Anbieter, da diese sehr unterschiedlich ausfallen und Qualitätsstandards nicht gegeben sind.

Innovative Wohnkonzepte, wie die ambulant betreuten Pflegewohngruppen oder das ge­­meinschaftliche Woh­­nen, erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Dennoch sind die Wohnformen bislang als Nischenprodukt zu betrachten. Noch ist die Mehrheit der Senioren nicht auf diese Wohnkonzepte aufmerksam geworden. Ungeachtet dessen bieten vor allem die ambulant betreuten Pflegewohngruppen differenzierte Möglichkeiten zur Unterstützung und zur Pflege. Ein Ausbau dieser Konzeption und eine steigende Anzahl der realisierten Projekte wären in Zukunft eine flexible Möglichkeit für Senioren. Abschließend ist festzuhalten, dass die verschiedenen Wohnformen entweder unter mangelhafter Bekanntheit oder unter nicht vorhandenen Qualitätsstandards leiden. In Zukunft ist es die Aufgabe der Wohnungswirtschaft, in die angebotenen Wohn­­konzepte eine entsprechende Transparenz herbeizuführen und Anreize für die wachsende Anzahl der Senioren zu schaffen. Zudem müssen mit Hilfe der Bundesländer Qualitätsstandards definiert werden, um eine einheitliche Vermarktung zu ermöglichen.

Die Altersgruppe der Hochbetagten wird sich bis 2050 von 5 % auf geschätzte 15 % erhöhen.
 

Anhand zuvor genannter Faktoren der Alterung sind vier Lebensstilgruppen zu erkennen: die Aktiven, die Gemeinschaftsorientierten, die Familienorientierten und die Resignierten.

x

Thematisch passende Artikel:

Studie: Wohnen im Alter – Selbstbestimmt, aber gut betreut

Selbstbestimmt und selbstständig alt werden – und das möglichst im gewohnten Wohnumfeld: Das wünscht sich die Mehrzahl der Senioren hierzulande, zeigt eine gemeinsame Studie der in Mainz...

mehr
Ausgabe 1-2/2021

Wohnungen für Senioren sind Mangelware

Selbstbestimmt und selbstständig alt werden – und das möglichst im gewohnten Wohnumfeld: Das wünscht sich die Mehrzahl der Senioren in Deutschland. Doch hierzulande fehlt es fast überall an einem...

mehr
Ausgabe 04/2013

Neue Wohnformen fürs Alter

Das Schreckgespenst einer überalterten Gesellschaft geht um. Damit gleichgesetzt werden häufig explodierende Kosten, Armut und Pflegebedürftigkeit. Wo sollen die vielen Pflegeeinrichtungen...

mehr
Ausgabe 06/2010

In den eigenen vier Wänden

Mit dem im September 2008 in Kraft getretenen Pflegeweiterentwicklungsgesetz soll der Fokus künftig mehr auf der ambulanten Pflege liegen. Darauf muss sich die Immobilienbranche zwingend einstellen....

mehr
Ausgabe 4/2008

Wohneigentum

Der Markt der Wohnimmobilien in Deutschland ist heterogen. Derzeit leben 83 Mio. Menschen verteilt auf 38 Mio. Wohnungen – angefangen beim Ein-Zimmer-Appartement mit Kochnische bis hin zur Villa mit...

mehr