„Baustroh ist derzeit der umweltfreund­lichste Wärmedämmstoff“

Interview mit Architekt Dirk Scharmer (Passivhausplaner, Baubiologe, Koordinator für nachhaltiges Bauen) zu Möglichkeiten und Grenzen des Bauens mit Stroh.

Herr Scharmer, nun fast 15 Jahre nachdem Sie die Strohbauweise in Deutschland begonnen haben, wo steht sie heute, was geht und was geht nicht?

Scharmer: Mit der neuen, seit Juli dieses Jahres gültigen bauaufsichtlichen Zulassung können wir baurechtlich gesehen endlich alles mit Strohballen machen, was wir uns gewünscht haben und was sich in Deutschland und weltweit auch in vielen anderen Ländern praktisch bewährt hat. Feuchtetechnisch ist beispielsweise der direktverputzte Einsatz nun bei Einhaltung einiger weniger, recht klarer Rahmenbedingungen zugelassen.

Die Wichtigste ist, den Schlagregen durch Verwendung eines wasserabweisenden Fas­­sadenanstrichs oder Verkleidung mit einer Holzschalung draußen zu halten. Das ist auch bei den meisten anderen hochgedämmten Konstruktionen nicht viel anders. Und sogar der Einsatz als nachträgliche Dämmung außen vor ein bestehendes Mauerwerk ist zugelassen.

Einzig der lasttragende Einsatz von Baustrohballen, also die Verwendung als überdimensionale tragende Mauersteine, befindet sich hierzulande weiter auf dem Prüfstand, obgleich diese etwa  in Ländern wie Großbritannien und den USA schon erfolgreich angewendet wird.

Ist die Strohbauweise damit bereit für den Mainstream oder was braucht es noch, um die überall in Deutschland vorhandenen großen Strohressourcen auch flächendeckend einzusetzen?

Scharmer: Ja, die Strohbauweise ist bereit für den Mainstream. Jetzt braucht es vor allem noch engagierte Akteure, die nachhaltiger Bauen wollen und die Vorteile von nachwachsenden Rohstoffen erkennen.

Daneben bestehen aber auch noch deutliche Herausforderungen bei der Verfügbarkeit. Es gibt einfach noch zu wenige kompetente und erfahrene Planer, Handwerker und Anwender.

Die Qualität der fertigen Strohausfachung ist dabei nicht das Problem, sondern der effiziente, rationelle und zuverlässige Weg dorthin. Insbesondere bei der nachträglichen energetischen Sanierung besteht noch etwas Entwicklungsbedarf. Aufgrund der festgelegten Abmessungen unserer Dämmquader aus den landwirtschaftlichen Ballenpressen ist der Einsatz an bestehenden Fassaden noch etwas umständlich. Hier werden wir aber in kommenden Jahren Abhilfe schaffen.

Aktuell wollen wir ein Fertigungssystem ent­­wickeln, welches nicht mehr an die Be­­grenzungen der üblichen Ballenabmessungen gebunden ist. Damit sind dann auch Dämmstärken von unter 36 cm, also z.B. 20 cm möglich. Verfahrensbedingt werden sich außerdem die Qualität der Strohoberfläche und die Homogenität der Ausfachung und damit möglicherweise auch der Bemessungswert der Wärmeleitfähigkeit deutlich verbessern.

Was raten Sie Investoren und Wohnungsgenossenschaften – zugreifen oder noch abwarten?

Scharmer: Beim Neubau kann man jetzt ohne Sorge zugreifen. Alle Verfahren sind erprobt und überall in Deutschland machbar. Der Bereich der energetischen Sanierung stellt größere Herausforderungen, hier scheint mir persönlich ein etwas behutsameres Vorgehen ratsam.

Engagierte Auftraggeber, die hier neue Wege mit Stroh beschreiten wollen, sollten sich zunächst erfahrene Planer suchen, die mit dem Stand von Forschung und Technik intensiv vertraut sind und dann unbedingt mit ausführenden Unternehmen arbeiten, die bereits Erfahrungen mit dem Baustoff haben. Vielleicht lassen sich ja auch für die ersten ein bis zwei großmaßstäblichen Anwendungen Fördermittel hinzuziehen.

Hat Baustroh ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Dämmstoffen?

Scharmer: Baustroh ist derzeit der um­­weltfreundlichste Wärmedämmstoff in Deutschland. Die Herstellung, Instandhaltung, Instandsetzung und Entsorgung eines strohgedämmten Einfamilienhauses belastet die Atmosphäre wesentlich weniger mit Treibhausgasen als die eines herkömmlichen Massivbaus, umgerechnet entspricht die Differenz ca. 400.000 km Autofahren.

Seit Oktober 2014 existiert für Baustroh eine Umweltproduktdeklaration (EPD). Damit wird es zukünftig möglich sein, die ökologischen Vorteile dieses Baustoffs im Rahmen von Gebäude­bilanzierungen zu berechnen und ge­­winnbringend innerhalb von Nachhaltigkeitszertifizierungen nach DGNB oder BNB einzusetzen.

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