Bauen im Bestand

Sachliche Information statt heiße Panik

Sind Wärmedämm-Verbundsysteme auf der Basis von expandiertem Polystyrol (EPS) sicher? Kaum eine andere Frage wurde so oft gestellt. Die Bauministerkonferenz stellte klar, dass Fassadendämmsysteme mit Polystyroldämmstoffen ordnungsgemäß zertifiziert und bei zulassungsentsprechender Ausführung sicher sind.

Insbesondere in diesem Jahr wurde nochmals bestätigt, dass Wärmedämm-Verbundsysteme im Falle von Wohnungsbränden, bei denen Flammen aus der Wohnung durch Fenster die Fassade beanspruchen, als sicher nachgewiesen sind. Brandfälle vor der Fassade, zum Beispiel durch Müllcontainer oder auf der Baustelle, sollen im Laufe des Jahres noch detaillierter betrachtet werden. Zu Recht, denn selbstverständlich ist es richtig und wichtig, bei jedem Brandfall auch den Brandschutz von Wärmedämm-Verbundsystemen mit EPS-Dämmstoffen stets aufs Neue kritisch unter die Lupe zu nehmen. Der bauliche Brandschutz ist und bleibt in allen Bereichen ein extrem sensibles und sicherheitsrelevantes Thema. Für Hersteller und Bauschaffende ergibt sich daraus die unbedingte Verpflichtung, alle damit verbundenen, auch kritischen Fragestellungen sorgfältig zu prüfen, sachkundig zu beantworten, neueste wissenschaftliche und baupraktische Erkenntnisse stets in Bewertungen einfließen zu lassen und falls erforderlich, eben auch über Jahrzehnte bewährte Systeme bei Bedarf erneut auf den Prüfstand zu stellen.

Dieser Verpflichtung können sich Hersteller in Deutschland allerdings auch kaum entziehen, denn das deutsche Baurecht stellt in puncto Brandschutz extrem hohe Anforderungen. Jeder Hersteller muss im Rahmen strenger gesetzlicher Vorschriften die Sicherheit seiner Systeme umfassend nachweisen - eine unverzichtbare Voraussetzung, um nach Prüfung der Nachweise durch das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) eine Zulassung zu erhalten. Damit verbunden sind vielfältige Herausforderungen für Bautechniker und Ingenieure. Denn tatsächlich ist das Thema sehr kompliziert und komplex. Viele Details sind zu berücksichtigen. Im Übrigen lässt sich die Frage nach der Sicherheit eines Baustoffes nie absolut und pauschal beantworten, sondern immer erst nach Definition eines Schutzzieles. Jedem Sicherheitsexperten ist klar, dass alle Systeme und Technologien automatisch auch Risiken in sich tragen. Entscheidend für die Risikobetrachtung und Risikobewertung ist aber doch, mit welcher Wahrscheinlichkeit überhaupt ein Schadensfall eintreten kann. Und natürlich, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit er beherrschbar bleibt. An einer differenzierten Betrachtung der vorliegenden Fakten und ihrer entsprechenden Bewertung führt deshalb kein Weg vorbei.

Brandfälle und ihre Ursachen

Im Rahmen ihrer 123. Sitzung 2012 hatte die Bauministerkonferenz den Ausschuss für Stadtentwicklung, Bau- und Wohnungswesen (ASBW) beauftragt, unter Einbeziehung der Feuerwehr alle relevanten Brandereignisse im Zusammenhang mit Wärmedämm-Verbundsystemen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände und Gefahren bei Montagezuständen zu untersuchen. Es wurden insgesamt 18 Brandfälle analysiert, bei denen als Brandszenarium die aus einer Wandöffnung schlagenden Flammen bei einem Wohnungsbrand zugrunde lagen. Die Analyse ergab, dass für diese Fälle die Anforderungen, die sich aus der Zulassung ergeben, für die in Frage stehenden Wärmedämm-Verbundsysteme sicher erfüllt werden. Dennoch hat die Bauministerkonferenz aufgrund der Tatsache, dass es in der Vergangenheit auch Brandereignisse gab, die außerhalb eines Gebäudes ausgelöst wurden, den ASBW beauftragt, die Versuchsreihe nun auch unter Naturbrandbedingungen zu veranlassen. Eine nachvollziehbare Vorgehensweise, denn es sind insbesondere drei Brandfälle bezogen auf den Zeitraum von acht Jahren, die immer wieder im Blickpunkt standen:  2005 in Berlin, 2011 in Delmenhorst und 2012 in Frankfurt. Zahlreiche Experten haben alle drei Fälle inzwischen genauestens analysiert.

In Frankfurt handelte es sich um einen Baustellenbrand. Dort gelagertes Baumaterial fing Feuer, das auf die nicht fertig verputzte Wärmedämmung übergriff. In Delmenhorst zündeten Brandstifter zwei Häuschen für Müllcontainer, die direkt an der Hauswand standen, an. Nur in Berlin griff Feuer aus dem Hausinneren auf die Fassade über. Dort befand sich allerdings ein nicht vom Deutschen Institut für Bautechnik zugelassenes System an der Wand. Ein sehr wichtiger Aspekt. Man stelle sich nur vor, ein technisch fehlerhafter PKW ohne TÜV-Zulassung wäre an einem Unfall beteiligt. Diese Tatsache hätte selbstverständlich maßgeblichen Einfluss auf die Unfallanalyse.

Handlungsbedarf besteht dennoch. Der konkrete Fall in Frankfurt hat gezeigt, dass zukünftig der Bereich des Baustellenmanagements stärker in den Blickpunkt rücken muss, um die Gefahr durch Brandeinwirkung von außen auf nicht geschlossene Wärmedämm-Verbundsysteme zu verringern. In der Verarbeitungsphase sind Fassadendämmsysteme noch nicht geschlossen. Deshalb fehlen es­­sentielle Komponenten, die die Brandschutzanforderungen an das System sicherstellen. Das gilt natürlich auch für zahlreiche andere Baustoffe, die auf der Baustelle gelagert werden. Ein umfassendes Konzept zur Einführung grundlegender Regeln für das Baustellenmanagement könnte hier Abhilfe schaffen.

Experten geben Entwarnung

Festzuhalten bleibt indes, dass Wärmedämm-Verbundsysteme mit Dämmstoffen aus ­Po­­lystyrol-Hartschaum bereits heute sehr hohe Brandschutz-Anforderungen erfüllen. Speziell im Hinblick auf den Brandschutz bei schwerentflammbaren Fassadendämmsystemen mit EPS hat das Deutsche Institut für Bautechnik, das in Deutschland für die Beurteilung des Brandverhaltens von Baustoffen und Bauteilen zuständig ist, noch einmal zweifelsfrei bestätigt, dass alle bisher zugelassenen WDV-Systeme die bauaufsichtlichen Anforderungen umfassend erfüllen.

Sichergestellt werden sie durch bauaufsichtlich zugelassene und sorgfältig aufeinander abgestimmte, geschlossene Fassadendämmsysteme, die durch versierte Handwerker fachgerecht an die Wand gebracht werden. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann sind Bauherren mit schwerentflammbaren EPS-Systemen auch beim Brandschutz auf der sicheren Seite. Das belegen auch statistische Werte.

Immerhin sind von rund 18 Mio. Wohngebäuden in Deutschland etwa 6 Mio. mit EPS-Systemen gedämmt. Diskutiert werden die drei beschriebenen Fälle – bei etwa 200.000 Hausbränden in Deutschland jährlich. Es bestehe kein Grund zur Panik, betonte angesichts dieser Zahlen auch Christian Stolte von der Deutschen Energieagentur dena.

Brandschutzgerechte Fassadendämmung

Abhängig von der Gebäudehöhe sind unterschiedliche Materialien für den Einsatz in Fassadendämmsystemen zugelassen. Bis 7 m Gebäudehöhe (die Definition der Gebäudehöhe gemäß der Landesbauordnungen ist hier zu beachten) dürfen normalentflammbare Systeme und Materialien verbaut werden. Bei Gebäudehöhen von 7 bis 22 m sind nur Sys­­tem­­lösungen zugelassen, die als schwer­­entflammbar oder nichtbrennbar eingestuft werden können. Für die Dämmung von Hochhäusern, also Gebäuden ab einer Höhe von 22 m, verlangt das Baurecht in Deutschland grundsätzlich den Einsatz von nichtbrennbaren Fassadendämmsystemen.

Eine Fassadendämmung auf Basis von ex­­pandiertem Polystyrol wird dann als schwer­­entflammbar klassifiziert, wenn sie alle erforderlichen Brandprüfungen bestanden hat, dies mit einer deutschen Zulassung bestätigt wurde und entsprechend dieser Zulassung die Montage erfolgt. Wichtige Maßnahmen sind dabei unter anderem die geforderten Sturzschutz- oder Brandriegelausführungen bei EPS-Dicken über 10 cm. Als Sturzschutz bezeichnet man die Montage separater Brandüberschlagsstreifen aus nichtbrennbarer Mineralwolle über jeder Fassadenöffnung. Eine baurechtlich zugelassene Alternative ist die Ausführung gebäudeumlaufender Brandriegel. Brandriegel stoppen im Brandfall den Brandtransport im Fassadendämmsystem unterhalb des Putzsystems und so ein Überschlagen des Brandes im Fassadendämmsystem über den Brandriegel hinweg. Statt einzelner Streifen über jeder Gebäudeöffnung, welche an dieser Stelle den Flammeneintritt in das WDVS verhindern, wird dabei mindestens über jedem zweiten Geschoss ein 20 cm hohes, durchlaufendes Mineralwolleband in die EPS-Dämmung eingefügt. In beiden Fällen ist es wichtig zu beachten, dass sowohl Brandriegel als auch Sturzschutz und das gesamte Wärmedämm-Verbundsystem ringsherum sicher mit dem geprüften Putzsystem überarbeitet und geschlossen wurde.

Es gibt also sehr unterschiedliche Möglichkeiten, hohe Standards beim Brandschutz zu realisieren. In jedem Fall lohnt sich eine genaue Betrachtung aller Details. Bei den ­verantwortlichen Planern und Lieferanten sollten sich Bauherren deshalb über die alternativen Möglichkeiten der brandschutzgerechten Planung und Ausführung von Wär­­medämm-Verbundsystemen informieren. Je nach Gebäudetypus kann auch beim Brandschutz die Wahl der optimalen Lösung den Investitionsbedarf spürbar beeinflussen.

Bei einem Brandriegel wird mindestens über jedem zweiten Geschoss ein 20 cm hohes, durchlaufendes Mineralwolleband in die EPS-Dämmung eingefügt.

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