Holz atmet Großstadtluft

Der Holzbau kehrt zurück in die Städte. Ein Beispiel aus der Donaumetropole Wien integriert dabei auch den sozialen Faktor und zeigt die Notwendigkeit und Möglichkeiten eines öffentlich geförderten, ökologischen Wohnungsbaus auf.

In Wien-Donaustadt wurde ein Wohnkomplex fertiggestellt, der auch im holzbauaffinen Alpenland neue Maßstäbe setzt. Die Anlage beherbergt 101 Mietwohnungen, die sich auf einen siebengeschossigen Vordertrakt an der Wagramer Straße (71 Wohnungen) und auf drei rückwärtige, jeweils dreigeschossige Gebäudetrakte (30 Wohnungen) verteilen. Beim Vordertrakt platzierte man auf ein baupolizeilich vorgeschriebenes Erdgeschoß aus Stahlbeton sechs Obergeschoße in einer Konstruktion aus Brettsperrholzlagen (BBS).

Dem Erdgeschoss kommen neben statischen und brandschutztechnischen auch sozio-kulturelle Aufgaben zu, denn die dort platzierten, gemeinschaftlich genutzten Räume sollen die Wohngemeinschaft stärken und dem gesamten Areal dabei helfen, eine eigene Identität zu entwickeln. Der kräftige, vordere Baukörper fungiert dabei auch als eine Art Schutzschild gegen den Straßenverkehrslärm und die Unruhe der Stadt Wien. Davon profitieren ebenso die hofseitigen, dreigeschossigen Einheiten, die als reine Holzbauten ausgeführt wurden, wie auch die rückwärtig ausgerichteten Wohnbereiche des Siebengeschossers.

Genossenschaftliches Bauprojekt mit Superförderung

Mit den sechs in Holzbauweise errichteten Ge­­schossebenen ist das Bauwerk an der Wagramer Straße der höchste Wohngeschoßbau Österreichs. Die Entwurfsplanung resultierte aus dem Bauträgerwettbewerb „Holzbau in der Stadt“, der 2009 vom Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig in Zusammenarbeit mit dem Wohnfonds Wien initiiert wurde. Nachfolgend wurden die siegreichen Entwürfe zweier Architekturbüros umgesetzt. Die vier Baukörper konzipierten die Wiener Architekten Schluder Architektur (Siebengeschosser) und Hagmüller Architekten (Dreigeschosser). Bauträger ist die Familie – Gemeinnützige Wohn- und Siedlungsgenossenschaft – aus Wien, die den Gebäudekomplex auch verwaltet und betreibt.

Sie firmiert unter dem operativen Dach eines genossenschaftlich organisierten Verbundes, der Sozialbau AG, Österreichs Nr. 1 unter den privaten Wohnungsbauunternehmen. Die Sozialbau AG hat sich dem gemeinnützigen und sozialen Wohnungsbau verschrieben und fußt auf den drei Wohnungsbaugenossenschaften ‚Familie‘, ‚Volksbau‘ und ‚Wohnbau‘.

Mit dem Objekt an der Wagramer Straße wurde erstmals ein urbanes Bauvorhaben dieser Größenordnung in einen sozial-ökologischen Holzbau-Kontext eingebunden, das von der Stadt Wien mit öffentlichen Geldern gefördert wird. Die 101 Einheiten mit Wohnflächen von 62 bis 102 m² sind mit der sogenannten „Superförderung“ der Stadt Wien für junge und/oder kinderreiche Familien sowie Haushalte mit niedrigem Einkommen versehen worden. Diese Superförderung kann zusätzlich zur „Hauptförderung“ in Anspruch genommen werden und verringert die monatlichen Mietkosten, wobei sie an definierte Einkommensgrenzen und an die Errichtungsart des jeweiligen Wohngebäudes gekoppelt ist.

Hohe Material- und Bauqualitäten

Sie besteht in der Gewährung eines pro Jahr einprozentig verzinsten Landesdarlehens in Höhe von 150 € je m² Wohnnutzfläche. Die Förderung wird den Bauträgern (hier der Familie – Gemeinnützige Wohn- und Siedlungsgenossenschaft) ausbezahlt und vermindert die Mietbelastung der Bewohner. Jede Wohnung des Niedrigenergiegebäudes wurde mit einem privaten Freiraum versehen, entweder als Loggia, Balkon oder Terrasse. Dazu verfügen sie über eine mechanische Lüftungsanlage. In den Küchen verlegte man wohngesunde Bodenbeläge aus Linoleum, die neben Leinöl aus den natürlichen Inhaltsstoffen Holz- und Korkmehl, gemahlenem Kalkstein, Naturharzen und Pigmenten bestehen, wobei als Trägermaterial Jute dient. Zudem wurden Holzfenster eingesetzt und ökologisch zertifizierte Gipskartonplatten verbaut.

Die klimafreundliche Versorgung mit Heizenergie und Warmwasser erfolgte durch den Anschluss an ein bestehendes Fernwärmenetz.

Derlei hohe Material- und Bauqualitäten sind gemeinhin nur in den schicken, homogenen Gentrifizierungsvierteln boomender Groß- und Millionenstädte zu finden. Nicht jedoch in heterogenen Agglomerationsarealen mittlerer und niedriger Einkommensverhältnisse. Damit nimmt das öffentlich geförderte und genossenschaftlich organisierte Holzbauvorhaben an der Wagramer Straße eine städtebauliche Vorreiterrolle ein.

Es zeigt Lösungswege aus der aktuellen Problematik mangelnden, bezahlbaren Wohnraums urbaner und suburbaner Räume in Westeuropa auf und bezieht damit auch wohnungsbaupolitisch Stellung. Der Wien-Do­­nau­stadt bleiben dadurch die selten gewordenen, jungen und kinderreichen Familien erhalten. Dies fördert zum einen eine gesunde Stadt­entwicklung in der Durchmischung durch unterschiedliche Altersgruppen und Lebensentwürfe. Zum anderen vermag der städtische Nachwuchs mit seiner Vitalität zukünftige, dynamische Akzente zu setzen, die ansonsten fehlten.

Zeit als Qualitätsfaktor

Als ein wesentlicher Qualitätsfaktor moderner Bautätigkeit steht der Faktor Zeit im Mittelpunkt des Geschehens. In den hochverdichteten Agglomerationen mit ihren aufs engste miteinander verflochtenen und sich gegenseitig bedingenden ökonomischen, logistischen und sozialen Interaktionen, sind zeitraubende und langatmige Bauprozesse extrem kontraproduktiv. Sie stören den Gesamtfluss und beeinträchtigen die Geschwindigkeiten eines durch und durch mobilen und zugleich verkehrspolitisch fragilen Raumes.

Ewige Baustellen sind demzufolge nicht nur den Anwohnern ein Dorn im Auge, sondern zugleich auch den Investoren, den Verkehrsplanern, den Umweltschützern und Stadtökonomen. Auch aus diesen Gründen wurde das Objekt an der Wagramer Straße in moderner Holzbauweise ausgeführt. Auf einen mineralischen Sockel platzierte man im vorderen Gebäude sechs Geschosse aus vorproduzierten Holzbau-Elementen. Nach nur drei Monaten Bauzeit konnte der Rohbau fertig gestellt werden. Verzögernde Austrocknungsphasen mussten im Gegensatz zum konventionellen Ziegel-/ Betonbau nicht einkalkuliert werden, da der Holzbau ein Trockenbau ist. Zugleich wurde weniger Lärm, Dreck und Feinstaub produziert und damit die Arbeitsbedingungen signifikant verbessert.

Darüber hinaus können die Gewerke beim modernen Holzbau termingerecht ineinander greifen und in Folge dessen z.B. die Innenausbauten punktgenau erfolgen. Zeitverluste werden auf ein Minimum reduziert und dadurch Kosten und Ressourcen gespart. Dabei steht der hohe Grad der Vorfertigung im Blickwinkel der Betrachtung. Dieser ermöglicht eine rationelle Bauweise mit millimetergenau vorproduzierten Wand-, Decken- und Dachelementen, die in Kurzzeit zusammengefügt den Baukörper rasch wachsen lassen. Der moderne Ingenieurholzbau treibt diese elementierte Modulbauweise voran und arbeitet auf einen 100 %tigen Vorfertigungsgrad hin.

Mit einer 3D-CAD/ CAM Software können sowohl die CNC-Fräsanlagen für den Abbund als auch die vollautomatische Herstellung der Module passgenau aufeinander abgestimmt werden. Zentraler Bestandteile dieser Elementbauweise ist eine computergesteuerte Planung, aus der eine rationelle Vorfertigung sowie eine präzise Logistik resultieren. Dabei spielt die hohe Präzision der Systemelementierung eine tragende Rolle, da sie nicht nur freie Möglichkeiten in der Konstruktion, sondern zusätzlich einen hohen Grad der Automatisierung bei der Produktion der einzelnen Elemente ermöglicht.

Massivholz-Elementbauweise

Der Korpus des Siebengeschossers besteht aus massivem Holz. Mittels der kreuzweise verleimten, 14 cm dicken Brettsperrholzlagen wurden sowohl die tragenden Wohnungstrennwände als auch die nicht tragenden Außenwände realisiert. Die massiven, hohlraumfreien Holzelemente verfügen über eine hohe Formstabilität und Dauerhaftigkeit bei vergleichsweise geringem Gewicht und hoher Dämmwirkung, was sie für den mehrgeschossigen Wohn- und Gewerbebau prädestiniert.

Aus Gründen der erweiterten Spannweiten und des Brandschutzes setzte man bei der Deckenkonstruktion auf Holz-Beton-Verbundelemente und kapselte die tragenden Wandelemente mit Gipskartonplatten. Zwischen den Wohneinheiten fungieren die drei aus Stahlbeton erstellten, vorgeschriebenen Vertikalerschließungskerne mit den Treppenhäusern als zusätzliche Brandschutzzonen. Gleichzeitig unterstützen sie die Gesamtaussteifung des Siebengeschossers sowie die Abtragung der Gebäudelasten. Die aufeinander treffenden Holz- und Betongewerke verband man mit Langlochschrauben, wobei die finale Fixierung erst erfolgte, als die unterschiedlichen Setzungen der Baukörper abgeschlossen waren. Die drei hinteren Dreigeschosser sind reine BBS-Holzbauten, einzig die Erschließung der Obergeschosse erfolgt über mineralische Laubengänge. Da deren Spannweiten geringer sind konnten hier auch die Deckenelemente in Massivholzbauweise ausgeführt werden. Sie liegen auf den Wohnungstrennwänden und den Außenwänden auf und laufen von einer Wohnung zur nächsten durch.

Brandschutz der Gebäudeklasse 5

Die genehmigungstechnische Basis für das Brandschutzkonzept bildet die Techniknovelle von 2007, in der erstmals die wesentlichen Parameter der Brandsicherheit für den holzbasierten, mehrgeschossigen Wohnbau der Gebäudeklasse 5 (= bis maximal 7 Geschosse) definiert wurde. Gemäß der OIB (Österreichisches Institut für Bautechnik) Richtlinie 2 wurden die tragenden, gekapselten Bauteile über 90 min im Brandofen bei 1000 °C geprüft. Diese bestanden den Test ohne Einwand und erhielten die Zulassung. Bei den Brandversuchen im Labor betrugen die Abbrände 18 mm in 30 min, 36mm in 60 min und 54 mm in 90 Minuten.

Die massive Holzsäule trägt auch bei Vollbrand sehr lange zu 100 %, bevor diese, im Gegensatz zu Stahlkonstruktionen, vorhersehbar einbricht. Allzu häufig mangelt es den Zulassungsbehörden hierbei an Erfahrung, zudem sind aufklärende Gespräche mit Brandschutzbeauftragten notwendig, die den Ingenieurholzbau heutiger Prägung (noch) nicht genügend kennen. Außerdem erhöhen die Verkapselungen unnötig die Baukosten und berauben die Gebäude elementarer, hölzerner Wesensmerkmale: Optik, Haptik sowie des wohngesunden Raumklimas.

Die hohe Ressourceneffizienz und der kleine ökologische Fußbadruck – von der Herstellung über die Nutzungsphase bis zur Entsorgung – beschert dem massiven Holzbau gewichtige Vorteile gegenüber konventionellen, mineralischen Bauweisen. Die Sache hat nur einen Haken: eine solche Gesamtökobilanz, die den kompletten Prozess betrachtet und evaluiert, wird vom Gesetzgeber weder national noch auf europäischer Ebene verlangt. Es ist an der Zeit dies zu ändern.

Auch findet die CO2-Speicherung der Gebäude bis dato keine rechtsgültig verbindliche Entsprechung. Beim Wohnbau an der Wagramer Straße wurden insgesamt ca. 2.500 m³ an Holzvolumina verbaut: ca. 2400m³ für die Wände und Decken der Brettsperrholzbauteile plus ca. 1000 m³ für die Lärchenholzfassade der drei Dreigeschosser. Dies entspricht einem Kohlenstoffanteil, aus dem Holz zu 50 % besteht, von 625 t, was einer CO2-Speicherung von über 2290 t gleichkommt.

Richtige Richtung

Das Objekt an der Wagramer Straße bestätigt den Trend zum mehrgeschossigen, holzbasierten Geschoß(wohnungs-)bau im (sub-)urbanen Raum. Die weitreichende Vorfertigung der Wand- und Deckenelemente weist den Weg in die richtige Richtung, auch wenn die einzelnen Fertigungsprozessstufen noch Luft nach oben lassen.

Darüber hinaus gilt es weitere Möglichkeiten und Vorteile des uralten Baustoffs für die Städte zu erschließen. Es mutet schon merkwürdig an wenn warme, natürliche und auf die meisten Menschen positiv wirkende Holzoberflächen hinter Gipskartonplatten und Zement verborgen bleiben, während unsere Städte jahrzehntelang von grauen Beton- und Stahlfassaden in die Kälte geführt wurden. Es ist nun an der Zeit das Erscheinungsbild und die Botschaft unserer Städte mit der Wiederentdeckung des Holzes auf neue Kommunikationspfade zu führen. Holz ermöglicht eine alternative Material-, Oberflächen- und Formensprache, die im Kontext eines ökologischen Verbundes soziale Wärme, Wohn- und Gastlichkeit verspricht.

In Deutschland darf sich die öffentliche Hand von den Wiener Erfolgen durchaus inspirieren lassen und den sozialen Wohnungsbau wieder für sich entdecken. Die Stadt Wien fördert pro Jahr die Errichtung von rund 7000 Wohnungen, das entspricht ca. 80 % der Neubauleistung im Wohnbereich. Zugleich ist im geförderten Wiener Wohnbau der Niedrigenergiestandard seit über zehn Jahren verpflichtend. Und auch das Holz darf wieder sein. Schön, wenn auch deutsche Städte ähnliches bald wieder verkünden könnten.

Mit den sechs in Holzbauweise errichteten Geschossebenen ist das Bauwerk der höchste Wohngeschoßbau Österreichs.

Die massiven, hohlraumfreien Holzelemente verfügen über eine hohe Formstabilität und Dauerhaftigkeit bei vergleichsweise geringem Gewicht und hoher Dämmwirkung.

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