Wohnungsbau

Auf dem Dach die Lage sichern

Ein Sturm macht auch vor einem Flachdach nicht halt und kann durch den Windsog große Schäden anrichten, im Extremfall sogar die ganze Abdichtung abheben. Der Beitrag erläutert die unterschiedlichen Arten der Befestigung.

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht über neue Klimakatastrophen, Stürme oder Überschwemmungen berichtet wird. Den Schadensmeldungen zufolge werden sie immer stärker und vor allem immer häufiger. Deshalb gehen Experten von zunehmenden Belastungen für die Flachdachabdichtung und insbesondere für das Befestigungssystem aus. Die Lagesicherung der Abdichtungen bzw. des kompletten Dachaufbaus spielt bei der Lebensdauer von Flachdachabdichtungen eine wichtige Rolle. Insbesondere in der Wohnungswirtschaft ist das Einhalten der gesetzlichen Vorgaben und der ermittelten Sicherungsmaßnahmen zwingend notwendig, denn schließlich geht es hier um den Schutz von Menschenleben.

Um zu verhindern, dass sowohl die Abdichtung als auch das gesamte Flachdach bei solchen Wetterkapriolen Schaden nehmen, muss der gesamte Dachaufbau gegen Windsog gesichert werden. Für eine fachgerechte Windsogsicherung stehen dem Anwender mehrere Systeme zur Auswahl:

– mechanische Befestigungen;

– Auflasten, in Form von Bekiesungen, Dachbegrünungen oder Terrassenbelägen oder

– Verklebungen (vollflächig bzw. punkt- oder streifenweise).

Mechanische Befestigung

Die mechanische Befestigung von Kunststoffbahnen ist eine insbesondere auf Leichtdächer zugeschnittene Befestigungsmethode, bei der die Dachabdichtung von den Belastungen des Unterbaus weitgehend unberührt bleibt. Folgende Systeme haben sich in der Praxis bewährt:

– Saumbefestigung: Hierbei werden die Dachbahnen lose verlegt und im überdeckten Bahnenrand mechanisch befestigt. Auftretende Windkräfte werden über die Schweißnaht asymmetrisch in die Befestigerreihen abgeleitet.

– Schienenbefestigung: Im Gegensatz zur Saumbefestigung sitzt die Schienenbefestigung nicht in der Nahtüberdeckung sondern in vom Hersteller berechneten Abständen auf der Bahn. Die Befestigung der Schienen in den Untergrund erfolgt durch die Dachbahn hindurch. Abschließend sind die Schienen mit Abdichtungsstreifen zu überschweißen, um die Dichtigkeit zu gewährleisten. Windsogkräfte lassen sich mit diesem System symmetrisch in den Untergrund einleiten.

– Befestigung im Klettsystem: In vom Hersteller berechneten Abständen werden Klettstreifen auf der Wärmedämmebene quer zur Verlegerichtung der Dachbahnen befestigt. Danach rollt man vlieskaschierte Dachbahnen fest in die Klettstreifen ein. Da die Krafteinleitung in die quer zu den Nähten verlaufenden Klettbänder erfolgt, liegen die Nahtverbindungen selbst in einer spannungsarmen Zone. Auch wird die Dachbahn bei diesem System nicht durch Befestigungsmittel perforiert.

– Feldbefestigung (selbstdichtend): In einem vom Hersteller berechneten Raster wird die selbstdichtende Feldbefestigung durch das gesamte Dachschichtenpaket geschraubt. Dabei übernimmt der nahtunabhängige Feldbefestiger die Aufgabe der Windsogsicherung und kann homogen mit der Abdichtung verschweißt werden. Die Kräfte werden symmetrisch in den Untergrund eingeleitet.

Auflast

Neben der mechanischen Befestigung ist auch eine Lagesicherung durch Auflast möglich. Mit modernen Berechnungsprogrammen lassen sich die notwendigen Kiesschichtdicken oder die Trockengewichte von Begrünungsaufbauten über die ermittelten Windlasten berechnen. Die statische Traglast der Unterkonstruktion ist dabei immer im Auge zu behalten.

Bei lose verlegten Dachabdichtungen mit Auflast liegt im Gegensatz zum mechanisch fixierten Dachaufbau nicht nur eine andere Sicherungsart, sondern auch eine komplett andere Art der Lastableitung vor. Angesichts der flächig flexiblen Abdichtung ergibt sich eine wesentlich größere Lasteinzugsfläche. So führt hier eine lokale Überbelastung nicht direkt zu einem Schaden. Vielmehr würde sich rein theoretisch die Abdichtungsbahn samt Auflast leicht anheben bis ausreichend Auflast aus der unmittelbaren Umgebung mit einbezogen wird. Dadurch kommt es zwangsläufig zu einem Gleichgewicht zwischen Windsoglast und Auflast.

Je nach Verlegeart können unterschiedliche Lasteinzugsflächen (1 m2 = cpe,1 und 10 m2 = cpe, 10) angesetzt werden. Bei verklebten und mechanisch befestigten Systemen ist immer der cpe,1-Wert maßgebend, da sich hier die Belastbarkeit des Systems auf 1 m2 bezieht. Dächer mit Auflast können auf Grund der größeren Lasteinzugsfläche mit dem aerodynamischen Beiwert cpe, 10 gerechnet werden. Dadurch wird die anzusetzende Windlast um bis zu 30 % reduziert. In der Folge sind so geringere Aufbauhöhen für die Auflasten bzw. weniger Befestigerstückzahlen möglich.

Reicht die geplante Auflast rechnerisch nicht aus, um in allen Dachbereichen die erforderlichen Windlasten aufzunehmen, müsste das Gewicht der Auflast erhöht werden. In der Regel werden die Dachbahnen dann zusätzlich mechanisch befestigt. Jedoch darf das Gewicht der Auflast nicht für die Berechnung der zusätzlichen Befestigung herangezogen werden. Vielmehr muss jedes System für sich die Windsogsicherung gewährleisten, Kombinationen sind nicht zulässig.

Verklebung

Auch die Verklebung ist eine Form der Windsogsicherung und lässt sich über die üblichen Berechnungsverfahren erfassen und berechnen. Unterschieden wird zwischen der streifenweisen und vollflächigen Verklebung. In Abhängigkeit von der Gebäudehöhe ermittelt der Dachbahnenhersteller mittels Klebeversuche die erforderlichen Klebermengen für die einzelnen Dachbereiche. An Hand der Ergebnisse können produktbezogene Klebermengen-Berechnungen durchgeführt werden. Natürlich sind die Berechnungen nicht auf Produkte anderer Hersteller übertragbar.

Welches System ist das richtige?

Die Wahl des richtigen Windsogsicherungssystems ist von vielen Faktoren abhängig. Schon in der Planungsphase wird relativ schnell klar, welches System zu bevorzugen ist. Die Wünsche des Bauherrn (z.B. Gründach), wirtschaftliche Aspekte (z.B. möglichst kostengünstige Lösung) und vor allem das technisch Machbare (z.B. ausgereizte ­Statik) spielen hier die ausschlaggebende Rolle. Anhand der Dachgeometrie und der örtlichen Begebenheiten kann schon in der Planungsphase eine Windsogberechnung durchgeführt werden. Diese gibt dann Aufschluss über die Anzahl der Befestiger, die Klebstoffmengen, die Schichtdicken möglicher Auflasten oder auch über das notwendige Trockengewicht von Begrünungsaufbauten. Nahezu alle Dachbahnenhersteller bieten solche Windsogberechnungen als kostenlose Serviceleistung für den Planer und Dachhandwerker an. Grundsätzlich empfiehlt es sich schon aus Gewährleistungs- bzw. Haftungsgründen, diese in Anspruch zu nehmen. Zudem ist sichergestellt, dass die Menge an Befestigern und die Anordnung auf der Dachfläche den Anforderungen der Norm entspricht.

Was ist für den Bereich Flachdach neu, was bleibt?

Seit dem 1. Juli 2012 ist der Eurocode 1991-1-4 in Deutschland bauaufsichtlich eingeführt. Windsogberechnungen sind jetzt nach dem Rechenmodel des Eurocodes durchzuführen. Im Bezug auf Flachdächer gibt es nur geringfügige Änderungen, da sich schon die bisher gültige DIN 1055-4 stark am Eurocode orientierte.

Im Unterschied zur DIN 1055-4 sind bei der neuen DIN EN 1991-1-4-2010-12 zwei eigenständige Normenwerke zu ­beachten: die DIN EN 1991-1-4 an sich sowie der jeweils dazu gehörende nationale Anhang ­DIN EN 1991-1-4/NA. Zu beachten ist, dass die Festlegungen im Eurocode nur dann anzuwenden sind, wenn im nationalen Anhang nichts anderes geregelt ist!

Sowohl nach dem Eurocode 1991-1-4 wie auch nach der alten DIN 1055-4 unterteilt man die Dachfläche in insgesamt vier Teilbereiche: dem Eckbereich, dem äußeren Randbereich, dem inneren Randbereich und dem Innenbereich. In der neuen Norm ist auch eine Windzonenkarte für Deutschland mit der Unterteilung in die bereits aus der DIN 1055-4 bekannten Wind­zonen 1-4 enthalten.

Gleiches gilt für die topographische Geländerauigkeit am Objekt, die über die bekannten vier Kategorien und zwei Mischprofile klassifiziert wird:

– Geländekategorie I: Offene See; Seen mit mind. 5 km freier Fläche in Windrichtung, glattes, flaches Land ohne Hindernisse

– Geländekategorie II: Gelände mit Hecken, einzelnen Gehöften, Häusern und Bäumen, zum Beispiel landwirtschaftliches Gebiet.

– Geländekategorie III: Vorstädte, Industrie- oder Gewerbegebiete

– Geländekategorie IV: Stadtgebiete, bei denen mind. 15 % der Fläche mit Gebäuden bebaut sind, deren mittlere Höhe 15m überschreitet

– Mischprofil Küste: Übergangsbereich Geländekategorie I und II

– Mischprofil Binnenland: Übergangsbereich Geländekategorie II und III

Neben den bisherigen auch in der alten DIN zu berechnenden Dachflächen kommen beim neuen Eurocode neue Regelungen für die Berechnung von Vordächern hinzu. Diese führen im Vergleich zur DIN 1055-4 zu geringen Windlasten.

Eine Ermittlung der Windlasten nach Eurocode 1991-1-4 sowie die daraus resultierenden windsogsichernden Maßnahmen mit Dachflächenaufteilung und Befestigeranordnung sind sehr komplex. Hierfür sollte man auf entsprechende aktuelle EDV-Programme zurückgreifen. Jedoch birgt ein Berechnungsprogramm alleine, ohne das notwendige technische Verständnis und Know-how einige Risiken. Daher empfiehlt es sich, den in der Regel kostenlosen Berechnungsservice der Hersteller in Anspruch zu nehmen.

PV-Anlagen und Windsog

Immer häufiger installiert man auf Flachdächern Photovoltaik-Anlagen. Diese haben auch Einfluss auf die Windlasten. Zum einen wirken die Windlasten direkt auf das PV-System selbst ein. Zum anderen muss geklärt werden, ob die auf die Dachabdichtung einwirkenden Windsoglasten durch das jeweilige PV-System reduziert werden oder ob eventuell sogar partiell höhere Soglasten entstehen. Dies kann z.B. für das jeweilige System anhand von Windkanalprüfungen untersucht werden. Auch die neue DIN EN 1991-1-4 enthält keine Angaben für die Windlastermittlung bei PV-Anlagen auf Flachdächern. Üblicherweise wird die Lagesicherung der Dachbahn so dimensioniert, als wäre keine PV-Anlagen vorhanden. Kritisch wird es, wenn Soglasten aus dem PV-System punktuell über die Dachbahn abgeleitet werden sollen, z.B. mittels „Laschenverbindungen“ aus Dachbahnenmaterial.

Fazit: Windsogsicherung ernst nehmen

Mit Blick auf die steigende Anzahl an Unwetterereignissen ist eine objektbezogene Windsogberechnung für die Lagesicherheit von Flachdächern auf der Basis des Eurocode 1991-1-4 generell zu empfehlen. Dabei ist die Berechnung eine Sache, die fachgerechte und technisch richtige handwerkliche Umsetzung auf dem Objekt eine andere, aber mindestens genauso wichtige.

Der gesamte Dachaufbau muss gegen Windsog gesichert werden.

Die Wahl des richtigen Windsogsicherungssystems hängt von mehreren Faktoren ab.

Aus Gewährleistungs- bzw. Haftungsgründen empfiehlt
es sich, die Windsogberechnungen der Dachbahnenhersteller
in Anspruch zu ­nehmen.

Auch Photovoltaik-Anlagen haben Einfluss auf die Windlasten.

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